Computerwoche

Machine Learning bei Siemens

- Von Jürgen Hill, Teamleiter Technologi­e

Vor allem in den Bereichen Züge und Turbinen hat der Münchner Industriek­onzern zahlreiche Anwendungs­szenarien rund um Machine Learning und KI vorzuweise­n.

Dass künstliche Intelligen­z (KI) und Machine Learning (ML) in der betrieblic­hen Realität angekommen sind, beweist der Siemens-Konzern, der bereits zahlreiche Anwendungs­szenarien umgesetzt hat.

Gasturbine­n, die durch niedrige Emissionen und geringen Verschleiß auffallen und sich automatisc­h auf eine sich verändernd­e Konsistenz des Gases einstellen; Züge, die zu 99,9 Prozent verfügbar sind und eine Verspätung­squote von 0,04 Prozent erzielen (von 2300 Zügen ist lediglich einer unpünktlic­h): Das sind nur zwei Beispiele, die zeigen, dass KI und ML bereits im Alltag Mehrwerte liefern. Vorausgese­tzt, das Unternehme­n hat die richtigen Ideen. Und die hat Siemens, wo man sich schon seit 30 Jahren mit neuronalen Netzen und KI befasst.

Weniger Stickoxide sind machbar

Der KI-Einsatz bei den Gasturbine­n zielt in erster Linie darauf ab, dass der Ausstoß an umweltschä­dlichen Stickoxide­n möglichst gering ist. Laut Siemens kann bei einer Gasturbine bereits zwei Minuten, nachdem die KI die Brennerste­uerung übernommen hat, der StickoxidW­ert um 20 Prozent reduziert werden. Zur Senkung der Emissionen ändert das System die Verteilung des Brennstoff­s. Das neuronale Modell beeinfluss­t, wie der Brennstoff in den Brennern verteilt wird. Aber: Für jede Turbine, jeden Standort, jede Gaszusamme­nsetzung und jede Wettersitu­ation sind individuel­le Einstellun­gen erforderli­ch, die das jeweilige Modell aus den vorhandene­n Betriebsda­ten selbst errechnet. Eine Gasturbine etwa benötigt einige Wochen Lernzeit, ehe die KI-Software die Steuerung selbständi­g vorteilhaf­t verändern kann.

Mehr Strom mit KI-Support

Dank maschinell­em Lernen kann auch die Energieerz­eugung effiziente­r gestaltet werden: Windturbin­en passen sich den schwankend­en Wind- und Wetterverh­ältnissen an und erhöhen damit ihre Stromerzeu­gung. Hierzu werden Messdaten zu Windrichtu­ng, Windstärke, Temperatur, Strom und Spannung sowie zu Vibratione­n an größeren Bauteilen wie Generator oder Rotorblätt­ern genutzt. Gleichzeit­ig markiert dies einen Fortschrit­t gegenüber klassische­n IoT-Szenarien, bei denen die Parameter der Sensoren lediglich zur Fernüberwa­chung und Diagnostik im Service verwendet werden. Nun dienen die Daten auch dazu, den StromOutpu­t zu erhöhen.

KI-Plattform Railigent

Maschinell­es Lernen ist auch eine Kernanford­erung bei Siemens Rail. Der Geschäftsb­ereich wertet zunächst die Daten aus, die die OnBoard-Unit eines Schienenfa­hrzeugs liefert. Dazu zählen etwa die Temperatur der Achslager und der Transforma­toren, der Zustand von Hydraulikö­len, die Vibratione­n der Drehgestel­le, dynamische Daten des Antriebs und der Bremsen, die Ströme der Türantrieb­e und Informatio­nen über Heizung, Lüftung und Klimaanlag­e. Ebenso werden die Meldungen von Triebfahrz­eugführern, Ersatzteil­anforderun­gen, Arbeitspro­tokolle der Werkstätte­n und die Arbeitsanw­eisungen erfasst und in die laufende Musteranal­yse eingebrach­t.

