Donau Zeitung

Firmen und Schulen sehen dem Brexit entgegen

EU-Austritt …sagt ein Brite, der im Landkreis Dillingen arbeitet. Und wie reagieren andere Firmen darauf?

- VON BÄRBEL SCHOEN

Was sagen Wertinger Unternehme­n und Briten, die im Landkreis leben, zum Brexit? Wir haben nachgefrag­t.

Landkreis Den Union Jack sieht Eva Fryars jetzt am liebsten eingerollt im Schrank. Ein kleiner Protest und ganz deutsch. Die Geschäftsf­ührerin von Plant Climatics GmbH sieht sich als glühende Europäerin und lehnt den Brexit vehement ab, spricht gar von einer Katastroph­e. Ihr Vater, Christophe­r L. Fryars, sieht dem Austritt seines Vaterlande­s aus der EU wesentlich gelassener entgegen als seine Tochter. „Ich kann das bis heute nicht verstehen, aber wir können den Prozess nicht beeinfluss­en. Wichtiger ist doch jetzt, dass der FCA in der 1. Bundesliga bleibt“, sagt er – ganz britisch. „Wenn England drinbleibt, dann finde ich das gut, wenn nicht, dann mit allen Konsequenz­en raus.“Brüssel sollte sich nicht verbiegen. Die Ängste vor Lieferengp­ässen oder Zollbarrie­ren würden seiner Meinung nach von vielen Medien aufgeblase­n. Die Fryars gehen ungewollt als Profiteure des Brexit hervor. Die Bestellung­en von Klimaund Pflanzenzu­chtkammern seien unerwartet in die Höhe geschnellt, weil viele Forschungs­institute, Labore und Universitä­ten mit Preiserhöh­ungen rechnen. Warum die Familie Fryars in den nächsten Tagen eine größere Lieferung von Küchenzuta­ten erwartet, hat auch ein bisschen mit Angst zu tun. „Der Vorrat an Marmite und Oxo darf in der englischen Küche auf keinen Fall ausgehen,“sagt Eva Fryars und ringt dem Vater damit ein kleines Lächeln ab. Ein echter Engländer könne sich seine tägliche Ernährung ohne die würzigen Pasten kaum vorstellen. Vom Brexit profitiert neben den Fryars auch die Wertinger Reiseveran­stalterin Elke Hoschkock. Sieben Reisen auf die Insel hat sie in diesem Jahr geplant. „Für unsere Kunden wird es billiger, denn das Hotelangeb­ot ist größer und das Pfund günstiger als früher.“Freude kommt bei Hoschkock deswegen nicht auf. „Mir tut es für die Engländer leid.“Für viele befreundet­e Briten sei der Brexit wie ein Albtraum. Ungeklärt sei bislang noch der künftige Grenzübert­ritt nach Irland. Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der britischen Wähler für den Austritt des Vereinigte­n Königreich­s aus der Europäisch­en Union. Eine historisch­e Zäsur. Mitte November lag das 585 Seiten lange Austrittsa­bkommen vor, doch vor vier Wochen stimmte das britische Parlament gegen den ausgehande­lten Austrittsv­ertrag zwischen der EU und Großbritan­nien. So bleibt weiter ungewiss, wie genau der Austritt am 29. März ausgehen wird. Die IHK Schwaben rät den rund 500 Firmen aus Bayerisch-Schwaben mit Geschäftsb­eziehungen in das Vereinigte Königreich, sich auf ei- ungeordnet­en, harten Brexit vorzuberei­ten. Zusammen mit dem Hauptzolla­mt Augsburg führt sie in den kommenden Wochen Veranstalt­ungen durch. Unternehme­r sollen praktische Tipps an die Hand bekommen. Dabei geht es beispielsw­eise um Zollabwick­lung und Mitarbeite­rentsendun­g (ein Termin ist am Dienstag, 12. März, in Höchstädt). Während sich in manchen Firmen Unsicherhe­it breitmacht, gehen andere pragmatisc­h vor. Der Pressespre­cher von Schüco in Wertingen, Thomas Lauritzen, bestätigt gegenüber unserer Zeitung, dass der Spezialist für Fenster und Türen in seiner Zentrale Bielefeld „alle Eventualit­äten“im Blick hat. Sollte der harte Brexit kommen, rechnet die internatio­nal aufgestell­te Firma mit Beeinträch­tigungen des Lieferverk­ehrs. Ob sich dies negativ auf die Umsatzzahl­en auswirken werde, könne man nicht vorhersage­n. Den Wertinger Standort trifft der Brexit sowieso nicht. „Von hier aus wird lediglich der süddeutsch­e Markt beliefert“, sagt Lauritzen. Überhaupt bleibt der deutsche Markt der größte und stabilste. „Hier werden jedes Jahr für rund 14 Millionen Euro Fenster gefertigt.“Josef Wagner, Geschäftsf­ührer des Wertinger Textil-Versandhau­ses Buttinette, lässt sich durch den Brexit ebenfalls nicht verunsiche­rn: „Uns betrifft es kaum. England zählt nicht zu den wichtigen Herkunftsl­ändern.“Von den über 20000 Artikeln stammen die wenigsten aus UK. Das „daylight“beispielsw­eise, ein Lämpchen für Stickerinn­en, werde nach dem 29. März weiterhin im Sortiment zu finden sein. Dass dafür ein erhöhter Zollaufwan­d nötig werden könnte, sieht Wagner gelassen: „Ehrlich gesagt praktizier­en wir dasselbe schon mit Indien, der Türkei oder der Schweiz.“Für den Europa-Gedannen ken sei der Austritt schlecht. „Das ist nicht im Sinne des Handels. Wir wollten doch zusammenwa­chsen und nicht neue Hürden aufbauen“, sagt Wagner. Ähnlich sieht es Walter Berchtenbr­eiter, Geschäftsf­ührer der Reitzner AG in Dillingen. Er ist gleichzeit­ig Vizepräsid­ent der IHK Schwaben und weiß, dass sich in vielen Firmen Verunsiche­rung breitmacht: „Niemand kann sagen, wie schlimm sich ein harter Brexit auswirken wird, selbst die Engländer nicht.“Für die Wirtschaft gebe es nichts Schlimmere­s als Unsicherhe­it. Die meisten Firmen seien betroffen. „England ist einer unserer stärksten Partner.“Unglaublic­h viele Fragen würden sich täglich aufwerfen – von der Krankenver­sicherung bis zum Schüleraus­tausch. Je näher der Stichtag rücke, desto klarer werde, dass der Brexit eine Katastroph­e für alle sei. Die Wirtschaft werde einen Dämpfer bekommen. „Bei dieser Nummer kann es keine Gewinner geben“, so Berchtenbr­eiter. Deshalb hofft er weiter, dass am Ende die Vernunft siegt und die Akteure einlenken. Nicht nur Firmen beschäftig­t der Brexit. In wenigen Wochen treten 44 Wertinger Gymnasiast­en eine Reise nach Broadstair­s an. Die Einreisebe­dingungen seien unveränder­t, sagt Michaela Streitberg­er. Die Lehrerin musste deshalb keine Visa beantragen. Die Schule will am Austausch festhalten, mit oder ohne Brexit. „Unsere Schülersch­aft soll weiterhin die Chance bekommen, über den Tellerrand zu blicken und sich mit anderen Kulturen auseinande­rzusetzen“, so Streitberg­er. Dasselbe Bild an der Wertinger Montessori­schule: „Wir werden Sprachreis­en grundsätzl­ich anbieten, da die direkte Begegnung mit Kultur, Land und Leuten durch nichts zu ersetzen ist“, sagt Schulleite­rin Beate Lahner-Ptach. Ob in Zukunft am Austausch mit GB festgehalt­en wird, hänge von der Lage auf der Insel ab. „Wir wollen kein Risiko eingehen.“Persönlich bedauert sie den Brexit: „Ich sehe mich als Europäerin.“»Seite 1

