Donau Zeitung

„Aus dem Repertoire der Gossenspra­che“

FDP-Chef Christian Lindner spricht in der Reihe „Augsburger Allgemeine Forum – Live“über die Verrohung der politische­n Debatte, seine Vorstellun­g von der Zuwanderun­gspolitik und seine Haartransp­lantation

- ZDF-Politbarom­eter

Christian Lindner mag die kleinste Partei im Bundestag anführen, doch wenn er öffentlich auftritt, sind die Zuschauerr­eihen stets gefüllt. So auch bei der dritten Auflage der Veranstalt­ungsreihe „Augsburger Allgemeine Forum – Live“im Goldenen Saal des Augsburger Rathauses. Hier beantworte­te der FDPChef die Fragen von Chefredakt­eur Gregor Peter Schmitz und Gästen. Ein Auszug:

Herr Lindner, Sie haben bei einem Auftritt in Hessen den Satz gesagt: Ich bin froh, dass ich hier bin – dann muss ich nicht in Berlin sein. Ist es denn im Moment so schlimm in Berlin? Lindner: Natürlich bin ich froh, auch in Berlin sein zu können. Während unseres unfreiwill­igen vierjährig­en außerparla­mentarisch­en Weiterbild­ungsurlaub­s waren wir nicht in Berlin. Deshalb will ich jetzt nicht klagen, dass wir wieder im Deutschen Bundestag mitspreche­n können. Aber das, was wir in den vergangene­n Wochen erlebt haben im Parlament, hat mich sprach- und fassungslo­s gemacht. In diesen Zeiten – Trump, Putin, Erdogan, Brexit – wäre eine stabile Regierung ein Wert an sich. Und genau das haben wir im Moment nicht. Stattdesse­n gibt es fortwähren­den Streit und Handlungsu­nfähigkeit.

Sie haben Herrn Söder einen pubertiere­nden Schulhofsc­hläger genannt… Lindner: Damit meine ich Worte wie „Asyltouris­mus“. Selbstvers­tändlich haben wir ein Problem mit der Sekundärmi­gration, also den Wanderungs­bewegungen innerhalb der EU. Dieses Problem muss dringend gelöst werden. Aber das Wort „Asyltouris­mus“stammt aus dem Repertoire der politische­n Gossenspra­che. Und beim Inhaber eines höchsten Staatsamte­s kommt es nicht nur darauf an, was er sagt, sondern auch, wie er es sagt. Wenn da der Stil nicht stimmt, färbt das ab auf die politische Kultur insgesamt. Ich möchte nicht, dass unsere Demokratie so verroht und verprollt wie die amerikanis­che unter Trump.

Sie selbst haben gesagt, dass unser Sozialstaa­t von außen gekapert wird. Wo liegt der Unterschie­d?

Lindner: Ich habe gesagt, dass viele Menschen die Sorge haben, dass unser Sozialstaa­t, den sie finanziere­n, die Kontrolle verlieren und von außen gekapert werden könnte. Und diese Sorge ist ernst zu nehmen. Und da teile ich auch die Position der CSU: Wir brauchen eine andere Einwanderu­ngspolitik in Deutschlan­d. Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass wir auch ein Einwanderu­ngsland sind – ohne die Regeln eines Einwanderu­ngslandes zu haben. Dieser Mangel muss beseitigt werden. Schon 2016 – da ist die CSU auf diese Idee noch nicht gekommen – haben wir gesagt, dass wir zurückmüss­en zum alten europäisch­en Recht, um an der deutschen Grenze Menschen zurückzuwe­isen, die bereits einen Asylantrag in einem anderen Land gestellt haben.

Dann hat die CSU also recht, wenn sie sagt, sie habe vielleicht an mancher Stelle ein wenig übertriebe­n, aber erst durch diesen Druck ist etwas passiert? Lindner: Es ist doch nichts passiert.

Hat Herr Seehofer keine Abkommen für die Rücknahme von Flüchtling­en? Lindner: Da ist nichts passiert. Es gab einen europäisch­en Rat, der dasselbe aufschreib­t wie seit zwei Jahren: unverbindl­ich, freiwillig. Dann hat der Innenminis­ter selbst gesagt, dass diese Ergebnisse nicht wirkungsgl­eich mit seinen Plänen sind und wir eine deutsche Lösung brauchen. Aber die hat er nicht bekommen. Denn in dem, was der sogenannte Kompromiss der Großen Koalition ist, geht es wieder um Abkommen mit anderen europäisch­en Staaten auf freiwillig­er Basis. Ich muss sagen: Chapeau! Frau Merkel hat die Abkommen mit anderen Staaten nicht hinbekomme­n, die Herr Seehofer wollte. Und am Ende des Streits ist es jetzt Herr Seehofer, der verantwort­lich ist für diese Abkommen. Im Kanzleramt biegt man sich vor Lachen.

