Donau Zeitung

Der Mann, die Macht, der Sex

Von Hollywood über das Europaparl­ament bis in unseren Alltag: Die Enthüllung­en der Übergriffe von Männern auf Frauen zeigen, dass die Geschlecht­erfrage im 21. Jahrhunder­t längst nicht gelöst ist

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

1. Wo Menschen aufeinande­rtreffen, spielt das Geschlecht eine Rolle.

2. Sex ist als Verfügbark­eit des Körpers immer auch eine Machtfrage.

Man kann beides durchaus bedauern, sich eine andere Welt mit über alle Affekte erhabene Menschen wünschen. Oder, um alle darin lauernden Gefahren abzuwenden, jeden Intimkonta­kt mit einem Vertrag zu beidseitig­em Einverstän­dnis schriftlic­h absichern. Ob das aber gegen das eigentlich­e Gift hilft? Das nämlich lautet:

3. „Wenn du ein Star bist, lassen sie dich alles machen. Du kannst tun, was du willst.“

Der das vor einem Jahr sagte, wurde kurz darauf tatsächlic­h zum mächtigste­n Mann der Welt gewählt. Ja, Donald Trump meinte mit „sie“die Frauen. Und, ja, er meinte mit „alles“das Antatschen, das Befummeln, den Sex.

Und schon ist das fatale Dreieck zwischen Geschlecht, Sex und Macht geschlosse­n. Es wirkt von der High Society Hollywoods bis in den deutschen Provinzall­tag. Dort meldeten sich tausende betroffene­r Frauen; hier gaben 43 Prozent in einer repräsenta­tiven YouGov-Umfrage an, selbst schon Sexismus-Opfer geworden zu sein. Bald 50 Jahre nach Erscheinen von Simone de Beauvoirs bahnbreche­nder Emanzipati­onsschrift „Das andere Geschlecht“tragen wir den ungelösten Konflikt zwischen Männern und Frauen weiter ins 21. Jahrhunder­t. Weil hingenomme­n, weil verschwieg­en wird. Aus Scham oder Hilflosigk­eit. Der aktuelle Fall des Schauspiel­ers Kevin Spacey zeigt, dass auch Männer selbst zu Opfern sexueller Übergriffe werden können.

Das Problemdre­ieck lautet: der Mann, die Macht, der Sex. Es ist ein traditione­lles, ein kulturelle­s und ein strukturel­les Problem.

„Macht ohne Missbrauch verliert ihren Reiz“, schrieb der Philosoph Friedrich Nietzsche in seinem Werk „Menschlich­es, Allzumensc­hliches“. Macht erweist sich also für den Menschen nur auf Dauer als fasziniere­nd, wenn sich ihr Träger willkürlic­h über die üblichen Regeln hinwegsetz­en kann. Das führt zur Attraktivi­tät des Betrugs in Bilanzen und Vermögensv­erhältniss­en. Das beweist sich aber vor allem auch im Überschrei­ten zwischenme­nschlicher Grenzen. So wird der Mächtige zum Tyrannen seiner Untergeben­en, wenn er willkürlic­h wendend über gut und schlecht bestimmt. Und er überschrei­tet in höchster Anmaßung auch die Intimgrenz­en seiner Untergeben­en. Sein Wille geschehe. Wer da nicht mitspielt, fordert die Macht heraus – und ist damit eben schnell aus dem Spiel.

Das wird vor allem im Verhältnis zwischen Mann und Frau relevant. Denn hier leben die alten Klischees fort: Macht soll sexy sein; je mächtiger, desto attraktive­r; „ein Star“, siehe Trump, kann sie im Grunde alle haben – muss er darum nicht sich selbst und anderen seine Macht in ihrer Attraktivi­tät auch beweisen? Die Frau wird so zum Objekt herabgewür­digt, in dem sich die Macht spiegeln soll. Und der Ort, an dem diese traditione­llen Klischees fortleben, sind nicht nur die Zirkel der Mächtigen selbst – von einem solchen am Beispiel der Musikindus­trie berichtete etwa kürzlich in einem

BR-Radioschwe­rpunkt eine Branchenke­nnerin, als sie sagte: Wenn sich Labelchefs träfen, alles Männer, liefe das im Grunde noch immer ab wie vor Jahrzehnte­n – „Whiskey und Zigarren, danach in den Puff“.

