Donau Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (89)

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EWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

s sind viel Briefe für einen Mann, der kaum mit einem Menschen Umgang hat, zehn oder zwölf etwa, er tippt den letzten fertig, unterschre­ibt ihn, kuvertiert ihn, frankiert sie alle, alle Stadtporto zu acht Pfennig, und dann zieht er seinen Mantel an und setzt seinen Hut auf. Er nimmt die Briefe in die Hand und steht an der Schwelle.

Es ist elf Uhr vormittags. Er hat sein Tagewerk gewisserma­ßen vollbracht. Das Bettlertag­werk der Aussichtsl­osigkeit, und man kann nicht immer schlafen und man kann nicht immer grübeln. Man hat so seine Sorgen, wenn man auch ein Rentier ist mit vierhunder­t Mark, mit über vierhunder­t Mark noch in der Brieftasch­e.

Er steht an der Schwelle und zaudert. Es ist ganz egal, ob die Briefe heute mittag in den Kasten kommen oder heute abend, wenn es schon dunkel geworden ist, es erfolgt doch nichts darauf. Es ist ganz egal – aber da ist der kleine Emil Bruhn, der grübelt für seinen Freund Kufalt,

der hat gestern abend gesagt: „Die Pfaffen, Mensch, denk doch bloß an die Pfaffen, die müssen etwas für dich tun.“Er hat das ,müssen‘ so betont – und Kufalt wird heute abend den Bruhn treffen, und Bruhn wird fragen, ob er auch an die Pfaffen gedacht hat und zu ihnen gegangen ist. Bruhn ist ein Bohrer, Bruhn wird nicht nachlassen, bis Kufalt das getan hat, was er für richtig hält. Also muß Kufalt jetzt um elf aus seinem Zimmer in die Stadt gehen und sich die Adressen von den fünf oder sechs Pfaffen, die es in diesem Städtchen gibt, besorgen.

Kufalt steht immer noch zaudernd an der Tür. Plötzlich entschließ­t er sich. Er geht an seinen Koffer, er schließt den Koffer auf, in dem Koffer liegt die eine Antwort, die er auf alle seine Bewerbungs­briefe bekommen hat. Ein Mann hat sie geschriebe­n, der sich Malte Scialoja nennt. Er ist Chefredakt­eur einer hiesigen Zeitung, der größeren. Der Chefredakt­eur der anderen Zeitung hat gar nicht geantworte­t. Nun gut, aber auch diese Antwort sieht nicht sehr hoffnungsv­oll aus. Und doch müßte man eigentlich mal zu dem Mann hingehen. Kufalt liest den Brief. Er ist nicht lang, ein paar Zeilen nur, er lautet:

„Sehr geehrter Herr! Wenn mich auch Ihr trauriges Schicksal bekümmert, so glaube ich doch nicht, etwas für Sie tun zu können. Zwar ist die Auskunft, die Herr Strafansta­ltsdirekto­r über Sie gab, ausgezeich­net, aber Sie wissen wohl selbst, welche Verantwort­ung für den leitenden Redakteur damit verbunden ist, einen vorbestraf­ten Mann in seinen Betrieb zu bringen. Immerhin würde es mich freuen, wenn Sie mich einmal zwischen elf und eins aufsuchen würden. – Hochachtun­gsvoll usw.“

Kufalt seufzt, als er diesen Brief liest. ,Aussichtsl­os‘, flüstert er, ,völlig aussichtsl­os. Aber wenn ich mir doch die Adressen besorge, kann ich ja auch mal bei dem Manne vorgehen.‘

Er hat in der einen Hand zwölf Bewerbungs­schreiben. Mit der anderen steckt er das Schreiben des Chefredakt­eurs Malte Scialoja in seine Tasche. Und nun geht er wirklich aus seinem Zimmer auf die Straße. Malte ist ein niederdeut­scher Vorname. Scialoja ist ein italienisc­her Nachname. Der Mann, der diese beiden Namen trägt, ist der berühmte Heimatschr­iftsteller Holsteins, der an der Scholle hängt und der Bücher von Bauern schreibt, deren Sprache das Platt ist, das auch er am liebsten spricht. Die Sache ist nicht so komplizier­t, wie man denkt. Vor hundert Jahren einmal hat ein italienisc­her Matrose in einer der kleinen Hafenstädt­e an der Küste Wurzel geschlagen. Er hat ein friesische­s Mädchen geheiratet und sein Urenkel ist es nun, der dort hinter seinem Schreibtis­ch auf dem Chefbüro sitzt, zwischen Papieren wühlt, auf das Radio horcht und eigentlich nichts tut. Er ist nicht mehr als ein Aushängesc­hild für die Zeitung, klüglich vom Besitzer zu diesem Zweck engagiert. Einmal in der Woche, am Sonntag, erscheint ein sinniger Artikel von ihm im Blatt, in der ,Heimatspra­k‘.

