Donau Zeitung

Emily im Wunderland

Eine junge Amerikaner­in stöckelt durchs Pariser Postkarten­idyll – die Serie „Emily in Paris“bedient alle Klischees und erbost die Franzosen. Aber ach, schön anzusehen ist das schon

- VON STEFANIE WIRSCHING

Mon Dieu, kann das Leben schön sein, wenn man denn nur in der richtigen Stadt lebt. Durch die stöckelt in einer neuen Netflix-Serie gerade eine junge Amerikaner­in auf ihren High Heels und ist schwer entzückt: Vom Pain au chocolat natürlich, oh, ah, vom charmanten, wahnsinnig gut aussehende­n Nachbarn, oh, là, là, und von der ganzen wunderbare­n Stadt mit Eiffelturm, Triumphbog­en und der Opéra Garnier. Schöner fast als auf Postkarten. Sie wundert sich auch ein wenig, über ihre gar nicht netten Kollegen in der Marketing-Agentur, die unfreundli­chen Kellner, den späten Arbeitsbeg­inn, übers gar so blutige Steak, stellt mit großen Rehaugen fest: Mittags raucht man lieber statt zu essen, dafür gibt es zum Frühstück schon Wein und alle reden über Sex… Aber ach. Das Baskenmütz­chen richten und weiter stöckeln. Und wenn es regnet, was soll’s, dann spannt sie einfach einen Regenschir­m auf, trés chic natürlich auch der. Französisc­h spricht sie übrigens nicht…

„Emily in Paris“heißt die neue Serie, die es nicht nur in Deutschlan­d bei Netflix sofort nach Erscheinen auf Platz eins der meistgeseh­enen geschafft hat – sondern auch in Frankreich. Dort aber wundert man sich fast so wie die Hauptdarst­ellerin: Ist das überhaupt Paris, so sauber wie eine Disney-Land-Attrappe nämlich? Und was sind das für Menschen, die da gezeigt werden? Franzosen? In den Medien und auf Twitter tobt ein Proteststu­rm. „Als wären wir alle Kettenrauc­her“, schimpft Le Parisien, die französisc­he Radiostati­on RTL schoss auf

Website zurück: Baskenmütz­en, Cocktailkl­eider und saubere Straßen, ihren Alltag könnten die Bewohner von Paris nur schwer erkennen. Ridicule also, so viel wie lächerlich, absurd. Aber auch gar nicht wenige wollen auf Twitter dann doch gerne wissen, wo man eigentlich all diese fabelhafte­n Designer-Klamotten, die Emily im FünfMinute­n-Takt wechselt, bekommen kann. Die andere Frage wäre, wie sie sich das von ihrem Salär als Mädchen für Social Media bei einer Marketinga­gentur eigentlich leisten kann, aber gut… ist ja alles Fiktion.

Marketingm­äßig hätte es für Netflix nicht besser laufen können. Da dreht man eine harmlose Serie mit schönen Menschen in schönen teuren Kleidern, spickt sie voller Klischees über Amerikaner und Franzosen, und dann das: ein hübscher kleiner Tumult in den sozialen Medien. Alles richtig gemacht. Wenn man das als Lob auch nehmen will, dann gebührt es Darren Star. Der amerikanis­che Produzent hat mit „Sex and the City“, seiner Serie über vier New Yorkerinne­n, die sich über die Stadt und die Männer auslassen, musketierm­äßig zusammenha­lten (alle für eine) und selbst mit tränenüber­strömten Augen noch Werbung für Wimperntus­che machen könnten, einen Kult entfacht. Nun also das Ganze in Paris, wobei die naive Instagram-Expertin Emily Cooper, gespielt von Lily Collins, mit der New Yorker Kolumnisti­n Carrie Bradshaw so viel zu tun hat wie Bambi mit der dunklen Fee. Und im amerikanis­chen Vorläufer „man doch immer noch irgendwie den Schmutz der Stadt gesehen hat“, wie die Amerikaner­in Lindsey Tramuta, Autorin des Buches „The New Parisienne“, monierte und als eine von vielen erklärte: Sie hasse diese Serie.

Gelbwesten bekommt man jedenfalls nicht zu sehen. Müll liegt auch keiner herum. Die Metro kennt Emily nur vom Hörensagen. Während Carrie Bradshaw nach einem Liebesaus mit energische­m Biss auf die Unterlippe den Satz „Schluss machen ist schlecht fürs Herz und gut für die Wirtschaft“in ihr Laptop hämmerte, macht Emily Cooper bestenfall­s ein Selfie mit Schmollmun­d vor hübscher Kulisse und postet es auf Instagram. Sex im Übrigen findet da wie dort statt. Ein großes Kuddelmudd­el, einmal ist aus Versehen der 17-jährige Bruder einer Freundin dabei, der Mann ihrer Träume ist leider vergeben… macht aber in Paris ja nichts.

Zum „Sex and the City“-Casting würde es nur Sylvie (Philippine Leroy-Beaulieu), biestige Chefin der Marketing-Agentur, schaffen. Die darf maliziös austeilen: „Hör auf, immer zu lächeln, sonst glauben die Leute, du bist dumm“, schnauzt sie die von Chicago entsandte neue Angestellt­e an, erklärt ihr an anderer Stelle: „Du behandelst Paris, als wäre es dein Freizeitpa­rk.“Wobei zur Wut beiträgt, dass der eigene Geliebte ein Auge aufs amerikanis­che Reh geworfen hat.

Trotz aller Kritik: Mon Dieu, das macht ein paar Folgen durchaus auch Spaß. Wohlig badet der Zuschauer im Klischeeme­er. Dieser Blick über die Seine, die Küsserei auf all die hübschen Wangen, sorgenfrei­es Zusammensi­tzen bei Rotihrer wein bis tief in die Nacht, nur Glanz und kein Elend – wann wird Paris wieder so, wie es niemals war? Für Fashionist­a ist die Serie nach „Sex and the City“und „Gossip Girl“so etwas wie das Serien-Must-Have des Herbstes. Die Vogue hat bereits die wichtigste­n Looks, ausgesucht von der Sex-and-the-City-Stylistin Patricia Field, entschlüss­elt und cineastisc­he Vorbilder identifizi­ert: Wenn Emily in die Oper elfengleic­h im Kleid von Christian Siriano schwebt, dann erinnert das an niemand Geringeren als Audrey Hepburn im kleinen Schwarzen von Givenchy im Filmklassi­ker „Funny Face“. Zur Vernissage trägt sie im Übrigen ein Kleid von Dope Tavio, gekürzt für die Serie, kombiniert mit einer Chanel-Tasche. Ach!

In der New York Times befasste sich die ehemalige Leiterin des Pariser Büros mit der Serie. Sie habe sich an ihre ersten Jahre in Paris erinnert gefühlt, erklärt Elaine Sciolino und listet dann auf, wo „Emily in Paris“offenbar doch nicht ganz falsch liegt. Zum Beispiel: Ja, Amerikaner lächeln ständig Fremde an, neigen dazu, zu laut zu sprechen so wie Emily, als sie sich ihren Kollegen in der ersten Arbeitssit­zung vorstellt. Entsetzt fragt sie der Kollege:„Warum schreist du so?“Alle Klischees haben auch einen wahren Kern, erklärt Elaine Sciolino. Als sie mit 29 Jahren nach Paris kam, wird sie im Gegensatz zu Emily aber wohl doch ein paar Worte Französisc­h verstanden haben. „Emily im Wunderland wäre ein besserer Titel“, schimpft wiederum die französisc­he Fernsehjou­rnalistin Marjorie Paillon. „Es ist so Vor-Covid. Es ist so 2000, nicht 2020.“Genau das kann man derzeit aber eben auch ganz schön finden…

Trotz aller Kritik macht das durchaus auch Spaß

 ?? Foto: Stephanie Brancho ?? In der neuen Netflix‰Serie „Emily in Paris“schaut die französisc­he Weltstadt so aufgeräumt und sauber aus, dass sich die Franzosen nicht nur wundern, sondern auch aufre‰ gen. In der Hauptrolle ist Lily Collins (rechts) zu sehen.
Foto: Stephanie Brancho In der neuen Netflix‰Serie „Emily in Paris“schaut die französisc­he Weltstadt so aufgeräumt und sauber aus, dass sich die Franzosen nicht nur wundern, sondern auch aufre‰ gen. In der Hauptrolle ist Lily Collins (rechts) zu sehen.

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