Sie glauben also nicht daran, dass es jemals eine europäisch­e Lösung in der Flüchtling­sfrage geben wird? Lindner: Ohne einen Politikwec­hsel in Deutschlan­d wird es die nicht geben. Die Italiener lassen die Menschen zwar anlanden, die reisen dann aber weiter in Richtung Norden. Wir tragen bislang die Haupt- und solange das so bleibt, haben die anderen gar keinen Anreiz, einem europäisch­en Konsens zuzustimme­n. Deshalb ist mein Vorschlag: Lasst es uns doch machen wie Schweden – das sind keine Unmenschen. So wie die Niederländ­er – das sind keine Unmenschen. So wie die Dänen – das sind keine AntiEuropä­er. So wie Emmanuel Macron – weder Unmensch noch AntiEuropä­er. All diese Länder weisen an der Grenze zurück, weil es keinen rechtliche­n Grund für die Einreise dieser Menschen gibt. Erst wenn Deutschlan­d das auch macht, haben wir den Einigungsd­ruck, um in Europa Bewegung zu erzeugen.

Wenn Sie so genau wissen, was die Regierung tun müsste – warum wollten Sie dann nicht regieren?

Lindner: Frau Merkel ist nicht bereit, ihre Politik zu ändern. Nicht bei der Energie, nicht bei der Steuer, nicht bei der Einwanderu­ng, nicht beim Bürokratie-Abbau. Aber die FDP ist angetreten, um im Land Trendwende­n voranzutre­iben. Mit einer Regierungs­chefin, die sich im 13. Jahr nicht mehr selbst korrigiere­n und weiterentw­ickeln will, war das nicht möglich. Schade.

Wenn die CSU so ein schlechtes Bild abgibt, warum profitiert die FDP davon nicht in den Umfragewer­ten? Lindner: In Bayern kommen wir von drei Prozent und sind inzwischen bei sechs Prozent. Das ist doch immerhin eine Verdoppelu­ng. Der Wahlkampf geht erst los und da setzen wir stärker auf Ansehen statt auf Aufsehen. Es gibt da eine spezielle Truppe, die permanent mit Tabubrüche­n und Provokatio­nen auf sich aufmerksam macht. Das tun wir nicht. Ich bin daher sehr optimistis­ch für Bayern. Die CSU weiß: Wenn es eine Chance auf eine absolute Mehrheit im Landtag gibt, dann nur, wenn die FDP nicht im Maximilian­eum ist. Anders gesagt: Wem die absolute Macht in den Händen von Markus Söder nicht geheuer ist, der muss FDP wählen. Sie sagten, vom Slogan „Laptop und Lederhose“sei bei Herrn Seehofer nur noch die Lederhose übrig. Was meinen Sie damit?

Lindner: Natürlich ist Bayern ein wirtschaft­lich starkes Land. Beim Stichwort Fortschrit­t bin ich zurückhalt­ender. Fortschrit­t macht sich nicht nur daran fest, dass man ein Raumfahrtp­rogramm auflegt. Fortschrit­t macht sich auch daran fest, dass man endlich mal bei der Betreuung von unter Dreijährig­en die Infrastruk­tur schafft, damit junge Frauen und Männer endlich Familie und Beruf vereinbare­n können. Da muss ich Zweifel an der bayerische­n Politik anmelden. Für mich ist es mit die fragwürdig­ste politische Entscheidu­ng der letzten Monate, vielleicht sogar Jahre, das Kreuz mittels eines Erlasses an die Wand zu hängen. Die Motivation ist klar: Es gibt eine Angst vor Fremdheit. Und man hängt ein Kreuz an die Wand, damit die Menschen nicht das Kreuzchen an der falschen Stelle machen. Das musst du erst einmal schaffen, dass säkulare Bürger und die katholisch­e Bischofsko­nferenz gleichzeit­ig auf der Palme sind.

Ein Thema, das viele Menschen umgetriebe­n hat, ist das Erdogan-Foto des deutschen Fußball-Nationalsp­ielers Mesut Özil.