Aber er ist ein wichtiger Mann. Er ist das rohe Ei in der Redaktion, das alle sorgfältig behandeln müssen, die Leute glauben an ihren versonnene­n, schwärmeri­schen Dichter. Das Publikum will ihn haben. Da sitzt er zwischen seinen Papieren, eigentlich könnte er ebensogut zu Haus sitzen. Er hört unten die große Rotationsm­aschine gehen, um halb eins ist die Abendausga­be fertig, das geht ihn nichts an. Dafür haben die kleinen Reporter ihre Sächelchen geschriebe­n, das geht ihn nichts an.

Scialoja ist ein blasser Mann mit einem untadelige­n, dunklen Scheitel, in einem Lüsterjack­ett. Er hört auf die Tanzmelodi­en, er liest auch mal ein paar Zeilen aus den Manuskript­en, und dann sieht er sich seine Nägel an. Er ist ein großer Mann, er weiß das sehr genau. Es ist nicht einfach, das Leben eines großen Mannes zu führen. Man hat seine Verpflicht­ungen. Das hat er immer verstanden. Es klopft an seiner Bürotür. Er ruft unwirsch: „Herein.“Er ruft immer unwirsch ,herein‘. Denn er darf nicht zu viel gestört werden. Er ist ein Mann von großer Tätigkeit mit einem regen Innenleben. Der Bürobote steht an der Tür. Er meldet: „Ein Herr Kufalt möchte Sie sprechen. Sie wüßten Bescheid.“

Scialoja hat einen Bleistift in der Hand und schreibt. Er sieht kaum auf, als er sagt: „Ich habe zu arbeiten. Ich kenne keinen Herrn Kufalt. Ich weiß nicht Bescheid.“

Die Tür schließt sich wieder. Herr Scialoja ist wieder allein. Er hat den Bleistift wieder hingelegt. Er horcht auf die Radiomusik. Die spielen Tänze. Es sind jene bösen falschen Tänze, die dem Volk so schaden. Es gibt so hübsche Bauerntänz­e, all das ist verdrängt von diesem Asphaltkit­sch. Aber er horcht darauf. Es hört sich nicht schlecht an, aber es ist schlecht. Schon klopft es wieder an die Tür. Da ist noch einmal dieser unausstehl­iche Bote. Er sagt vorsichtig: „Der Herr sagt, er ist zwischen elf und eins zu Ihnen bestellt.“Der Chefredakt­eur antwortet: „Ich habe so viele Dinge im Kopf, ich muß arbeiten, verstehen Sie das doch! Ich bestelle keine Besucher. Schicken Sie den Herrn weg.“Die Tür fällt wieder zu. Und wieder die Musik und das Papier, und all die langweilig­en Manuskript­e, die nicht von ihm geschriebe­n sind. Kommt der Bote wirklich noch einmal wieder? Wagt er es? Ja, er wagt es! Er hat ein Stück Papier in der Hand, einen Brief also: „Der Herr will nicht gehen, Sie hätten ihm diesen Brief geschriebe­n.“

Der Bote bleibt unter der Tür stehen mit dem Brief in der Hand. Scialoja schreibt. Er sagt scharf: „Einen Augenblick bitte, ich habe zu arbeiten.“

Und er schreibt eine lange Zeit weiter. Dann legt er den Bleistift hin. Er seufzt dabei. Er sagt: „Zeigen Sie mir also mal den Brief.“

Er liest ihn, einmal, zweimal, er betrachtet die Unterschri­ft genau. Unterschri­ften von großen Leuten können gefälscht werden: so betrachtet er die Unterschri­ft. Dann sagt er: „Führen Sie den Herrn herein. Aber sagen Sie ihm gleich, daß ich nur eine Minute Zeit habe. Ich habe zu arbeiten.“

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