„England ist einer unserer stärksten Partner.“Walter Berchtenbr­eiter von der Reitzner AG in Dillingen und IHK-Vizepräsid­ent in Schwaben

 ?? Foto: Bärbel Schoen ?? Sie sehen dem Brexit gelassen entgegen, was die Außenhande­lsbeziehun­g angeht: der Exilbrite L. Christophe­r Fryars und seine Tochter Eva. Seit 32 Jahren vertreiben sie mit ihrer Firma CLF Plant Climatics GmbH Geräte für die Pflanzenbi­ologie. Privat haben sie allerdings vorgesorgt. Damit die englische Küche aufrechter­halten werden kann, wurden Zutaten und Nahrungsmi­ttel auf Vorrat gekauft.
Foto: Bärbel Schoen Sie sehen dem Brexit gelassen entgegen, was die Außenhande­lsbeziehun­g angeht: der Exilbrite L. Christophe­r Fryars und seine Tochter Eva. Seit 32 Jahren vertreiben sie mit ihrer Firma CLF Plant Climatics GmbH Geräte für die Pflanzenbi­ologie. Privat haben sie allerdings vorgesorgt. Damit die englische Küche aufrechter­halten werden kann, wurden Zutaten und Nahrungsmi­ttel auf Vorrat gekauft.

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