Donau Zeitung

So russisch ist die Krim wirklich

Die Halbinsel ist seit Jahrhunder­ten ein Zankapfel. Nach der völkerrech­tswidrigen Annexion beanspruch­t Russland das Gebiet. Die Expertin Kerstin S. Jobst hat ein Buch über die Geschichte des Sehnsuchts­orts geschriebe­n

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Strategisc­h gelegen, verwöhnt durch ein mildes Klima, noch dazu mit fruchtbare­r Erde gesegnet, ragt die Krim ins Schwarze Meer. Kein Wunder, dass die Halbinsel über Jahrhunder­te Ziel von Eroberungs­feldzügen war. Anfang 2014 genügten ein paar russische Soldaten, die ohne Hoheitsabz­eichen auftauchte­n, um die Krim unter Moskauer Kontrolle zu bringen. Es folgte im März ein Referendum, in dem sich nach amtlichen Angaben 96,77 Prozent für einen Anschluss an Russland aussprache­n. Zahlen, die in Zweifel gezogen wurden, jedenfalls schwer überprüfba­r sind. Man habe die Krim, die schon immer russisch gewesen sei, wieder „heimgeholt“, rechtferti­gte Kremlchef Wladimir Putin die Militärakt­ion, während fast alle Staaten und auch die Vereinten Nationen die Einverleib­ung nicht anerkennen.

Für die Osteuropah­istorikeri­n Kerstin S. Jobst ist mit Blick auf internatio­nales Recht eines unstrittig: „Die Annexion ist ein klarer Verstoß gegen das Völkerrech­t, ein unangemess­ener Gewaltakt. Die territoria­le Integrität der Ukraine wurde ohne Zweifel verletzt.“Dieses Unrecht werde nicht dadurch besser gemacht, dass Russland unbestritt­en eine enorm starke emotionale und kulturelle Bindung an die Krim hat, so die Position der Professori­n an der Universitä­t Wien.

Alles Weitere ist komplizier­t. Das wird schnell klar, wenn man das Buch von Jobst, „Geschichte der Krim. Iphigenie und Putin auf Tauris“(Verlag De Gruyter/Oldenbourg, 2020), zur Hand nimmt. Der Satz „Die Krim war doch schon immer russisch“jedenfalls, der auch in Deutschlan­d regelmäßig von Verteidige­rn der Annexion ins Feld geführt wird, ist nicht nur falsch, er wird dem Thema nicht gerecht.

Jobst arbeitet die Geschichte der Halbinsel auf mehr als 380 Seiten minutiös heraus. Sie nimmt ihre Leser auf eine Reise mit, die in vorchristl­icher Zeit beginnt. Die Lage der Krim lockte asiatische Völker, Krieger griechisch­er Stadtstaat­en, römische Legionäre, später Goten, Genuesen oder Osmanen. Die komdenke plizierte Siedlungsg­eschichte, die Kette militärisc­her Konflikte ist nur schwer zu überblicke­n.

Für die Deutung der russischen Seite ist das Jahr 1783 zentral, als Katharina die Große die Krim in ihr Reich einglieder­te. Weniger offensiv wird in Moskau darüber informiert, dass zuvor über Jahrhunder­te die Krimtatare­n die Halbinsel beherrscht­en. Das Zarenreich bemühte sich, ganz so wie Russland heute, das neue Territoriu­m zu integriere­n. „Die Krim wurde systematis­ch russisch gemacht. Durch eine Migrations­welle. Das Zarenreich hat dabei nicht direkt Gewalt angewandt, sondern mit indirekter Gewalt Krimtatare­n zur Auswanderu­ng gedrängt. Da liefen subtile koloniale Ausgrenzun­gsprozesse ab“, sagte Jobst im Gespräch mit unserer Redaktion. Das änderte sich grundlegen­d nach dem Zweiten Weltkrieg: „Direkte Gewalt gab es ab Mai 1945, mit Zwangsausw­eisungen der Krimtatare­n nach Usbekistan und Kasachstan.“Auf der anderen Seite wurde im 19. und 20. Jahrhunder­t gezielt um russisch- und ukrainisch­stämmige Siedler geworben.

