Audi ist trotzdem auf Kurs
müssen, aber Nachrichten vom Gericht werden noch lange Alltag für die VW-Tochter bleiben.
Das zeigt auch ein Blick nach Ingolstadt, wo das Verfahren, mit dem sich das OLG München zu befassen hatte, herkam. Allein in Ingolstadt, wo Audi seinen Stammsitz hat, sind am Landgericht noch rund 3000 Dieselverfahren klagender Autobesitzer zu entscheiden. Die Zahl, teilt das Gericht auf Anfrage mit, habe „kontinuierlich zugenommen“. Seien es zu Jahresanfang 2020 noch knapp 150 Dieselverfahren pro Monaten gewesen, so hätten sich die Verfahrenseingänge ab Oktober 2020 „nahezu verdreifacht“. Eine Sprecherin sagt: „Für den Dezember rechnen wir – auch bedingt durch die Tatsache, dass am Ende eines Jahres gemäß den gesetzlichen Verjährungsvorschriften alle Ansprüche, die im Jahr 2017 entstanden sind, verjähren – noch einmal mit einem sprunghaften Anstieg“. Seit 2017 seien Jahr für Jahr rund eintausend Verfahren mehr in Sachen Abgasskandal eingegangen. Mehr Richter kamen nach Ingolstadt, um die Aktenberge abzuarbeiten. Insgesamt seien 20 Kollegen damit beschäftigt.
Nun ist Ingolstadt nur ein Landgericht von vielen, die sich mit Folgen des Abgasskandals herumschlagen müssen. Fragt man bei Volkswagen nach, was die juristische Aufarbeitung bisher insgesamt – also auch für die VW-Tochter Audi – gekostet hat, werden die genannten Summen seit der letzten Anfrage nicht weniger. Die Gesamtkosten der juristischen Aufarbeitung belaufen sich Angaben eines VW-Sprechers zufolge bisher auf rund 32 Milliarden Euro. Stand jetzt habe VW seit Bekanntwerden des Abgasskandals weltweit für Berater und
Ewird noch Jahre dauern, bis Audi die dunklen Abgas-Wolken im Rückspiegel nicht mehr sieht. Die Zahl der Zivilklagen, der Strafprozess gegen Stadler und Co, die weiteren anstehenden Gerichtsverfahren, all das bleibt eine Belastung für die VW-Tochter. Zugleich aber, und das gehört zum Gesamtblick auf einen der größten Arbeitgeber in der Region unbedingt dazu, verfolgen die Ingolstädter Autobauer mit dem neuen Chef Markus Duesmann an der Spitze einen klaren Kurs, der aus den schweren Zeiten in eine elektrische Zukunft führt. Mit dem Abgas-Skandal
hat Duesmann ohnehin nichts zu tun. Aber natürlich hat er Audi – mitten im ersten Lockdown – in schweren Zeiten übernommen. Die Pandemie, der Strukturwandel der Branche, die E-Offensive – Herausforderungen gibt es ausreichend. Aber der Nachfolger von Bram Schot weiß, wohin er will und hat die Weichen für bessere Zeiten längst gestellt. Artemis, seine Prätorianergarde wenn man so will, ist da nur ein Stichwort.
Auch die letzten Quartalszahlen konnten sich, gerade auch wegen des guten China-Geschäfts, sehen lassen. Die Kurzarbeit ist bei Audi Geschichte und, sollte es nicht wieder zu längeren, pandemiebedingten Produktionsstillständen kommen, auch künftig kein Thema mehr. Die Stimmung der Audianer ist dem Vernehmen nach nicht schlecht.
Zugleich muss man Audi aber natürlich immer im VW-Kontext sehen. Und wie da die nächste BoxRunde zwischen VW-Chef Herbert Diess und dem VW-Betriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh ausgeht, ist noch nicht ausgemacht. Für Audi wäre ein Wechsel an der Wolfsburger Spitze sicher nicht gut. Die Ingolstädter haben genügend unruhige Zeiten hinter sich. Wenn sie weiter Gas geben, Vorsprung durch Technik erreichen wollen, bremst der Machtkampf in Wolfsburg nur.
Landgericht München II das Verfahren gegen Ex-Audi-Boss Rupert Stadler und drei weitere Angeklagte fortgesetzt. Der Prozess produziert derzeit nicht mehr die Schlagzeilen wie zu Beginn. Derzeit sagt einer der angeklagten Ingenieure aus. Die Aufmerksamkeitskurve dürfte aber schlagartig wieder steigen, wenn der frühere Audi-Motoren-Chef Wolfgang Hatz seine Aussage macht. Und wenn Rupert Stadler sich den Fragen des Richters stellt, was wohl erst 2021 der Fall sein wird, dürfte es wieder Warteschlangen vor dem Gerichtssaal in Stadelheim geben.
Während diese Vergangenheit also Belastung bleibt, arbeitet eine Abteilung bei Audi mit besonderem Hochdruck an der Zukunft. Bereits zwei Monate nach seinem Amtsantritt in Ingolstadt hat der neue Audi-Vorstandsvorsitzende Markus Duesmann das Hightech-Projekt „Artemis“vorgestellt. Diese Einheit soll nach und nach 250 Experten zählen und ist nach der griechischen Göttin der Jagd benannt. Sie entwickelt seit dem Sommer zusätzliche Automodelle. Die SpezialistenTruppe soll wie ein Tech-Startup mit flachen Hierarchien funktionieren. Verantwortlich dafür zeichnet der Motorsportingenieur Alex Hitzinger. Ziel von Artemis ist, bis 2024 ein „hocheffizientes, voll vernetztes E-Modell“an den Start zu bringen, das „wegweisend für weitere Modelle im Konzern sein wird“.
Der Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer schätzt die Perspektive von Audi so ein: „Die VW-Tochter kommt jetzt mit Markus Duesmann wieder langsam zurück. Aber es braucht noch gut zwei bis drei Jahre, bis man an die alten Erfolge anknüpfen kann.“Zu lange, so Dudenhöffer, war man wegen des Dieselgate „gehandicapt“.