Viel gewagt, viel gewonnen
Die Brüder Thomas und Andreas Strüngmann halten einen Großteil des Unternehmens Biontech, das mit Pfizer einen Corona-Impfstoff auf den Markt bringen will. Das deutsche Start-up ist inzwischen gut 27 Milliarden Euro wert
Mainz Worauf viele Menschen seit dem Ausbruch der Corona-Epidemie hoffen, darauf besteht jetzt eine realistische Chance: ein Impfstoff. Die Europäische Union sicherte sich diese Woche das Recht auf den Kauf von bis zu 300 Millionen Dosen der Firmen Biontech und Pfizer. Ein Impfstoff der deutschen Firma Biontech aus Mainz – das wäre auch ein Erfolg für ein deutsches Brüderpaar. Der medizinische Durchbruch könnte sie noch ein großes Stück reicher machen. Aber das steht für beide wohl gar nicht im Vordergrund.
Gegründet hat Biontech 2008 das deutsch-türkische Ehepaar Ugur Sahin und Özlem Türeci. Zwei wichtige Investoren aber kommen aus Bayern: Thomas und Andreas Strüngmann, beide 70, sind der breiten Öffentlichkeit heute weniger bekannt. Die Zwillinge zählen zu den großen Investoren der deutschen Pharma-Branche. Die Familie hielt zuletzt gut 50 Prozent an Biontech. Das allein macht sie zu Multimilliardären. Denn das Mainzer Unternehmen ist nach Angaben der Commerzbank inzwischen rund 27 Milliarden Euro wert.
Biontech war im Oktober 2019 an die US-Börse Nasdaq gegangen. Der Ausgabepreis einer Aktie betrug 15 Dollar. Inzwischen ist der Kurs massiv gestiegen, die Nachricht des Impfstoff-Durchbruchs hat ihn nochmals befeuert. Am Donnerstag wurde das Papier zu rund 105 Dollar gehandelt.
Die Brüder Thomas und Andreas Strüngmann – 1950 als Zwillinge in Mülheim im Ruhrgebiet geboren – sind am Tegernsee aufgewachsen.
Der Vater der Brüder, Ernst Strüngmann, war bereits in der Pharma-Branche tätig. Er hatte Ende der 60er Jahre mit dem Unternehmen Durachemie ein GenerikaAntibiotikum auf den deutschen Markt gebracht. Im Jahr 1979 übernahmen beide Söhne die Leitung. Andreas Strüngmann hatte Medizin studiert, Thomas Betriebswirtschaft. Die Firma entwickelte sich gut, im Jahr 1986 verkauften die Brüder Durachemie. Mit dem Kapital bauten sie in Holzkirchen den Generika-Hersteller Hexal auf. Generika sind Nachahmerpräparate. Hexal stieg neben Ratiopharm rasch zur bekannten Marke auf. Im Jahr 2005 machte das Unternehmen einen Umsatz von 1,7 Milliarden Euro, als es die Brüder für rund 7,5 Milliarden Dollar an den Arzneimittelkonzern Novartis verkauften.
Den Erlös aus dem Hexal-Verkauf nutzten die Brüder, um in neue Unternehmen zu investieren, berichtet das Ernst-Strüngmann-Institut, das die beiden Unternehmer in Kooperation mit dem MaxPlanck-Institut eingerichtet haben. Das Institut erinnert an ihren Vater und forscht im Bereich der Neurowissenschaften.
Rund 1,2 bis 1,3 Milliarden Euro haben die Brüder bisher mindestens in verschiedene Biotech-Firmen gesteckt. Das Strüngmann Family Office hat seinen Sitz in München. Die Beteiligungsgesellschaften der Familie laufen unter den Namen Santo Holding und Athos Service. Öffentlich treten die Brüder kaum mehr auf, höchstens Thomas Strüngmann äußert sich gelegentlich. Berichten zufolge soll er noch immer am Tegernsee ein Domizil haben. In einem Interview des Handelsblatts gab Strüngmann seinen Biotech-Investitionen bisher die Schulnote Zwei plus, mit der Hoffnung, „dass es noch eine glatte Eins wird“.
Die „glatte Eins“könnte mit Biontech gelingen. Denn seit der Gründung ist das Unternehmen stetig gewachsen. Anfangs war der Erfolg nicht absehbar. Die BiontechGründer aber hatten kluge Ideen, sie haben Stück für Stück weitere Geldgeber gefunden und beschäftigen inzwischen über 1300 Mitarbeiter. Biontech kann sich auf Partner wie Siemens, Bayer und Pfizer stützen. Für die Bill-&-Melinda-Gates-Stiftung arbeitet die Firma an Therapien gegen Tuberkulose und HIV.
Bisher ist Biontech aber auch eine große Wette auf die Zukunft: Das Unternehmen hat zwar vielversprechende Entwicklungen laufen, auf dem Markt aber ist noch kein einziges Medikament. Die Firma schreibt deshalb auch keinen Gewinn, sondern macht Verluste – typisch für ein Start-up in der Biotechnologie-Branche.
Thomas Strüngmann könnte den Börsen-Höhenflug von Biontech nutzen, um seine Anteile zu verkaufen. Doch es gehe ihm „hier nicht primär um Renditen“, sagte er Ende 2019 in dem Interview, sondern vor allem darum, hochwirksame medizinische Innovationen hervorzubringen. „Unser Traum ist es, Medikamente auf den Markt zu bringen, die schwere Krankheiten chronisch beherrschbar machen oder kurativ sind“, fügte er an.
Strüngmann hat es sich zum Ziel gesetzt, die Biotechnologie in Deutschland gezielt zu fördern. Denn hierzulande fehlten dafür Investoren, die Scheu ist zu groß, die Risikobereitschaft zu gering. Dies gilt auch unter Finanzexperten als Grund dafür, dass Biontech in den USA an die Börse ging und nicht in Deutschland.