Sie lassen sich orten, wiegen sich selbst und laden auch noch das Handy auf:
Die neuen Koffermodelle läuten die Zukunft des Reisens ein
die wesentlichen Innovationen des Reisegepäckmarktes der vergangenen 20 Jahre befinden sich auf dem Niveau eines Drehscheibentelefons“, sagt Stefan Holwe. „Es ist an der Zeit, dass jemand den Markt digitalisiert.“Der junge Unternehmer gibt sich selbstbewusst – weil die großen Hersteller das Internet verschlafen hätten, sei er angetreten, um „die nächste Generation Reisender zu bedienen, die einen digitalen Lifestyle pflegen“. 2015 gründet der Betriebswirt zusammen mit einem Partner das Startup Horizn und vertreibt seither Koffer mit „smarten Zusatzfunktionen“. Das sind bei Holwe: eine Ladestation für mobile Geräte, eine GPSFunktion und ein „Personal Travel Assistant“, der per E-Mail, SMS oder App erreichbar ist und dabei hilft, Reisen zu organisieren und zu buchen.
Letzteres ist bis dato tatsächlich einmalig auf dem Markt – der Rest keine wirkliche Revolution. Schon seit ein paar Jahren arbeiten zahlreiche Hersteller, darunter vor allem junge Startups, an digitalen Gepäcklösungen – einer der
Pioniere, die mit smartem Travel-Equipment auf den Markt drängen, ist das US-Unternehmen Bluesmart. Die Amerikaner entwickeln 2014 mithilfe eines Crowdfunding-Projekts, in das knapp 11.000 Unterstützer über zwei Millionen US-Dollar investieren, einen Trolley, der es in sich hat – und bei technikaffinen Reisenden ins Schwarze trifft. Seit 2016 www.businesstraveller.de ist das Modell auch in Deutschland zu haben – in der zweiten Generation „Black Edition“. Die bietet GPS-Tracking, ein integriertes 3G-Modul, Bluetooth-Anbindung samt App-gesteuertem Schloss und Kofferwaage. Der Trolley lässt sich also orten, er hat außerdem ein eingebautes Ladegerät mit starkem Akku (10.000 mAh), der mobile Ge- räte laut Bluesmart bis zu sechs Mal auflädt. Im Griff befindet sich eine integrierte Waage – die das Ergebnis aufs Smartphone schickt. Das Kofferschloss kann mit einem herkömmlichen Schlüssel oder auch über Bluetooth und die App des Herstellers verriegelt werden, auf Wunsch sogar automatisch. Entfernt man sich, wird der Koffer verschlossen
und eine Nachricht auf Smartphone oder Tablet geschickt. Nähert man sich wieder, öffnet sich das Schloss. Sämtli- che Optionen lassen sich in der App auf Wunsch einstellen oder deaktivieren – geballte Technik in einem rollenden Gepäckstück, das weit mehr ist als eine Aufbewahrungsmöglichkeit für Zweireiher und Schlips.
Track & Go
Das will auch der „Pluggage“von Delsey sein, der bereits im Sommer 2016 die Regale des Fachhandels füllen soll, jedoch – wie bei so vielen Herstellern – deutlich mehr an Entwicklungszeit beansprucht als zunächst angenommen. Einen vorläufigen Prototyp präsentiert das Pariser Unternehmen bereits 2014. Wie das Endprodukt aussehen wird – darüber entscheiden bei Delsey auch oder vor allem die Kunden, die auf der Website ihre „Lieblings-Features“auswählen dürfen. Vom Ladegerät über den Innenlautsprecher bis zu Fluginformation und Wetterprognose – zur Disposition stehen insgesamt zehn Tools, durchsetzen können sich drei. Integrierte Waage, digitaler Verschluss per Fingerabdruck und Standortbestimmung führen das Ranking an bei der Abstimmung der User, weiterer Schnickschnack fällt durchs Raster. Der „Pluggage“wird als „der erste französische Koffer mit Internet-Verbindung“angekündigt, technische Details bleibt der Hersteller bislang schuldig, ebenso wie einen festen Termin zum bevorstehenden Verkaufsstart des vernetzten Begleiters, mit dem Delsey wesentlich zur „Vereinfachung des Reiselebens“beitragen möchte.
Auch der Marktriese Samsonite will ein Modell herausbringen, das mit dem Smartphone verbunden ist und reiseerleichternde Funktionen bietet: Bereits für den Herbst 2016 kündigt der Her-
steller Koffersysteme mit „Track & Go“Technologie an, die via Bluetooth Gepäckstücke innerhalb eines 70-MeterRadius orten und den Besitzer mithilfe einer App über den betreffenden Standort informieren soll. Doch die Markteinführung verzögert sich. Zum World Mobile Congress in Barcelona im Februar gibt Samsonite schließlich eine Kooperation mit Vodafone bekannt, mit dem Ziel, Koffer mit einem System auszustatten, das „Narrowband IoT (NB-IoT)“heißt und neben einem Entfernungsalarm die uneingeschränkte Ortung des Gepäckstücks ermöglichen soll. Die Basis für das Funktionieren des Systems auf lange Distanzen und Zeiträume soll eine extrem langlebige Batterie sein. Noch sei die Technologie nicht reif für die Massenproduktion, man wolle sie jedoch zügig weiterentwickeln und baldmöglichst auf den Markt bringen. „Das smarte Gepäck soll in der Lage sein, mit seinem Besitzer zu kommunizieren, und dabei weit mehr können, als einfach nur seine Position durchzugeben“, erklärt Samsonite-Chef Ramesh Tainwala gegenüber der britischen „Daily Mail“. Um Reisenden die bestmögliche Transparenz zu bieten, sei auch eine Zusammenarbeit mit Flughäfen und Gepäckabfertigungsunternehmen denkbar.
