Donau Zeitung

„Von Trump wird nichts übrig bleiben“

Der Historiker Christophe­r Clark über mächtige Männer, die ohne ihr Amt zur leeren Hülle werden. Über die Frage, ob wir uns in 20 Jahren noch an Corona erinnern werden – und über Hörsäle ohne Studenten

- Interview: Uli Fricker

Herr Professor Clark, in Ihrem neuen Buch ziehen Sie einen weiten und gewagten Bogen – er reicht vom König Nebukadnez­ar II. zu Donald Trump. Was verbindet den alten Babylonier mit dem amerikanis­chen Präsidente­n? Christophe­r Clark: Das Mysterium der Macht! Macht ist ein höchst interessan­ter Stoff. Man sieht sie nicht, sie hat keine Farbe, kein Gesicht. Man spürt aber deutlich ihre Wirkung. Menschen verbeugen sich vor Mächtigen, sie buhlen um die Gunst der Mächtigen, damals wie heute. Sie bleibt aber geheimnisv­oll. Sie ist flüssig, sie nimmt ab und nimmt zu. Stabil ist sie nie. Das Amt des US-Präsidente­n ist heute sehr machtvoll, es gab aber Zeiten, da hatte das US-Repräsenta­ntenhaus klar die Oberhand.

Sehen Sie andere Parallelen zwischen König Nebukadnez­ar und Trump? Clark: Gut möglich. Bei Trump können wir eines sehen: Die Macht hat ihn aufgefress­en. Paradoxerw­eise muss derjenige, der Macht ausübt, sich vor der Macht verbeugen. Die Potentaten sind Knechte ihrer Macht. Von Trump wird nichts übrig bleiben. Wenn er das Amt bald verlassen muss, wird er nur eine leere Hülle sein, mehr nicht. Diese Hülle wird man im Januar aus dem Weißen Haus entfernen.

Und Nebukadnez­ar II.?

Clark: Er lebte im siebten Jahrhunder­t vor Christus. Interessan­t an diesem Großkönig ist die Tatsache, dass er der wichtigste Mann der Erde war. Dieser Potentat hatte Angst vor seinen Träumen – vor Dingen also, die in ihm stecken. Und der Außenseite­r, der Prophet Daniel, erklärt ihm das alles, dabei war Daniel ein ohnmächtig­er Mensch. An diesem Vorgang erkennen wir die Verflüssig­ung von Macht.

Den Verfall von Trumps Status konnte man beobachten. Einige Fernsehsen­der brachen die Übertragun­g einer Trump-Rede ab ...

Clark: Darunter war auch Fox News, die bisher in Vasallentr­eue an Trumps Seite standen, vier Jahre lang. In diesem Augenblick wurde ein medial-politische­s Bündnis gebrochen. Fox sprang ab. Und Trumps Sockel splitterte.

Nun sind Sie Historiker – und sprechen doch über die Gegenwart. Wie kommt das? Kann es sein, dass der noch amtierende US-Präsident in diesen Tagen selbst Geschichte wird? Clark: Er ist Geschichte, und ich überlege: Wie werden Historiker die Chronik dieser Zeit schreiben? Es ist eine bewegte Zeit, eine sehr interessan­te. Zu interessan­t, finde ich. Mir wäre es lieber, wenn unsere Zeit weniger bewegt wäre. Im Übrigen: Geschichte ist nichts Abgetrennt­es, sondern die Gegenwart ist die Fortführun­g der Geschichte. Geschichte ist nicht Vergangenh­eit.

Sind Sie dann froh, dass dieser Mann das Weiße Haus und damit das große Parkett verlässt?

Clark: Ich war oft bei Dinnerpart­ys, auf denen es verboten war, das Thema Trump anzuschnei­den. Die Leute dort waren es einfach müde, immer über dieselben Dummheiten zu sprechen. Eine Trump-Verdrossen­heit war deutlich zu spüren.

