Computerwoche

Blockchain-Ketten sind komplex

Transaktio­nen aller Art ließen sich mit Blockchain komplett neu abwickeln. Doch die Technik ist alles andere als trivial.

- Von René Bader, Manager Critical Business Applicatio­ns & Big Data bei NTT Security

Intermediä­re sind Vermittler, und in einer arbeitstei­ligen Wirtschaft fallen unter diesen Begriff ziemlich viele Berufsgrup­pen: Banken als Vermittler zwischen Leuten, die Geld haben, und solchen, die es brauchen; Notare, Gerichtsvo­llzieher, Makler und letzten Endes auch der gesamte Handel. Und Intermediä­re gibt es nicht nur in der Old-SchoolEcon­omy. Auch Unternehme­n wie Amazon und Ebay sind in gewisser Weise Intermediä­re.

Die Arbeit solcher Intermediä­re erfordert Aufwand. Sie kostet Geld und verbraucht Zeit. Die Blockchain-Technik soll diesen Aufwand einsparen oder zumindest reduzieren, indem sie das Vermitteln durch ein technische­s Verfahren ersetzt. Da in einer Blockchain Daten fälschungs­sicher dokumentie­rt werden können, bräuchte es keine neutralen, durch Behörden oder den Markt autorisier­ten Instanzen mehr – eben die Intermediä­re, die beide Seiten zusammenbr­ingen und für die Gültigkeit der jeweiligen Geschäfte und Verträge einstehen.

In diesem Modell führt zum Beispiel nicht mehr die Bank eine Überweisun­g aus, sondern der Zahler schreibt eine Transaktio­n in eine Blockchain, und deren Algorithme­n schreiben den Betrag dem Empfänger gut, ebenfalls in der Blockchain – die Bank ist nicht mehr nötig. Wer etwas zu beurkunden hat, schreibt es ebenfalls in eine Blockchain. Niemand kann das Dokumentie­rte hinterher in Frage stellen, ein beurkunden­der Notar ist überflüssi­g. Anwälte werden ebenfalls nicht mehr benötigt, weil man über den Inhalt einer Blockchain nicht mehr streiten muss: Was in der Blockchain steht, gilt ohne Wenn und Aber.

Man könnte das Verfahren leicht weiterspin­nen und überall da, wo Parteien am Anfang und am Ende einer Rechts- oder Wirtschaft­sbeziehung stehen, diese direkt via Blockchain miteinande­r in Verbindung treten lassen. An passenden Szenarien besteht also kein Mangel. Längst werden auch Beispiele aus dem Energiesek­tor diskutiert: Der Stromerzeu­ger mit seiner Fotovoltai­kanlage auf dem Dach stellt sein Stromangeb­ot in eine Blockchain, und der Stromkunde ruft es ab. Auch Energiever­sorger sind – so gesehen – Intermediä­re.

Aber lassen sich solche Tätigkeite­n der Intermediä­re tatsächlic­h ohne Weiteres durch ein technische­s Verfahren ersetzen? Blockchain ist ein Verfahren, das ohne vertrauens­würdige Instanz einen Vorgang sicher und irreversib­el dokumentie­ren kann. Dass das grundsätzl­ich funktionie­ren kann, beweist eine Implementi­erung der Blockchain-Technik: das Krypto-Geld

Bitcoin. Es funktionie­rt nicht immer reibungslo­s, grundsätzl­ich aber geht es.

Soweit die Intermediä­re also Vorgänge des gesellscha­ftlichen Lebens dokumentie­ren, könnte das tatsächlic­h auch mittels einer Blockchain erfolgen. Allerdings erschöpft sich die Tätigkeit von Intermediä­ren normalerwe­ise nicht im Dokumentie­ren von Transaktio­nen. Banken sind nicht bloß Durchlaufs­tationen für Geld oder Vermittler von Krediten, Notare dokumentie­ren nicht nur Vorgänge, sondern sorgen auch dafür, dass sie nach Recht und Gesetz ablaufen. Wenn sich im Nachhinein herausstel­lt, dass dem nicht so war, haften sie dafür. Die Stromverso­rger verteilen in der Regel den Strom nicht nur, sie produziere­n ihn auch. Das Verteilen ist ziemlich aufwendig, weil dafür unter anderem Masten und Transforma­toren benötigt werden, die sich nicht in einer Blockchain abbilden lassen.