Auf die Zusammenarbeit mit Airlines setzt Kofferspezialist Rimowa bei der Entwicklung seines neuesten Produkts von Anfang an. Das deutsche Traditionsunternehmen packt jedoch – anders als die meisten anderen Hersteller – weder GPS noch Charger in seine hochpreisigen Modelle. Die Kölner fokussieren sich stattdessen auf den „Electronic Tag“, eine digitale Alternative zum Gepäckanhänger aus Papier, der in Zusammenarbeit mit T-Systems und Airbus entsteht. Das Versprechen: Passagiere verlegen den Check-in in die eigenen vier Wände und sparen am Flughafen wertvolle Zeit.
Der „Electronic Tag“, mit dem Rimowa etliche seiner Kofferserien ausrüstet, besteht aus einem fest eingebauten Modul und einem von außen sichtbaren E-InkDisplay. Für die Nutzung braucht man zwei Apps, eine von Rimowa und eine der befördernden Fluggesellschaft – zum Beispiel die von Launch-Partner Lufthansa. Beim mobilen Check-in holt man sich nicht nur die elektronische Bordkarte aufs Smartphone, sondern checkt auch gleich den Koffer ein und überspielt das Gepäcklabel aufs Display. Am Airport stellt man dann den Koffer nur noch aufs Gepäckband und geht Richtung Gate, ohne sich vorher in die Schlangen vor dem Schalter oder Automaten einreihen zu müssen. Vorausset- zung: Der Flughafen bietet entsprechende Abgabestationen an – falls nicht, verläuft der Check-in auf die klassische Art, der Zeitfaktor kommt nicht zum Tragen. Auch muss man mit der „richtigen“Airline unterwegs sein – aktuell können Reisende ihren „Electronic Tag“ausschließlich mit Lufthansa und der asiatischen EVA Air nutzen. United, Condor und Thomas Cook befinden sich laut Rimowa in der Testphase.
E-Tag statt Papier-Anhänger
Dass der elektronische Tag so viel Mehrwert bringt, ist umstritten. Liest man Erfahrungsberichte in den Vielfliegerforen, ist von langwierigen Anmeldeprozeduren die Rede, von Problemen mit der/den Apps und mangelnder Infrastruktur an den Airports. Auch das Argument, der „Electronic Tag“sei sicherer als die Papierversion, darf zumindest bezweifelt werden: „Nichts ist robuster als klassische Gepäckanhänger aus Papier“, sagt ein Verantwortlicher im Terminal 2 des Münchner Flughafens. „Die kleben felsenfest und sind auf ihrem Weg über die Förderbänder
ins Flugzeug keinen nennenswerten Witterungseinflüssen ausgesetzt.“
Auch dem Nutzen von GPS-Modulen im Gepäck steht der Fachmann eher kritisch gegenüber: „Wird hier im Terminal ein Koffer eingecheckt, wissen wir zu jeder Zeit, wo sich dieser befindet – vom Auflegen aufs Band bis in den Frachtraum des Flugzeugs und umgekehrt.“Mit seiner Hightech-Gepäckanlage, die bereits 2004 installiert wurde und täglich zwischen 35.000 und 40.000 Gepäckstücke befördert, gehört das Terminal 2 im Erdinger Moos klar zu den bestausgestatteten weltweit. Mit der dort beheimateten Lufthansa und ihren Star-Alliance-Partnern ziehe man an einem Strang. Weil diese Standards längst nicht überall zu finden sind, hat der Luftfahrtverband IATA bereits 2015 eine neue Gepäckregel (Resolution 753) verabschiedet, die im Juni 2018 in Kraft tritt und Airlines wie Airports dazu verpflichtet, die Voraussetzungen zu schaffen, um aufgegebenes Gepäck lückenlos verfolgen zu können. „Wenn das nicht gegeben ist, kannst du bei Problemen nicht proaktiv eingreifen, und so bleibt dir nur die Hoffnung, das Gepäck möge seine Anschlüsse schaffen und am Zielort ankommen“, sagt IATASprecher Andrew Price gegenüber dem Portal Future Travel Experience. Und: „Selbst wenn du nicht mehr eingreifen kannst, bedeutet doch die Möglichkeit, dem Passagier detaillierte Informationen über den Verbleib seines Gepäcks geben zu können, einen deutlich verbesserten Kundenservice.“
Diese Information wissen Passagiere garantiert zu schätzen, weshalb gerade die GPS-Funktion im Koffer bei Vielreisenden zunehmend populärer wird. „Solange die Infrastruktur von Flughäfen nicht auf dem aktuellen Stand ist und Airlines im Gepäckhandling derart unterschiedlich funktionieren, verlasse ich mich lieber auf mich selbst“, schreibt BT-Leser Heiko Stache in einer Mail an die Redaktion. Ein StandortTracker sei deshalb eine sinnvolle Anschaffung – die obendrein nicht die Welt kostet: In der Regel schlägt die Aufrüstung von Koffern mit technischen Finessen wie GPS oder Electronic Tag mit etwa 60 Euro zu Buche.