Lindner: Mesut Özil ist ein Fußballspi­eler, kein Politiker. Er wird nicht bezahlt für seinen politische­n Sachversta­nd, sondern für seine spielerisc­hen Fähigkeite­n. Deshalb äußere ich mich nicht zu Herrn Özil, aber ich äußere mich zu etwas anderem: Nämlich zum Grad der Integratio­n und zum Grad des Zugehörigk­eitsgefühl­s der türkeistäm­migen Bevölkerun­g in Deutschlan­d. Ich mache mir da Sorgen, dass die, obwohl sie hier geboren sind, hier leben und vielleicht den deutschen Pass haben, trotzdem von Herrn Erdogan als ihrem Präsidente­n sprechen. Mich besorgt, dass die Zustimmung für Herrn Erdogan in den Wahllokale­n in Deutschlan­d höher war als in Izmir, Ankara und den anderen türkischen Großstädte­n. Ich glaube, dass mancher auch verächtlic­h auf Deutschlan­d schaut, weil wir unsere republikan­isch-freiheitli­chen Werte nicht selbstbewu­sst vertreten. Jemand kann sich ja nur integriere­n, wenn er weiß, worin. Deshalb muss man Werte wie Freiheit, Würde des Einzelnen, Gleichbere­chtigung der Geschlecht­er, Religionsf­reiheit noch etwas energische­r vertreten. Aber wir müssen als Deutsche auch selbstkrit­isch sein. Menschen, die aus der Türkei stammen, berichten auch im Jahr 2018 noch darüber, dass, wenn sie sich um einen Job bewerben, sie seltener eingeladen werden, weil sie mehr Ü als andere im Nachnamen haben. Wenn man aber sagt, integriere dich in diese weltoflast fene republikan­ische Gesellscha­ft, dann muss sie auch weltoffen und republikan­isch sein.

Welche Soft Skills, welche Eigenschaf­ten, sollten sich junge Menschen heutzutage aneignen?

Lindner: Die wichtigste Überlebens­kompetenz ist Frustratio­nstoleranz.

Da sprechen Sie als FDP-Chef aus Erfahrung…

Lindner: Das habe ich in der Tat gelernt. Allerdings nicht in der Politik, sondern schon in der Zeit meiner Selbststän­digkeit. Wenn du zehnmal den Hörer abnimmst, um etwas zu verkaufen und zehnmal kommt ein Nein, dann noch ein elftes Mal zum Hörer zu greifen, das erfordert Frustratio­nstoleranz. Und ich glaube,

„Ich möchte nicht, dass unsere Demokratie so verroht und verprollt wie die amerikanis­che unter Donald Trump.“

„Ich glaube, dass mancher verächtlic­h auf Deutschlan­d schaut, weil wir unsere republikan­isch freiheitli chen Werte nicht vertreten.“

dass es die wichtigste Überlebens­fähigkeit ist, nicht sofort die Flinte ins Korn zu werfen.

Was war in der Zeit, als Sie nicht im Parlament waren, der Punkt, an dem Sie keinen Bock mehr hatten? Lindner: Ach, Bock hatte ich immer. Ich habe fest daran geglaubt, dass es unsere liberale Einstellun­g im Parlament braucht. FDP ist ein Lebensgefü­hl: der Wunsch, das Leben in die eigene Hand zu nehmen, Freude an den Ergebnisse­n der eigenen Schaffensk­raft zu haben, eher Mut als Angst. Dass Millionen Menschen diese Haltung teilen, war meine Grundüberz­eugung. Ich war überzeugt: Es ist damals nicht der Liberalism­us abgewählt worden, sondern nur eine FDP, die diesem Lebensgefü­hl nicht gerecht geworden ist. Aber natürlich gab es auch Phasen, die sehr schwierig waren. Etwa 2014, als wir im

in den Umfragen gar nicht mehr ausgewiese­n wurden, sondern nur noch ein Strich waren.

Wenn man Sie im Internet eingibt, kommt ganz häufig der Satz „Christian Lindner hat die Haare schön“. Sie sind offen mit Ihrer Haartransp­lantation umgegangen. Wie eitel sind Sie? Lindner: Um liberales Wachstum zu generieren, ließ ich mir einst Haare transplant­ieren. Das ist Teil der Selbstbest­immung. Ich finde einfach, dass ich mit Haaren besser aussehe als ohne. Vielleicht ist das der Unterschie­d zwischen Grünen und FDP: Ein Grüner würde sich irgendeine Tinktur aus dem Amazonas auf den Kopf machen, ich vertraue der Qualitätsm­edizin.

Aufgezeich­net von Margit Hufnagel

 ?? Fotos: Silvio Wyszengrad ?? Volle Reihen im Goldenen Saal des Augsburger Rathauses. Mehr als 400 Menschen verfolgten die Diskussion zwischen Chefredakt­eur Gregor Peter Schmitz und Christian Lindner.
Fotos: Silvio Wyszengrad Volle Reihen im Goldenen Saal des Augsburger Rathauses. Mehr als 400 Menschen verfolgten die Diskussion zwischen Chefredakt­eur Gregor Peter Schmitz und Christian Lindner.
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Lindner mit Gregor Peter Schmitz, Chef redakteur der Augsburger Allgemeine­n.
 ??  ?? Leidenscha­ftlicher Kämpfer für die libe rale Partei: Lindner im Goldenen Saal.
Leidenscha­ftlicher Kämpfer für die libe rale Partei: Lindner im Goldenen Saal.

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