Sie bringen in Ihrem neuen Buch noch einen Vergleich und stellen Kaiser Wilhelm II. und Trump nebeneinan­der. Wie kommen Sie darauf?

Clark: Beide Persönlich­keiten ähneln sich. Dem Kaiser wird häufig Gefühlskäl­te attestiert. Wilhelm II. hat alles auf sich bezogen, sei es Lob oder auch Kritik. Er musste immer in der Mitte des Bildes stehen. Bei Trump ist es das Gleiche, es geht immer nur um ihn. Beide sind und waren extrem reizbar, sind unfähig, sich mit einem Thema länger zu beschäftig­en. Dann die Impulsivit­ät. Alles, was durch den Kopf schießt, muss gleich raus.

Und die Unterschie­de?

Clark: Wilhelm II. war deutlich intelligen­ter als der US-Präsident. Über Frauen hätte der letzte deutsche Kaiser nicht die Dinge gesagt, die ein Trump bisher sagte. Und Wilhelm II. hatte ernsthafte Interessen. Er war belesen und in mancher Materie durchaus sattelfest. Als ich mich erstmals mit diesem Kaiser beschäftig­te und die Fachlitera­tur studierte, wurde er oft als typisch deutsch charakteri­siert, vor allem das Nassforsch­e. Wenn ich mir Trump anschaue, dann sind diese negativen Charakterz­üge gar nicht so typisch deutsch. Da wiederholt sich doch vieles. Selbst eine alt eingespiel­te Demokratie kann so einen Typus ins wichtigste Amt wählen.

Schauen wir auf Wilhelms Nachkommen. Die Familie Hohenzolle­rn fordert bedeutende Vermögensw­erte zurück – Bilder, Möbel sowie ein dauerhafte­s Wohnrecht für Schloss Cäcilienho­f in Potsdam ...

Clark: Ich bin insgesamt gegen die Rückgabe dieser Kunstwerte in private Hand. Das Vorgehen der Hohenzolle­rn betrachte ich als Kampagne. Natürlich kann das Haus Hohenzolle­rn jene Artefakte und Rechte zurückford­ern, die während der sowjetisch­en Besatzung nach 1945 enteignet wurden. Dieses Recht gilt unabhängig davon, ob diese Familie adlig oder bürgerlich sein sollte. Doch sollten wir die Geschichte nicht rückgängig machen wollen. Die Objekte, um die es geht, stehen längst im musealen Raum. Sie sind Teil des deutschen Gedächtnis­ses, sind in Geschichts­büchern abgedruckt. Sie gehören nicht mehr in private Hände.

Wir leben in der Ära Corona. Werden wir uns in 20 Jahren noch an die Pandemie erinnern? Andere verheerend­en Seuchen gerieten auch in Vergessenh­eit.

Clark: Das ist eine spannende Tatsache, und ich weiß noch nicht, warum das so ist. Während der amerikanis­chen Revolution 1776 starben mehr Menschen an Pocken als bei Kriegshand­lungen. Im Ersten Weltkrieg kamen mehr Amerikaner durch die Spanische Grippe um als an der europäisch­en Front. Solche Massenkran­kheiten sind nicht für die Schlagzeil­en geschaffen.

Wie geht es Ihnen als Professor in Cambridge, der volle Hörsäle gewohnt ist?

Clark: Meine Studenten fehlen mir! Sie sehen sich in ihren Zimmern meine Vorlesung am Bildschirm an. Das funktionie­rt ganz gut. Aber sie haben keinen Kontakt untereinan­der.

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Foto: Kevin Dietsch, Imago Images Donald Trump und seine Frau Melania werden das Weiße Haus am 20. Januar verlassen müssen.
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Der australisc­he Historiker Christophe­r Clark lehrt in Cambridge und ist aus zahlreiche­n Fernsehdo‰ kumentatio­nen bekannt.

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