Abzug aus einem symbolträchtigen Ort
Wo die Truppe erstmals kämpfen musste: Nach fast 18 Jahren verlässt die Bundeswehr das afghanische Kundus
BERLIN/KABUL Kundus gilt als Schicksalsort der Bundeswehr. Vor zehn Jahren wurden in der nordafghanischen Provinz erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs deutsche Soldaten wieder in stundenlange Gefechte verwickelt. Drei von ihnen kamen im Beschuss durch die radikal-islamischen Taliban ums Leben. Insgesamt starben in dem inzwischen fast 19 Jahre andauernden Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr bislang 59 Soldaten. Die meisten bei Anschlägen oder in Schusswechseln – und nirgendwo waren es mehr als in Kundus und der Nachbarprovinz Baghlan.
Jetzt verlässt die Truppe den Ort – und das bereits zum zweiten Mal. In den nächsten Wochen sollen die etwa 100 bislang fest in Kundus stationierten Soldaten in das nördliche Hauptquartier der Nato-Ausbildungsmission „Resolute Support“ins etwa 170 Kilometer westlich gelegene Masar-i-Scharif verlegt werden. Das bestätigte das Einsatzführungskommando in Geltow bei Potsdam. Insgesamt sind noch 1250 Bundeswehrsoldaten in Afghanistan stationiert, der größte Teil davon ohnehin bereits in Masar-i-Scharif. Der dritte Standort ist die Hauptstadt Kabul.
Der besonders gesicherte Bundeswehr-Stützpunkt im „Camp Pamir“der afghanischen Armee in Kundus soll trotzdem bestehen bleiben. Dort waren die Deutschen seit März 2018 im Rahmen der Nato-Mission „Train, Advise, Assist“(TAA) präsent. Das kleine Kontingent ist für die Ausbildung und Beratung des 217. Korps der afghanischen Streitkräfte zuständig. Je nach Bedarf sollen künftig Beraterteams nach Kundus geflogen werden, um diesem Auftrag weiter nachzukommen. Eine ständige Bundeswehrpräsenz vor Ort wird es aber nicht mehr geben.
„Zäsur für die Gesellschaft“
Als die Bundeswehr 2013 zum ersten Mal aus der nordafghanischen Provinz abzog und nach zehn Jahren ihr Feldlager dichtmachte, in dem damals rund 900 Soldaten stationiert waren, da sagte der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière: „Kundus, das ist für uns der Ort, an dem die Bundeswehr zum ersten Mal gekämpft hat, lernen musste zu
kämpfen. Das war eine Zäsur – nicht nur für die Bundeswehr, sondern auch für die deutsche Gesellschaft.“
Die deutsche Armee ist seit 2002 in Afghanistan präsent. Ziel war nach den Anschlägen vom 11. September 2001 der Sturz der Taliban-Regierung, der vorgeworfen wurde, Terrororganisationen wie Al-Kaida Rückzugsmöglichkeiten geboten zu haben. Zunächst beschränkte sich das Einsatzgebiet auf die Hauptstadtregion Kabul. Nach der Ausweitung des Mandats der Internationalen Schutztruppe (Isaf ) im Herbst 2003 begann dann der Bundeswehreinsatz in Kundus.
In den Fokus der deutschen Öffentlichkeit rückte die Provinzhauptstadt an der Grenze zu Tadschikistan aber erst im September 2009. Seitdem ist der Name Kundus wohl für immer mit dem verheerenden Nato-Luftangriff verbunden, den der deutsche Oberst Georg Klein angeordnet hatte. Zwei Tanklaster waren damals nahe dem deutschen Feldlager von Taliban-Kämpfern gekapert worden. Klein befürchtete, dass die Lkw als rollende Bomben gegen das Lager eingesetzt werden könnten.
Auf Anforderung der Bundeswehr griffen US-Kampfflugzeuge die Tanklaster an. In deren Umkreis hielten sich jedoch zahlreiche Zivilisten auf. Wie viele Menschen bei dem Bombardement genau getötet wurden, ist bis heute ungeklärt. Offiziell ist von 91 Toten und elf Verletzten die Rede; unabhängige Zählungen gehen von 142 To
ten aus. Der Luftangriff führte zu einer Regierungskrise in Berlin. Der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) trat Ende 2009 von seinem neuen Amt als Arbeitsminister zurück. Ihm wurde die Vertuschung brisanter Informationen vorgeworfen.
Dass das Kapitel Kundus für die Bundeswehr nun endgültig beendet ist, war laut Einsatzführungskommando seit Monaten geplant. Schon im Spätsommer habe die militärische Führung des NatoEinsatzes in Kabul diese Entscheidung getroffen. Mit der von US-Präsident Donald Trump vergangene Woche beschlossenen Beschleunigung des Abzugs der amerikanischen Truppen aus Af
ghanistan habe sie nichts zu tun. Die scheidende US-Regierung hatte angekündigt, weitere 2000 Soldaten abzuziehen. Bis Mitte Januar soll die US-Truppenstärke in dem Land am Hindukusch demnach auf 2500 reduziert werden. Bei den Nato-Verbündeten lösen die Pläne große Sorgen aus – sie befürchten ein Wiedererstarken der Taliban oder ein Ausbreiten der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS).
Szenarien für einen kompletten Rückzug aus Afghanistan hat die Bundeswehr aber schon vor Monaten entwickelt. Das Abkommen zwischen den USA und den Taliban besagt, dass die internationalen Truppen bis April kommenden Jahres schrittweise abziehen. Dazu müssen die Taliban aber zunächst dafür sorgen, dass die Gewalt im Land abnimmt.
Völlig unklar ist jedoch, ob Trumps Pläne nun einen beschleunigten Abzug auch der Bundeswehr nötig machen. Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums sagte vorige Woche, zur Vorbereitung seien bereits rund 100 weitere Soldatinnen und Soldaten im Stützpunkt bei Masar-i-Scharif.