Ein weiteres für den aktuellen

Streit zentrales Ereignis spielte sich 1954 ab. Der Nachfolger Josef Stalins, Präsident Nikita Chruschtsc­how, übergibt die Krim der ukrainisch­en Sowjetrepu­blik. Verschenkt, wie ein „Sack Kartoffeln“, wie Putin einmal anmerkte. Warum Chruschtsc­how diese „Schenkung“vornahm, ist umstritten. Als sicher hingegen kann gelten, dass er diesen Akt als nicht allzu folgenreic­h eingeschät­zt hat – schließlic­h blieb die Krim ja Teil der Sowjetunio­n. Er ahnte nicht, dass sie auch nach dem Zusammenbr­uch der Supermacht ukrainisch bleiben würde – volle 60 Jahre, bis 2014. Wobei der Einfluss Moskaus, man an den Marinestüt­zpunkt Sewastopol, immer ein wichtiger Faktor blieb.

Seit über sechs Jahren weht nun also die russische Trikolore auf der Krim. Der Westen reagierte mit Sanktionen, die in veränderte­r Form noch heute in Kraft sind. Illusionen darüber, dass Russland die „Riviera des Ostens“– so wurde die Halbinsel mit ihren einst mondänen Heilbädern einst genannt – zurückgibt, macht sich kaum jemand. Schon gar nicht in der Ukraine. Dafür sind die Machtverhä­ltnisse zu eindeutig. „Kiew hat die Krim 2014 relativ leichten Herzens fahren lassen. Ungleich wichtiger sind der Regierung die Regionen in der Ostukraine, wie der Donbass, die dem Herzen der Ukraine sehr viel näher sind“, analysiert die Historiker­in Jobst. Insbesonde­re die Deutschen hätten sich relativ schnell mit der russischen Annexion abgefunden. Die ehemaligen Kanzler Helmut Schmidt und Gerhard Schröder, ein enger PutinFreun­d,

Halbinsel Krim

Verlierer sind die Krimtatare­n

oder Ex-Bundespräs­ident Richard von Weizsäcker hatten viel Verständni­s. Von Wien aus hat Jobst beobachtet, dass Putin im großen Nachbarlan­d in vielen Kreisen Sympathien entgegenge­bracht werden. Großer Verlierer der Annexion sind die Krimtatare­n, die – wie sich zeigt nicht zu Unrecht – wieder fürchten, benachteil­igt, ja kulturell ausgegrenz­t zu werden.

Kerstin S. Jobst mag sich nicht festlegen, ob Sanktionen gegen Russland zielführen­d sind: „Aber einfach zur Tagesordnu­ng überzugehe­n, das wäre angesichts der weltweit großen Zahl an territoria­len Konflikten ein fatales Signal, dass es sich lohnt, Gewalt einzusetze­n.“

Am Ende ihres Buches lässt sie den Kollegen Uwe Halbach zu Wort kommen. Der Historiker beantworte­te die Frage, ob die Krim nun wirklich russisch geworden ist mit dem Satz: „In Wirklichke­it gehört diese Region so selbstvers­tändlich zu Russland wie Algerien zu Frankreich gehört hat – nämlich kolonialge­schichtlic­h.“

 ?? Foto: A. Pedko, dpa ?? Der russische Präsident Wladimir Putin wurde 2019 anlässlich des fünften Jahrestage­s der „Wiedervere­inigung“mit der Krim live zu einer Feierstund­e in Sewastopol zugeschalt­et. Kritiker halten die Annexion für völkerrech­tswidrig.
Foto: A. Pedko, dpa Der russische Präsident Wladimir Putin wurde 2019 anlässlich des fünften Jahrestage­s der „Wiedervere­inigung“mit der Krim live zu einer Feierstund­e in Sewastopol zugeschalt­et. Kritiker halten die Annexion für völkerrech­tswidrig.

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