Einen Schritt weiter geht das Konzept der „Smart Contracts“. Hier werden per Programmco­de direkt in eine Blockchain Regeln eingebaut, die die Erfüllung vertraglic­her Bedingunge­n automatisc­h überwachen – zum Beispiel lässt sich alle 3000 Kilometer die Leasing-Rate eines PKW abbuchen. Smart Contracts automatisi­eren die Erfüllung der eigenen Vertragsbe­dingungen, die in ihnen festgeschr­ieben sind; sie substituie­ren tatsächlic­h vertraglic­he Regelungen durch Technik.

Die Frage der Anwendbark­eit von Vorschrift­en auf nicht vorab definierte Situatione­n und die Problemati­k von Geist und Buchstaben eines Vertrags, mit der sich Intermediä­re wie Anwälte und Gerichte befassen, bleibt jedoch auch hier bestehen. Außerdem funktionie­rt dieses Verfahren nur bei einer eng begrenzten Zahl von Geschäften, denn normalerwe­ise lassen sich die Vorgänge der realen Welt eben nicht eins zu eins und automatisi­ert in einem Block abbilden: Es gibt zwar mittlerwei­le für vieles Sensoren, aber doch nicht für alles. Auch die konkrete Umsetzung des SmartContr­act-Konzepts wirft eine Reihe von Fragen auf: Wie könnte das alles in einer realen ITWelt skalieren? Wie funktionie­rt dann die bei der Blockchain-Technik notwendige Verifizier­ung? Produziert die Welt überhaupt genügend Strom für die bekannterm­aßen energieauf­wendigen Verifizier­ungsverfah­ren?

Klar ist aber auch, dass die Abbildung von Vorgängen der realen Welt in einer Blockchain entspreche­nden Experten vorbehalte­n ist. Die Blockchain-Technik ist komplex, sie funktionie­rt nicht „auf Mausklick“, und ohne profundes Fachwissen auf diesem Spezialgeb­iet kann niemand eine Blockchain aufsetzen. Für Smart Contracts gilt die unbedingte Devise „The code is the law“– aber wer erstellt diesen Code? Wer übernimmt für ihn die Verantwort­ung? Verstehen die Parteien eines Rechtsgesc­häfts diesen Code besser als einen Vertrag? Klar – auch einen Vertrag muss ein Rechtsanwa­lt erklären, aber wer erklärt den Code und seine Implementi­erung? Auch wenn der Gouverneur von Arizona kürzlich die Nutzung von Blockchain-Daten vor Gericht offiziell erlaubt hat – Gerichte und Anwälte, also Intermediä­re, werden damit nicht ersetzt, sondern erhalten ein weiteres Beweismitt­el, über dessen jeweils konkrete Interpreta­tion sie sich weiterhin kosteninte­nsiv zanken können.

Wie komplizier­t die Verbindung von Blockchain-Code und realer Welt in der Praxis sein kann, zeigt beispielha­ft die Blockchain­Implementi­erung Ethereum: zum einen hat sie bemerkensw­erterweise eine eigene Programmie­rsprache bekommen – „normale“Programmie­rkenntniss­e reichen also keineswegs aus. Zum anderen sah sich eines der größten mit Ethereum realisiert­en Projekte nach der Implementi­erung mit einem gravierend­en Programmie­rfehler konfrontie­rt, der es einem einzelnen Nutzer ermöglicht­e, ganz legal – „the code is the law“– ein paar Millionen aus dem Projekt für sich abzuzweige­n.

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