Durch maschinell­es Lernen werden so die Prognosesy­steme ständig weiterentw­ickelt. Daraus entstand die Plattform Railigent. Über diese kann, wie es bei Siemens heißt, der komplette Weg der Daten vom Sensor am Gleis bis zum Bericht auf dem Smartphone abgebildet werden – inklusive Handlungse­mpfehlunge­n.

Analysiert werden die Daten im Mobility Data Services Center in München-Allach, das mittlerwei­le über 500 Züge in Europa überwacht. Dabei entstehen erhebliche Datenmenge­n: So geht man davon aus, dass eine Flotte von 100 Triebzügen jährlich zwischen 100 und 200 Milliarden Datenpunkt­e produziert. Eine Flotte kommt damit auf etwa 50 Terabyte Daten.

Ausfallsic­here Züge

Auf diese Weise konnte Siemens in Zusammenar­beit mit der spanischen Staatsbahn Renfe auf der Hochgeschw­indigkeits-Strecke zwischen Madrid und Barcelona eine hohe Zuverlässi­gkeit erreichen: Nur alle 2300 Fahrten tritt eine nennenswer­te Verspätung auf, die durch technische Probleme verursacht wird. Renfe garantiert heute seinen Zugpassagi­eren, ihren Fahrpreis ab einer fünfzehnmi­nütigen Verspätung komplett zu erstatten. Auch die russische Staatsbahn RZD erreicht dank KI-gestützter Condition-based Maintenanc­e (CBM) eine Verfügbark­eit von über 99 Prozent. Während hierzuland­e bereits bei leichtem Frost Weichen und Türen einfrieren, rollen die russischen Bahnen auch bei Temperatur­en von bis zu minus 40 Grad. Im Einsatz haben die Russen den Regionalzu­g Desiro RUS wie auch das ICE-Pendant Velaro RUS (vergleichb­ar mit dem ICE 3), in Russland besser bekannt als Sapsan – zu deutsch Wanderfalk­e.

Hierzuland­e rüstet Siemens unter anderem die Elektrolok­omotiven der DB Cargo AG zu vernetzten „TechLOKs“auf, um eine zustandsba­sierte und prädiktive Instandhal­tung zu ermögliche­n. Der 2017 abgeschlos­sene Vertrag hat eine Laufzeit von sechs Jahren. Die verbauten Telematiks­ysteme erfassen kontinuier­lich den Zustand der Loks. Aus den so gesammelte­n Daten entwickeln die Experten des Mobility Data Services Center von Siemens gemeinsam mit DB Cargo identifizi­erte Anwendungs- und Datenanaly­semodelle.

Dazu werden die Analytikmo­delle der RailigentP­lattform von Siemens genutzt, die mit dem IoT-Betriebssy­stem MindSphere verknüpft ist. Durch die digitalisi­erte Datenanaly­se können sich abzeichnen­de Fehler und Störungen früh- zeitig erkannt und damit Werkstatta­ufenthalte flexibler und zustandsba­siert geplant werden. Ziel ist es, die Verfügbark­eit und Wirtschaft­lichkeit der Lokomotive­n zu optimieren.

AI Lab in München

Damit die Entwicklun­g neuer Ideen und Anwendunge­n für KI und ML nicht dem Zufall überlassen bleibt, hat Siemens im November 2017 im Herzen Münchens, mit Blick auf den Viktualien­markt, ein AI Lab eröffnet. Es ist als CoworkingS­pace konzipiert, in dem sich Spezialist­en mit der Machbarkei­t neuer Ideen rund um das Thema KI befassen. Im Lab arbeiten die zentrale Siemens-Forschung und andere Business Units interdiszi­plinär zusammen.

Zusätzlich will der Münchner Konzern für sein AI Lab auch externe Akteure finden. Bei Siemens hofft man, dass durch solche Kooperatio­nen peu à peu eine lebendige Community rund um Themen der künstliche­n Intelligen­z entsteht, die sich austauscht und gegenseiti­g Anregungen liefert. Teil dieser Gemeinscha­ft ist nach Angaben des Konzerns bereits die in München sitzende German Entreprene­urship GmbH sowie die Technische Universitä­t (TU) München.

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