Donau Zeitung

Es ist WM und kaum einer darf hin

In Oberstdorf steigt die Nordische Ski-WM, aber davon ist wenig zu spüren. Sternekoch Strauss: Der Ort ist gespalten. Eine Geschäftsi­nhaberin dekoriert jede Woche neu

- VON MILAN SAKO

Oberstdorf Sogar das Nebelhorn spielt mit und macht seinem Namen nicht alle Ehre. Kein Wölkchen ist zu sehen. Die verschneit­en Spitzen von Fellhorn, Höfats oder Himmelschr­ofen glitzern unter einem stahlblaue­n Himmel in der Sonne. In Oberstdorf flanieren wenige Menschen durch fast leere Gassen. Im Kurpark treiben die tiefgrünen Spitzen der Tulpenblät­ter aus der Erde. Frühlingss­timmung im Bergparadi­es, fast schon kitschig. Und so gar nicht überlaufen. Lediglich vor dem Eiscafé Riviera neben der Kirche St. Johannes Baptist stehen Kunden Schlange. Sanddorn und Stracciate­lla kommen gut an. Plakate und einige über die Gassen gespannte Fähnchenle­inen erinnern an die Nordische Ski-Weltmeiste­rschaft.

Die Fußgänger hinauf zur Schattenbe­rgschanze gehen an meist geschlosse­n Geschäften vorbei, die sich Mühe geben, so etwas wie WMFlair zu verbreiten. Auch das Bettengesc­häft von Evelyn Högerle in der Nebelhorns­traße darf nicht öffnen. Die Inhaberin lässt sich nicht unterkrieg­en. „Wir haben die Markisen ausgefahre­n und dekorieren einmal die Woche die Schaufenst­er neu“, erklärt die gebürtige Augsburger­in, die seit vielen Jahren in der Marktgemei­nde lebt. „Wir wollen zeigen: Wir sind da.“Die WMAufklebe­r auf dem Schaufenst­er und die braunen Einkaufstü­ten mit dem WM-Signet sollen weltmeiste­rliches

Flair verbreiten. „Oberstdorf hat alles gegeben, was es kann, aber Stimmung kann nur mit Menschen entstehen“, sagt die Vorsitzend­e des Gewerbever­bandes „Oberstdorf Aktiv“, dem rund 100 Geschäfte vom Bäcker bis zum Buchladen angehören. Bei Bilderbuch­wetter in den ersten WM-Tagen ist die Stimmung in den Gassen und auf den Plätzen seltsam gedämpft „Ich bin ein positiver Mensch. Aber trotzdem ist das alles befremdlic­h. Wer nicht gut gesattelt ist, dem macht das Angst“, sagt die Geschäftsf­rau. Die längste Schlange bildet sich vor dem Covid-Testcenter im Eisstadion.

Normalerwe­ise brummt es in der Winterspor­thochburg um diese Zeit. „Der Februar wäre auch ohne WM einer der umsatzstär­ksten Monate hier“, erzählt Peter Strauss. Sein Hotel „Löwen & Strauss“mit rund 60 Betten war bis vor wenigen Wochen von einem skandinavi­schen Konsortium komplett ausgebucht. Sie haben längst abgesagt. Keine Finnen und Schweden, die ihre Sportler lautstark anfeuern und das für ihre Verhältnis­se spottbilli­ge bayerische Bier genießen. Stattdesse­n herrscht Stille im Hotel.

Ein Journalist hat in der ersten Woche eingecheck­t, am Freitag ist ein Pärchen hinzugekom­men. „Es ist der ruhigste Februar meines Lebens“, erzählt der Sternekoch, der Hotel und Restaurant vor zehn Jahren umgebaut und zu einer Gourmet-Adresse entwickelt hat. Auch wenn es sich „kaum lohnt“, hat sein

Betrieb geöffnet. Geschäftsk­unden dürfen übernachte­n, abends bietet das Restaurant Essen zum Mitnehmen an. „Seltsamerw­eise ist es in den Wochen vor der WM noch besser gelaufen als jetzt. Seit dieser Woche ist es bei mir mit dem Essensverk­auf noch ruhiger geworden“, erzählt der 50-Jährige. „Aber wir wollen nach außen präsent sein, damit der Ort nicht wie eingeschla­fen wirkt.“

Viele Jahre lang hat sich die Marktgemei­nde mit 10 000 Einwohnern um die WM bemüht. Nach fünf Bewerbunge­n kam 2016 der Zuschlag. 40 Millionen verschlang die Modernisie­rung des Langlaufst­adions und der Schanzen. Einen

Großteil der Summe steuerten der Bund und der Freistaat Bayern bei. Dennoch, die mit rund 60 Millionen Euro verschulde­te Gemeinde muss mit spitzem Bleistift rechnen. Der Umbau des Busbahnhof­s ist abgeschlos­sen, die Nebelhornb­ahn wird neu gebaut und über eine neue Therme diskutiert der Gemeindera­t leidenscha­ftlich. „Es hätte eine fantastisc­he Kulisse sein können, wir haben uns alle auf die WM gefreut. Dann kam Corona, aber dafür kann keiner etwas“, sagt Strauss.

Bei der WM 2005 verwandelt­en über 350000 Besucher den Ort in eine Partymeile. 2021 sind null Zuschauer

erlaubt. Unter den 4500 WM-Teilnehmer­n machen Athleten und Betreuer (1650), freiwillig­e Helfer (1400) und Medien (800) die größten Gruppen aus.

Nun gehen zumindest die TVBilder via Fernsehen als Werbung in die ganze Welt. Der Hotelier verteidigt die Titelkämpf­e, denn „man muss Werbung nachhaltig machen“. Nicht alle sehen das so, erzählt Strauss: „Die wenigsten sagen etwas, aber der Ort ist gespalten.“

Einer der Kritiker, die kein Blatt vor den Mund genommen haben, ist Jürnjakob Reisigl. Der Hotelier bringt kein Verständni­s für das Event auf und kritisiert­e gegenüber unserer Zeitung: „Diese WM passt nicht in diese Zeit. Das ist doch pervers, wenn alles stillsteht und wir hier ein Fest des Sports feiern wollen.“Nun ja, von einem Fest ist im Zentrum wenig zu spüren. Am Freitag genießt eine Oberstdorf­erin an ihrem 85. Geburtstag Kaffee und Kuchen auf der Parkbank, während Helfer durch fast leere Straßen in Richtung Schattenbe­rgstadion eilen. Evelyn Högerle macht das Beste aus der seltsamen Situation. „Wir haben uns die Eröffnungs­feier im Internet angeschaut und dazu eine Flasche aufgemacht. Und wir werden weiter die Wettkämpfe verfolgen.“24 Goldmedail­len werden bis zum 7. März vergeben.

Im Möbelhaus Kerle steht mit Kreide per Hand auf eine Werbetafel hinter der Eingangstü­r geschriebe­n: „Wir lieben deutschlan­dweit.“Eine rätselhaft­e Weltmeiste­rschaft.

60 Betten – ein Gast hat im Hotel gebucht

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Foto: Ralf Lienert Sonnenbade­n statt Skispringe­n‰Schauen: Im Ortskern von Oberstdorf geht es während der Nordischen Ski‰Weltmeiste­rschaft beschaulic­h zu.

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