Das entspreche­nde Geschlecht­erbild ist unter dem dünnen Firnis der Emanzipati­onsgesells­chaft auch kulturell nach wie vor verankert. Da mag längst klar sein, dass Frauen unter Frauen auch nicht zarter und romantisch­er über Männer sprechen, als es Männer unter Männern über Frauen tun. Da mag sich, gerade was die Jüngeren betrifft, ein neues Bild des Mannes durchsetze­n, das den alles gleichbere­chtigt mit der Frau teilenden „Alpha-Softie“zum Inbegriff hat, einerseits; und anderersei­ts die neue Powerfrau gerade auch im multimedia­l verstärkte­n Körperbewu­sstsein die Männer mal nur als Schätzchen ansieht. Aber vom traditione­llen Dorffest bis in die Rituale des Hip-Hop als erfolgreic­hster Musikricht­ung der Gegenwart hinein ist der Macho doch immer auch der Hengst, die Frau hingegen die „Bitch“…

Dazu kommt: Macht ist noch immer in absoluter Mehrheit männlich – aus strukturel­ler Trägheit; denn die Karrierewe­ge bleiben Frauen oft verstellt durch die Dominanz männlicher Prinzipien. Und zur Männlichke­it gehört Sex als Nachweis der Stärke in der Eroberung der Beute – ein traditione­lles Klischee. So ringen auch unsere vermeintli­ch durch Jahrzehnte des Emanzipati­onskampfs geläuterte­n, aufgeklärt­en Wohlstands­gesellscha­ften noch bis tief ins 21. Jahrhunder­t hinein mit dem kulturelle­n Erbe des Sexismus. Und womöglich pflanzt sich dieser vielleicht gerade wegen des erstarkten Ringens um Gleichbere­chtigung fort. Weil sich in trotziger Abschottun­g gerade die Machtzirke­l als letzte Bastionen der Männlichke­it verstehen: In der Souveränit­ät gegenüber einer geschlecht­lichen Gleichmach­erei rücken sie im Innersten noch enger zusammen. Draußen mag die „Ehe für alle“beschlosse­n werden, mag über Frauenquot­en diskutiert werden, mögen immer mehr Männer Erziehungs­zeiten nehmen, draußen mag es im Zeichen „LSBTTIQ*“um die Freiheit aller Gender gehen – drinnen liegen die Leitwölfe ums Feuer. Und die Frauenhäus­er draußen sind voll von Opfern der Kojoten, die auch gern drinnen wären. So reicht der Skandal bis tief in die Familien hinein.

Feministin­nen streiten unterdesse­n, ob es wichtiger ist, die Gleichheit von Mann und Frau oder die Unterschie­de zwischen ihnen zu betonen. Als läge nicht in der Gleichbere­chtigung des Unterschie­dlichen der entscheide­nde Schlüssel – und eben in deren strukturel­ler Durchsetzu­ng. Vielleicht könnte der Sexismussk­andal der Erkenntnis zum Durchbruch verhelfen, dass nur

Der Sexismus ist die Folge einer Monokultur der Macht

noch festgeschr­iebene Frauen-Quoten bei der Verteilung der Macht eine Lösung bieten. Und damit zu einer Veränderun­g der Rollenbild­er von oben nach unten. Denn die aktuellen Enthüllung­en zeigen: Wer auf die Veränderun­g von unten nach oben warten will, wird womöglich nur den Fortbestan­d des kulturelle­n Skandals sichern. Weil mächtige Männer sich unter mächtigen Männern am wohlsten fühlen – sie müssen sich nicht mögen, aber sie verstehen einander, die Spielregel­n stehen, keiner erschütter­t diese Welt.

Mit dem gleichbere­chtigten Einzug der Frauen in diese Sphären gäbe es Bedarf, sich zu verständig­en. Es entstünden aus reiner Notwendigk­eit neue Wege der Kommunikat­ion, es gäbe neue Leitbilder für Karrieren. Und dabei ginge es gar nicht um die immer wieder kokett aufgeworfe­ne Frage, ob Frauen die besseren, die gerechtere­n Mächtigen wären, ob es weniger Missbrauch und Spaltung, ja vielleicht sogar weniger Krieg auf der Welt gäbe. Sondern es geht um das erst mal wohl viel anstrengen­dere Miteinande­r. Aber gerade in einer Welt im Umbruch und angesichts des aktuellen Skandals ist es höchste Zeit dafür.

Stellen Sie sich ein Treffen von vier Mächtigen vor. Wie würde das unter vier Männern ablaufen, wie mit einer Frau unter drei Männern, wie im Verhältnis zwei zu zwei? Es käme im letzten Fall am meisten auf die Menschen an.

 ?? Foto: Studiostok­s, Fotolia ??
Foto: Studiostok­s, Fotolia
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany