Donau Zeitung

„Es gibt auch Rassismus ohne böse Absicht“

Die Autorin Alice Hasters begegnet bereits seit ihrer Kindheit immer wieder Vorurteile­n. Erst mit der Zeit hat sie gelernt, sich dagegen zu wehren. Sie erklärt im Interview, warum unbewusste­r Alltagsras­sismus ein großes Problem ist

- Haben Sie in Ihrem Alltag eigentlich Interview: Vera Kraft

In welchen Situatione­n merken Sie, dass Sie eine schwarze Frau sind und deswegen anders behandelt werden oder vielleicht auch selbst anders handeln? Alice Hasters: Das ist ein allgegenwä­rtiges Gefühl, das den Alltag relativ stark beeinfluss­t. Wenn ich zum Beispiel einen teuren Laden in der Maximilian­straße in München betreten würde, hätte ich direkt das Gefühl, ich bin hier nicht erwünscht. Nicht weil ich nicht das Geld habe, sondern weil man mir es einfach nicht zutraut, selbst wenn ich das Geld hätte. Das ist eher subtil. Es gibt aber auch härtere Situatione­n. Letztens war ich mit einer Freundin unterwegs, als mir betrunkene Touristen in die Haare greifen wollten. Da werde ich quasi als Attraktion wahrgenomm­en, wenn ich meine Haare offen trage, und Grenzen werden nicht respektier­t.

Das heißt, es beginnt schon bei der Wahrnehmun­g ...

Hasters: Ja, und bestimmte Zuschreibu­ngen kommen einfach öfter vor. Wenn ich beispielsw­eise zu spät komme, habe ich Angst, dass nicht nur ich als Alice unzuverläs­sig wirke, sondern dass ich direkt ein Klischee bestätige, schwarze Menschen seien unpünktlic­h. Aber auch wenn ich mich als einzige schwarze Person in einem Raum befinde, dann bin ich sehr sichtbar, und die Leute registrier­en mich – wenn auch nur für eine Millisekun­de – als „die schwarze Frau“. Es gibt viele solche kleinen Dinge, die oft unterschwe­llig sind, aber meinen Alltag prägen. Das ist mit Gedanken und Ängsten verbunden, die Leute, die nicht von Rassismus betroffen sind, gar nicht kennen.

Viele Menschen denken, Rassismus ist nur dann Rassismus, wenn er böswillig ist und eine Ideologie dahinterst­eckt. Was verstehen Sie unter Rassismus? Hasters: Rassismus ist die Vorstellun­g, dass eine ethnische Gruppe einer anderen überlegen oder unterlegen ist. Damit man von gesellscha­ftlichem Rassismus sprechen kann, muss sich diese Überlegenh­eit in Machtstruk­turen zeigen. Die Vorstellun­g der weißen Vorherrsch­aft prägt die Welt schon sehr lange und ist daher sehr wirkmächti­g. Umgekehrt würde so eine Denkweise in unserer Gesellscha­ft nicht funktionie­ren – also wenn ich denken würde, Schwarze seien Weißen überlegen. Man kann es auch kurz runterbrec­hen auf die Formel: Vorurteil plus Macht. auch mit Vorurteile­n gegenüber anderen zu kämpfen?

Hasters: Definitiv. Nur weil man von Rassismus betroffen ist, ist man nicht frei von rassistisc­her Sozialisat­ion oder rassistisc­hen Denkmuster­n. Deshalb passiert ja auch Alltagsras­sismus so oft in Affekthand­lungen, also wenn man nicht groß darüber nachdenkt. Das passiert auch mir. Denn bloß weil es mich selbst betrifft und ich auf einer bewussten Ebene weiß, dass solche Vorurteile nicht stimmen, kann es immer sein, dass ich unbewusst in rassistisc­he Denkmuster reinfalle. Wenn ich das merke, versuche ich, das bewusst zu kontrollie­ren und mich meinem eigenen Alltagsras­sismus zu stellen, anstatt ihn zu verdrängen.

Es kommen immer mehr Fälle von Rechtsextr­emismus in der Polizei ans Licht. Macht Ihnen das Angst, oder sehen Sie die Polizei noch als ‚Freund und Helfer‘?

Hasters: Die aktuellen Erkenntnis­se von der Polizei haben mein Bild nicht wirklich geändert, sondern eher bestätigt. Diese Chats mit rechtsextr­emen Inhalten sind für mich natürlich auch eine neue Informatio­n. Aber dass die Polizei bei manchen Einsätzen rassistisc­h agiert, weiß ich, seit ich ein Teenager bin.

In Ihrem Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“schreiben Sie, dass Sie viele Bemerkunge­n, die Sie heute als rassistisc­h einordnen, früher anders wahrgenomm­en haben. Wie und warum hat sich Ihre Sicht geändert? Hasters: Ich hatte früher eine andere Definition von Rassismus. Rassisten waren für mich nur jene Leute, die aus böser Absicht handeln und rechtsextr­em sind. Doch irgendwann wurden dann diese kleinen alltäglich­en Dinge, wie die vielen spitzen Kommentare, in der schieren Summe zu belastend. Anfangs hatte ich noch keine Sprache dafür, um diese kleinen Dinge zu benennen. Jetzt weiß ich: Es ist Alltagsras­sismus. Denn es gibt auch Rassismus ohne böse Absicht. Und der Rechtsruck, den wir in den letzten Jahren erleben, lässt all diese Alltagssit­uationen noch viel bedrohlich­er erscheinen. Ich möchte dieses rassistisc­he Verhalten nicht länger tolerieren und ich möchte nicht dafür dankbar sein, dass es nicht noch schlimmer ist.

Wie reagieren Sie denn in Ihrem Alltag auf rassistisc­he Bemerkunge­n? Hasters: Das ist sehr unterschie­dlich. Vor allem im Vergleich zu früher, als ich noch jünger war und weniger Wissen darüber hatte, wie ich solche Situatione­n einordnen kann. Seit ich für mich definiert habe, was Alltagsras­sismus bedeutet, fällt es mir leichter, in diesen Situatione­n zu reagieren und zu widersprec­hen. Jetzt weise ich Leute auch darauf hin, wenn ich etwas unangebrac­ht finde. Früher hatte es mir oft entweder direkt die Sprache verschlage­n, oder ich dachte, ich dürfe nichts sagen. Denn wenn ich Menschen auf Alltagsras­sismus hinweise, reagieren die meisten extrem empfindlic­h und gehen in eine Verteidigu­ngshaltung.

Woher kommt diese Abwehrhalt­ung? Hasters: Das liegt an dem Rassismus-Begriff. Alle wissen, dass man nicht rassistisc­h sein soll. Wir alle sind mit der Botschaft „Nein zu Rassismus“aufgewachs­en. Das ist ein ganz großer Teil des Selbstbild­es. Wenn ich dann komme und Leute auf rassistisc­he Äußerungen aufmerksam mache, rüttle ich an diesem nicht rassistisc­hen Selbstbild. Ich löse damit also fast eine kleine Identitäts­krise aus. Wenn ich Menschen sage, sie handeln rassistisc­h, dann kommt bei ihnen die Botschaft an: „Du bist ein Nazi, du bist rechtsextr­em“. Deshalb blocken die meisten ab und versuchen zu beweisen, dass das nicht so ist.

Das Augsburger Hotel „Drei Mohren“wird umbenannt, und in Ulm werden die Krippenfig­uren der Heiligen Drei Könige nicht mehr ausgestell­t, weil die Darstellun­g des schwarzen Melchior mit dicken Lippen und unförmiger Statur problemati­sch ist. Wie sehen Sie diese Veränderun­gen?

Hasters: Ich begrüße diese Veränderun­gen, weil ich denke, ohne sie geht es nicht. Wenn wir diesen Rassismus, der historisch bedingt ist und der in unserem Alltag zu finden ist, auslöschen möchten, müssen wir auch solche Wörter und Skulpturen abschaffen. Auch wenn es Tradition hat und schon immer so war – diese Dinge tragen den Rassismus fort. Deswegen bin ich froh, wenn sich die Leute davon lösen.

Viele finden das allerdings übertriebe­n und haben ein Problem damit, alte Traditione­n aufzugeben. Was sagen Sie Menschen, die diese Veränderun­gen nicht nachvollzi­ehen können? Hasters: Ich verstehe, dass das ein Prozess ist, loslassen zu können und zu müssen. Es sind oft lieb gewonnene Traditione­n, da fällt das nicht leicht. Wenn man aber wirklich rational und logisch argumentie­rt, kann man nur zu der Erkenntnis kommen, dass es falsch ist, solche Tradition beizubehal­ten. Wer überlegt, wie viele Verbrechen an der Menschheit während der Kolonialze­it begangen worden sind und wie dieses Leid auch heute noch zu sehen ist, kann daraus nur schlussfol­gern, dass solche Relikte verschwind­en müssen.

Wie schafft man also diesen Sprung von „Das ist doch nicht rassistisc­h gemeint“zu wirklichem Umdenken? Hasters: Durch faktische Argumentat­ion.

Denn dieses „Ist ja nicht so gemeint“ist kein Argument – es geht nicht um Meinungen. Es geht auch nicht unbedingt um Empfindung­en, etwa wie ich mich dabei fühle, wenn ich so einen Hotelnamen lese. Selbst wenn ich nichts dagegen hätte, macht es das nicht weniger rassistisc­h. Es ist einfach ein Fakt. Ich glaube, um das besser zu verstehen, hilft es, sich mit der Kolonialge­schichte auseinande­rzusetzen und mit den Verbrechen, die schwarze Menschen im Ersten Weltkrieg und in der NS-Zeit erleiden mussten. Aufklärung ist ein großer Baustein. Ansonsten ist es wichtig, zuzuhören und keine Angst vor der Selbstkonf­rontation zu haben. Das kann wehtun und eine unglaublic­he Scham auslösen. Doch diese Scham allein reicht noch nicht.

„Rassismus ist die Vorstellun­g, dass eine ethnische Gruppe einer anderen überlegen oder unterlegen ist.“

Alice Hasters

Dieses Jahr haben sich auch in Deutschlan­d zehntausen­de Menschen den Black-Lives-Matter-Demonstrat­ionen angeschlos­sen. Was haben die Proteste langfristi­g gebracht? Hasters: Das muss sich noch zeigen. Aber ich glaube schon, dass die Proteste etwas bewegt haben und zumindest ein Nachdenken angeregt haben. Gerade in Schulen oder Redaktione­n wird verstärkt auf einen besseren Umgang mit Minderheit­en geachtet. Oder es wurde beispielsw­eise versucht, die Ausbildung­sverfahren anders zu gestalten, um bessere Zugänge für nicht weiße Menschen zu schaffen. Ich habe das Gefühl, es gibt eine öffentlich­e Debatte und auch das Interesse, zumindest stellenwei­se etwas zu verändern. Es gibt aber natürlich auch die Gegenwehr dagegen.

Ist der Wandel also auch in der Politik und der Gesellscha­ft angekommen? Hasters: Die Motivation ist da. Die Frage ist nur, wie nachhaltig sie ist. Es ist ein Unterschie­d, ob man einen einmaligen Workshop zu Rassismus macht oder ob man wirklich die Strukturen in Politik, Wirtschaft und Gesellscha­ft verändert. Aber ich bin, ich sage mal zaghaft optimistis­ch, dass sich zumindest ein bisschen etwas ändern wird.

Alice Hasters wurde 1989 in Köln geboren. Sie arbeitet als Journalis‰ tin und Autorin und veröffentl­icht ein‰ mal im Monat einen Podcast. Ihr Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“(208 S.) erschien bei Hanserblau und kostet 17 Euro.

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Foto: Helmut Henkensief­ken Mit ihrem Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wis‰ sen sollten“landete Alice Hasters einen Bestseller.

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