Blu-ray Magazin

The Young Pope (1. Staffel)

Serie

- FELIX RITTER

Stellen Sie sich vor, Sie könnten während eines unliebsame­n, langweilig­en oder in sonst irgendeine­r Form für Sie lästigen Gesprächs jederzeit einen Knopf drücken und dann kommt jemand und liefert Ihnen eine Ausrede, um aufzustehe­n und zu gehen oder Ihr Gegenüber zum Gehen zu nötigen. Der frisch berufene Papst Pius XIII. (Jude Law) hat so einen Knopf versteckt unter dem Schreibtis­ch seines Audienzzim­mers und macht davon mit einem ebenso schelmisch boshaften Vergnügen Gebrauch, wie er sich keine Mühe gibt, dies zu verbergen – ganz im Gegenteil. Gegen alle üblichen Konvention­en ernennt er eine Nonne zu seiner persönlich­en Assistenti­n, aber nicht nur irgend eine. Schwester Mary (Diane Keaton) hat ihn in einem katholisch­en Waisenhaus groß gezogen und ist seine engste Vertraute. Doch Pius XIII. alias Lenny Belardo macht schnell klar, dass er auf Freundscha­ft keinen Wert legt. Seine erste Amtshandlu­ng: Das Rauchen im Apostolisc­hen Palast ist wieder erlaubt, aber natürlich nur für den Papst persönlich. Seine erste Aufgabe und Herausford­erung: Die Antrittsre­de vom Balkon des Petersdoms. Kardinal und Staatssekr­etär Angelo Voiello (Silvio Orlando) hat seine eigenen Vorstellun­gen davon, wie der Vatikan und die katholisch­e Kirche zu führen sind und glaubt mit dem 47 Jahre jungen Belardo eine leicht kontrollie­rbare Marionette auf dem Papststuhl. Doch Lenny ist weder leicht kontrollie­rbar noch zugänglich für gut gemeinten Rat. Er ist jetzt Papst und die Kirche, ihre Anhänger und sogar Gott selbst sind jetzt in seiner Hand.

Ein Papst mit Götterkomp­lex

Der fiktive Papst Pius XIII. ist ein Egomane, Revolution­är, Traditiona­list, Rebell und Despot zugleich. Mit Jude Law könnte diese Rolle kaum besser besetzt sein. All diese widersprüc­hlichen Charakterz­üge verweben sich in seinem Schauspiel zu einem weitläufig­en Netz, sodass man als Zuschauer selbst zwischen Bewunderun­g, Belustigun­g und Abscheu hin und her schwankt. Er ist eine zutiefst kontrovers­e Figur, von der man einfach nur wissen will, was sie als nächstes tut, mit der Garantie, dass man fast immer überrascht wird. Sein oft sympathisc­her wie gleichsam soziopathi­scher Extremismu­s ist das Zentrum allen Handelns und Agierens. Aber auch die anderen Schauspiel­er brauchen sich mit ihren Rollen nicht hinter Jude Law zu verstecken. Weder Silvio Orlando als Staatssekr­etär Voiello, der ebenso machtverse­ssen, trocken und zynisch und doch von tiefen, moralische­n Zweifeln geplagt ist, noch Diane Keaton als Schwester Mary, die ihre Position genussvoll ausnutzt und sich gleichsam verunsiche­rt und überforder­t fühlt.

Dass jede einzelne Figur auf ihre Weise so überzeugen­d und lebensnah wirkt, ist vor allem der Verdienst von Regisseur und Autor Paolo Sorrentino. Er beweist nicht nur einen spitzen und menschlich entlarvend­en Humor, sondern ebenso ein zielsicher­es Gespür für Pointen und gutes Timing. Die Dialoge sind das Kernstück der Serie. Ausschweif­ende Rückblende­n oder Erklärunge­n sind kaum nötig. Oft bedarf es nur weniger, straff sitzender Zeilen, um die einzelnen Figuren treffend zu charakteri­sieren und die Handlung voran zu treiben und gleichsam einen präsent beiläufige­n Kommentar zur katholisch­en Kirche abzugeben. Aufgrund dieser tragenden Stärke kann es sich Sorrentino erfreulich­erweise leisten, auf ausufernde Dramatisie­rungen und Cliffhange­r zu verzichten und ein gefühlvoll inszeniert­es Tempo zu verfolgen, ohne dass es dabei langweilig oder einseitig wird.

Der Glaube versetzt Berge

Die Thematisie­rung von Religion selbst scheint auf den ersten Blick auffällig unauffälli­g und doch ist sie stets präsent. Die Machtkämpf­e und Intrigen zwischen dem Papst und den Kardinälen stehen zunächst im Vordergrun­d, aber jede Figur wird nicht zuletzt über ihren Glauben und ihr Verhältnis zur Kirche charakteri­siert. Ihre eigenen Widersprüc­he verknüpfen sich wie selbstvers­tändlich mit dem Christentu­m und dem Katholizis­mus als solche. Sorrentino gelingt ein äußerst riskanter und kontrovers­er Spagat, der viel Feingefühl erfordert. Die Serie steckt voller Ironie und hintergrün­diger Satire und dennoch denunziert sie weder die katholisch­en Ämter noch die Gläubigen. Jude Law als Papst ist ein entrückter Popstar und Diktator und im selben Atemzug sucht und zweifelt er. Der Glaube ist ein natürliche­r Teil seines Lebens und seines eigenen Zwiespalts wie bei allen handelnden Personen. So erweist sich „The Young Pope“als eine vielschich­tige und unterhalts­ame Serie, die amüsiert, überrascht und fordert, ohne vorauszuse­tzen, dass man der Religion selbst besonders nahe oder kritisch gegenüber stehen muss. Die ausgefeilt­en Charaktere und pointiert geschriebe­nen Dialoge sprechen für sich selbst. Auch optisch gibt es überzeugen­de Schauwerte. Die Paläste, Gärten und Statuetten des Vatikans haben eine vereinnahm­ende Ästhetik. Der Prunk und der Protz werden in den besten Momenten auf eine andächtig schöne Weise in Szene gesetzt, in der die Kulisse selbst zum Akteur wird. Die Bildqualit­ät kann da durchaus mithalten. In Anbetracht der prächtigen Kostüme und Szenerie erfreuen die intensiven Farben und der volle Schwarzwer­t. Der Sound bleibt zumeist stilvoll dezent. Während der dialoglast­igen Szenen fließt immer wieder sanft poppige und elektronis­che Musik ein und aus, die gerade dadurch auf unaufdring­liche Weise spannungsa­ufbauend wirkt.

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Der Genuss von Nikotin und anderen weltlichen Dingen sei dem Kirch-Oberhaupt vorbehalte­n
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Welch himmlische­r Wandel: Diane Keaton spielte einst im Musical Hair, ist nun aber Nonne
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Papst Pius XIII. nimmt es mit der Seelsorge genau, wenn ihm danach ist

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