Blockchain-Ketten sind komplex
Transaktionen aller Art ließen sich mit Blockchain komplett neu abwickeln. Doch die Technik ist alles andere als trivial.
Intermediäre sind Vermittler, und in einer arbeitsteiligen Wirtschaft fallen unter diesen Begriff ziemlich viele Berufsgruppen: Banken als Vermittler zwischen Leuten, die Geld haben, und solchen, die es brauchen; Notare, Gerichtsvollzieher, Makler und letzten Endes auch der gesamte Handel. Und Intermediäre gibt es nicht nur in der Old-SchoolEconomy. Auch Unternehmen wie Amazon und Ebay sind in gewisser Weise Intermediäre.
Die Arbeit solcher Intermediäre erfordert Aufwand. Sie kostet Geld und verbraucht Zeit. Die Blockchain-Technik soll diesen Aufwand einsparen oder zumindest reduzieren, indem sie das Vermitteln durch ein technisches Verfahren ersetzt. Da in einer Blockchain Daten fälschungssicher dokumentiert werden können, bräuchte es keine neutralen, durch Behörden oder den Markt autorisierten Instanzen mehr – eben die Intermediäre, die beide Seiten zusammenbringen und für die Gültigkeit der jeweiligen Geschäfte und Verträge einstehen.
In diesem Modell führt zum Beispiel nicht mehr die Bank eine Überweisung aus, sondern der Zahler schreibt eine Transaktion in eine Blockchain, und deren Algorithmen schreiben den Betrag dem Empfänger gut, ebenfalls in der Blockchain – die Bank ist nicht mehr nötig. Wer etwas zu beurkunden hat, schreibt es ebenfalls in eine Blockchain. Niemand kann das Dokumentierte hinterher in Frage stellen, ein beurkundender Notar ist überflüssig. Anwälte werden ebenfalls nicht mehr benötigt, weil man über den Inhalt einer Blockchain nicht mehr streiten muss: Was in der Blockchain steht, gilt ohne Wenn und Aber.
Man könnte das Verfahren leicht weiterspinnen und überall da, wo Parteien am Anfang und am Ende einer Rechts- oder Wirtschaftsbeziehung stehen, diese direkt via Blockchain miteinander in Verbindung treten lassen. An passenden Szenarien besteht also kein Mangel. Längst werden auch Beispiele aus dem Energiesektor diskutiert: Der Stromerzeuger mit seiner Fotovoltaikanlage auf dem Dach stellt sein Stromangebot in eine Blockchain, und der Stromkunde ruft es ab. Auch Energieversorger sind – so gesehen – Intermediäre.
Aber lassen sich solche Tätigkeiten der Intermediäre tatsächlich ohne Weiteres durch ein technisches Verfahren ersetzen? Blockchain ist ein Verfahren, das ohne vertrauenswürdige Instanz einen Vorgang sicher und irreversibel dokumentieren kann. Dass das grundsätzlich funktionieren kann, beweist eine Implementierung der Blockchain-Technik: das Krypto-Geld
Bitcoin. Es funktioniert nicht immer reibungslos, grundsätzlich aber geht es.
Soweit die Intermediäre also Vorgänge des gesellschaftlichen Lebens dokumentieren, könnte das tatsächlich auch mittels einer Blockchain erfolgen. Allerdings erschöpft sich die Tätigkeit von Intermediären normalerweise nicht im Dokumentieren von Transaktionen. Banken sind nicht bloß Durchlaufstationen für Geld oder Vermittler von Krediten, Notare dokumentieren nicht nur Vorgänge, sondern sorgen auch dafür, dass sie nach Recht und Gesetz ablaufen. Wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass dem nicht so war, haften sie dafür. Die Stromversorger verteilen in der Regel den Strom nicht nur, sie produzieren ihn auch. Das Verteilen ist ziemlich aufwendig, weil dafür unter anderem Masten und Transformatoren benötigt werden, die sich nicht in einer Blockchain abbilden lassen.
Einen Schritt weiter geht das Konzept der „Smart Contracts“. Hier werden per Programmcode direkt in eine Blockchain Regeln eingebaut, die die Erfüllung vertraglicher Bedingungen automatisch überwachen – zum Beispiel lässt sich alle 3000 Kilometer die Leasing-Rate eines PKW abbuchen. Smart Contracts automatisieren die Erfüllung der eigenen Vertragsbedingungen, die in ihnen festgeschrieben sind; sie substituieren tatsächlich vertragliche Regelungen durch Technik.
Die Frage der Anwendbarkeit von Vorschriften auf nicht vorab definierte Situationen und die Problematik von Geist und Buchstaben eines Vertrags, mit der sich Intermediäre wie Anwälte und Gerichte befassen, bleibt jedoch auch hier bestehen. Außerdem funktioniert dieses Verfahren nur bei einer eng begrenzten Zahl von Geschäften, denn normalerweise lassen sich die Vorgänge der realen Welt eben nicht eins zu eins und automatisiert in einem Block abbilden: Es gibt zwar mittlerweile für vieles Sensoren, aber doch nicht für alles. Auch die konkrete Umsetzung des SmartContract-Konzepts wirft eine Reihe von Fragen auf: Wie könnte das alles in einer realen ITWelt skalieren? Wie funktioniert dann die bei der Blockchain-Technik notwendige Verifizierung? Produziert die Welt überhaupt genügend Strom für die bekanntermaßen energieaufwendigen Verifizierungsverfahren?
Klar ist aber auch, dass die Abbildung von Vorgängen der realen Welt in einer Blockchain entsprechenden Experten vorbehalten ist. Die Blockchain-Technik ist komplex, sie funktioniert nicht „auf Mausklick“, und ohne profundes Fachwissen auf diesem Spezialgebiet kann niemand eine Blockchain aufsetzen. Für Smart Contracts gilt die unbedingte Devise „The code is the law“– aber wer erstellt diesen Code? Wer übernimmt für ihn die Verantwortung? Verstehen die Parteien eines Rechtsgeschäfts diesen Code besser als einen Vertrag? Klar – auch einen Vertrag muss ein Rechtsanwalt erklären, aber wer erklärt den Code und seine Implementierung? Auch wenn der Gouverneur von Arizona kürzlich die Nutzung von Blockchain-Daten vor Gericht offiziell erlaubt hat – Gerichte und Anwälte, also Intermediäre, werden damit nicht ersetzt, sondern erhalten ein weiteres Beweismittel, über dessen jeweils konkrete Interpretation sie sich weiterhin kostenintensiv zanken können.
Wie kompliziert die Verbindung von Blockchain-Code und realer Welt in der Praxis sein kann, zeigt beispielhaft die BlockchainImplementierung Ethereum: zum einen hat sie bemerkenswerterweise eine eigene Programmiersprache bekommen – „normale“Programmierkenntnisse reichen also keineswegs aus. Zum anderen sah sich eines der größten mit Ethereum realisierten Projekte nach der Implementierung mit einem gravierenden Programmierfehler konfrontiert, der es einem einzelnen Nutzer ermöglichte, ganz legal – „the code is the law“– ein paar Millionen aus dem Projekt für sich abzuzweigen.