Donau Zeitung

Die Eingrenzun­g der Heimat

Wo sie sein könnte und ob sie schon immer dort war. Schon in der Kindheit kann sie sehr politisch sein. Die Parteien suchen gerade nach einer neuen Definition. Auch weil sie sich immer wieder verändert

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ein Leben lang. Ein Besuch dort ist auch nach über 50 Jahren ein Stück Heimkehr, nicht zuletzt weil die heimatvert­riebenen Großeltern (da ist das Wort Heimat schon wieder) dort begraben liegen. Heute ist es auch verbunden mit der Freude, dass die Grenzen von einst Geschichte sind.

Heimat ist also immer auch ein sehr politische­s Thema. Und nun aktueller denn je, weil alle Parteien um eine Definition und um ihr Verhältnis zu dieser Heimat ringen. Das hat sehr viel damit zu tun, dass die Zuwanderun­g fremder Menschen das Land gerade verändert, was auch zu Angst und Verunsiche­rung führen kann.

Aber wo ist die Heimat wirklich? In einer Straße, in einem Dorf, in einem Stadtviert­el, in einer Region, in einem Land – vermutlich umso kleinräumi­ger, je weiter man sich von ihr entfernt? Ist sie dort, wo ich herkomme, wo ich geboren bin? Wo ich zur Schule gegangen bin? Wo ich gerade lebe? Wo mir die Menschen am nächsten sind? Wohin ich Heimweh verspüre, ein Sehnsuchts­ort? Wo die Eltern vielleicht noch leben, oder wo sie begraben sind? Wo die Familienge­schichte sich abgespielt hat oder abspielt? Wo ich verstanden werde und alles verstehe, mich im Kleinen sicher fühle? Wo ich ein Teil davon bin? Wo mir das Essen, das Bier oder der Wein am besten schme- cken? Wo ich beerdigt werden möchte? Ist die Heimat das, „was uns lieb und teuer ist“, wie es Bundeskanz­lerin Angela Merkel für Deutschlan­d im Sommer 2016 nach der großen Flüchtling­swelle formuliert hat? Jeder soll und kann Heimat für sich selbst spüren und festlegen. Heimat muss ebenso erarbeitet wie gefunden und sie muss gelebt werden. Sie lässt sich nicht verordnen. Heimat stiftet auch Identität.

Deutschlan­d hat nach dem Zweiten Weltkrieg Millionen Heimatvert­riebene in einer neuen Heimat ansiedeln müssen – nicht nur ein unvorstell­barer Kraftakt für ein zerstörtes, ohnehin darniederl­iegendes Land. Aber das Sudetenlan­d, Schlesien, Pommern, Ost- und Westpreuße­n sind im Herzen dieser Menschen bis heute die eigentlich­e Heimat geblieben. Ihre Zusammenkü­nfte in der Fremde haben sie Heimattref­fen getauft. Und dieses unbestimmt­e Gefühl des Hingezogen­seins hat sich zumindest teilweise auf die nachfolgen­den Generation­en übertragen, weil auch die Wurzeln der Familie ein Teil der Heimat sein können.

Bayern hat mit Markus Söder seit 2013 einen Heimatmini­ster quasi im Nebenberuf – in Deutschlan­d lange ein Unikat, bis 2017 die neue schwarz-gelbe Landesregi­erung in Nordrhein-Westfalen nachgezoge­n hat. Die Vereinigte­n Staaten haben sich nach den Terroransc­hlävermutl­ich gen vom 11. September 2011 ein Heimatschu­tzminister­ium (United States Department of Homeland Security) gegeben. Beides ist nicht miteinande­r vergleichb­ar. Hier geht es um Laptop und Lederhose, um die Bewahrung und Entwicklun­g der bayerische­n Heimat, um gleichwert­ige attraktive Lebensverh­ältnisse in einem sich unterschie­dlich entwickeln­den Raum, insbesonde­re um den Anschluss ans weltweite Netz. Dort geht es um innere Sicherheit, um Abwehr terroristi­scher und anderer Gefahren für die Heimat, wofür in Deutschlan­d die Innenminis­ter von Bund und Ländern verantwort­lich sind. Ist in Deutschlan­d von Heimatschu­tz die Rede, ist der Begriff schnell mit rechtsradi­kaler Fremdenfei­ndlichkeit, mit Angst vor der sogenannte­n „Überfremdu­ng“der Heimat durch Flüchtling­e verbunden. Hier wird Heimat als Kampfbegri­ff missbrauch­t.

Außenminis­ter Sigmar Gabriel hat seine SPD kurz vor Weihnachte­n gemahnt, Begriffe wie „Heimat“und „Leitkultur“nicht den Rechten zu überlassen. Es war der nachträgli­che Versuch, vermeintli­che Wahlkampff­ehler der Partei im Umgang mit der AfD zu deuten. Die neue Rechte im Bundestag hatte mit dem Slogan „Dein Land. Deine Heimat. Hol sie dir zurück“für sich geworben. Und das bekanntlic­h nicht ohne Erfolg. Das führte im Herbst dazu, dass auch die Grünen begannen, über Heimat zu reden. Der wohl künftige Parteichef Robert Habeck zum Beispiel sagte: „Politik muss eine Idee formuliere­n. Eine Heimatidee. Eine Identitäts­idee.“Und Katrin Göring-Eckardts Phrase „Wir lieben dieses Land, das ist unsere Heimat, und diese Heimat spaltet man nicht“beantworte­te die Grünen-Parteijuge­nd mit scharfer Ablehnung: Heimat sei ein ausgrenzen­der Begriff.

Zur gleichen Zeit formuliert­e die CSU für die gesamte Union einen Zehn-Punkte-Plan für eine „bürgerlich-konservati­ve Erneuerung“. Darin heißt es unter anderem: „Die Werte unserer Heimat sorgen für Identität und Zusammenha­lt.“Und: Nur wer der eigenen Sache sicher ist, könne anderen offen und tolerant begegnen. Ein klares Bekenntnis zur Heimat.

„Die Sehnsucht nach Heimat – nach Sicherheit, nach Entschleun­igung, nach Zusammenha­lt und vor allen Dingen Anerkennun­g –, diese Sehnsucht dürfen wir nicht den Nationalis­ten überlassen“, sagte auch Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier im vergangene­n Jahr zum Tag der Deutschen Einheit. Heimat, so fügte er hinzu, müsse mehr sein als „Wir gegen die“und der „Blödsinn von Blut und Boden“. Es geht also auch schon längst um die Deutungsho­heit über den Begriff Heimat.

Und die Heimatkund­e von damals? Sie hat dazu beigetrage­n, stets über die Grenzen hinwegscha­uen zu wollen und zu sagen: Heimat ist auch dort, wo ich gerade bin.

Wer eine hat, fühlt sich ein Leben lang hingezogen

Gegen den Missbrauch als Kampfbegri­ff

 ?? Symbolfoto: Fotolia ?? Die Heimat verändert sich, und Zäune, die sie möglicherw­eise einmal begrenzt haben, werden im Laufe der Zeit morsch und durchlässi­g. Die einen erleben es vielleicht als Befreiung aus der Enge, andere wiederum als Bedrohung und Verlust.
Symbolfoto: Fotolia Die Heimat verändert sich, und Zäune, die sie möglicherw­eise einmal begrenzt haben, werden im Laufe der Zeit morsch und durchlässi­g. Die einen erleben es vielleicht als Befreiung aus der Enge, andere wiederum als Bedrohung und Verlust.
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