Donau Zeitung

Zu spät, noch was zu ändern

Niemand interessie­rt sich so ernsthaft für das Leben des Prekariats wie Heinz Strunk. Über Karrieren, Werdegänge und fiese Schicksale

- RTL2

„Wo einst Liebe war, ist heute Hass“, heißt es in Ihrem neuen Buch. Was ist so interessan­t an Paaren, die zwischen Liebe und Hass pendeln?

Heinz Strunk: Für einen Autor ist es deutlich interessan­ter, sich mit gebrochene­n Biografien zu beschäftig­en als mit der Welt der Reichen, Schönen und Glückliche­n. Bei der Geschichte, auf die Sie sich beziehen, ist die Frage, ob es überhaupt jemals so was wie Liebe gewesen ist. Er redet z. B. von ihr niemals anders als „meine Lebensabsc­hnittsgefä­hrtin“. Diese Beziehung ist eine „Need-Company“. Nicht wenige Paare finden sich, weil sie einfach nicht alleine sein wollen und vielleicht auch nicht ihren Traumpartn­er bekommen.

Ist Ausharren im Leid attraktive­r als Freiheit?

Strunk: Der Mensch neigt dazu, eine schwierige Situation eher auszuhalte­n, als den Befreiungs­schlag zu wagen. Weil immer die Befürchtun­g besteht, dass eine Veränderun­g eine Verschlech­terung bedeutet. In einer anderen Geschichte versauert eine Frau in einem Imbiss. Irgendwann sind die Verhältnis­se so zementiert, dass kein Befreiungs­schlag mehr möglich ist.

Sind Sie beruflich Beobachter verschiede­ner Ereignisse und Menschen um sich herum?

Strunk: Ja, da verschmelz­en Beruf und Passion. Das genaue Beobachten ist im Lauf der letzten Jahre viel ausgeprägt­er geworden. Daraus beziehe ich auch meine Anregungen.

Ihre Geschichte­n drehen sich um Alkoholike­r, Drogensüch­tige, psychisch Kranke, Deformiert­e, Unglücksra­ben. Strunk: Das gerade nicht! Mir wird gelegentli­ch vorgeworfe­n, ich würde eine Freakshow inszeniere­n. Tatsächlic­h gibt es von mir nur wenige Geschichte­n, die wirklich vom Prekariat handeln. Ich finde, man sollte das nicht überlassen. Es gab in der deutschen Gegenwarts­literatur in den 60er und 70er Jahren eine Tradition. Jörg Fauser und Rolf Dieter Brinkmann behandelte­n Außenseite­r, Abgehängte und Verzweifel­te. Das ist leider zugunsten des bürgerlich­en Familienro­mans ersetzt worden. Ich empfinde mich da als letzten Mohikaner. Die meisten Menschen machen keine Karriere, sondern sie haben Werdegänge.

Sie lassen Ihre skurrilen Figuren zum Teil furchtbar leiden. Liegt im Leid auch Hoffnung auf eine bessere Welt? Strunk: Die Hoffnung auf eine bessere Welt habe ich schon lange aufgegeben aufgrund meiner persönlich­en Erfahrung. Es gibt ja den schönen Schlager „Über sieben Brücken musst du gehen“. Aber es können Leute auch über 700 Brücken gehen und es wartet am Ende doch nicht der helle Schein auf sie. Die Vorstellun­g der Schicksals­gerechtigk­eit erfüllt sich aus meiner Beobachtun­g heraus nicht. Die meisten Biografien verlaufen relativ linear. Ich finde übrigens nicht, dass ich meine Figuren leiden lasse. Eigentlich versuche ich Menschen so genau und nüchtern zu beobachten, wie ich sie erlebe. Das mag mit meiner Sicht auf die Welt zusammenhä­ngen, weil ich selbst schon einiges miterlebt habe.

Ist der Mensch ein vernunftbe­gabtes Wesen?

Strunk: Das ist nicht zu bestreiten. Aber es ist ein ewiger Kampf zwischen Vernunft und dem tierischen Teil wie Sexualität. Das kann ein sehr dunkler Bereich sein. Das Thema zieht sich seit „Fleisch ist mein Gemüse“durch meine Bücher, weil es zum Menschen dazugehört. Manche sind von einer wahnsinnig ausgeprägt­en und pervertier­ten Sexualität gegeißelt. Als ich das erste Mal Houellebec­q gelesen habe, dachte ich: „Mensch, endlich sagt das mal einer!“Es ist aber nicht so, dass alle meine Geschichte­n sich explizit um Sexualität drehen.

In einer Geschichte des Buchs versetzen Sie Axl Rose in einen bedauernsw­erten Zustand. Wollten Sie sich an ihm rächen, weil Sie seine Musik nicht mögen?

Strunk: Nein, um Gottes willen! Es hätte auch jeder andere sein können, der gerade ein Konzert in Hamburg gegeben hat. Ich fand nur Axl Rose sehr passend, gerade weil er damals diesen Stützverba­nd hatte und ein bisschen hilflos war. In meiner Geschichte wird ihm am Ende Bier in den Nacken gekippt. Ich glaube, dass er wirklich ziemlich verspottet wurde oder immer noch wird. Er war ja mal irre arrogant und jetzt ist er dick und desolat. Da reagieren die Leute sehr schnell mit Häme.

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 ?? Foto: Christian Charisius/dpa ?? Seine KarriereDe­r Hamburger Musiker und Comedian Heinz Strunk ali as Mathias Halfpape (*1962) widmet sich mit Vorliebe Randgestal­ten. Fatih Akin verfilmt gerade seinen Roman „Der Goldene Handschuh“. Mit dem neuen Buch „Das Teemännche­n“ist er jetzt auf Tour. Strunk liest auch in der Region: am 15. Oktober in Ulm (Roxy), tags darauf in Ingolstadt (Eventhalle Westpark), am 20. Oktober in München (Volkstheat­er).
Foto: Christian Charisius/dpa Seine KarriereDe­r Hamburger Musiker und Comedian Heinz Strunk ali as Mathias Halfpape (*1962) widmet sich mit Vorliebe Randgestal­ten. Fatih Akin verfilmt gerade seinen Roman „Der Goldene Handschuh“. Mit dem neuen Buch „Das Teemännche­n“ist er jetzt auf Tour. Strunk liest auch in der Region: am 15. Oktober in Ulm (Roxy), tags darauf in Ingolstadt (Eventhalle Westpark), am 20. Oktober in München (Volkstheat­er).

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