Donauwoerther Zeitung

„Unser Land hat sich nicht erholt“

Die Toten Hosen haben eine neue Platte – mit Musik, die von den Nazis verfemt wurde. Sänger Campino über seinen Vater und unerfüllte Träume

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Campino, auf Ihrem neuen Album „Entartete Musik“interpreti­eren Sie Musik, die von den Nazis verfemt wurde. Warum das?

Ich finde es richtig, jungen Menschen bewusst zu machen, was damals als „entartete Musik“verstanden wurde, auch wenn das Thema heute noch manchmal in der Schule besprochen wird. Vielleicht können wir dieser Thematik neues Leben einhauchen, indem wir nicht nur traurige Beispiele zeigen, sondern auch gelegentli­ch zum Schmunzeln anregen, damit man sich dabei nicht wie auf einer Schulbank fühlt. Aber das Thema löst auch bei älteren Generation­en etwas aus: Ein Wachrufen von Dingen, die oft verschütte­t waren. Zu guter Letzt geht es hier auch um geniale Kompositio­nen von unglaublic­hen Künstlern wie Arnold Schönberg und Max Bruch. Im Dritten Reich wurde ein immenses Kulturlebe­n ausgerotte­t. Davon hat sich unser Land bis heute noch nicht erholt.

Sie haben unter anderem Erich Kästners Gedicht „Stimmen aus dem Massengrab“vertont. Darin erinnert er an die gefallenen Soldaten im Ersten Weltkrieg. Hat Ihr Vater im Zweiten Weltkrieg kämpfen müssen?

Ich habe Kästner selbst entdeckt. Er ist für mich der wichtigste deutsche Schriftste­ller der letzten 100 Jahre. Was den Krieg angeht: Mein Vater war vom ersten bis zum letzten Tag dabei. Er wurde sehr jung eingezogen und hat an vielen Fronten gekämpft, in Polen, in Frankreich wie in Stalingrad.

Wie hat er den Krieg überlebt?

Er bekam in Stalingrad einen Streifschu­ss am Kopf. Aufgrund dieser Verletzung wurde er im letzten Moment noch ausgefloge­n und nach Österreich in ein Lazarett verlegt. Dort geriet er später auch in amerikanis­che Gefangensc­haft. Diese Erlebnisse haben ihn nie losgelasse­n, aber niemand ist nach dem Krieg zum Psychiater gegangen. Man durfte keine Schwäche zeigen und hat einfach „weitergema­cht“. Mein Vater nahm uns Brüder manchmal mit ins Kino und wenn es dann „Schlacht um Stalingrad“hieß, wurde das gemeinsam geguckt. Ich spürte, wie er im Sessel neben mir nervös wurde. Wenn eine Landkarte eingeblend­et wurde, sprach er zu sich selbst „Der Frontverla­uf war völlig anders.“Nach dem Film saßen wir in einer Kneipe, tranken ein Bier und konnten alle Fragen stellen. Sind dennoch Fragen offen geblieben?

Mein Vater ist nun seit 18 Jahren tot, aber eigentlich könnte ich ihm jeden Tag neue Fragen stellen. Als er noch da und ich ein junger Rebell war, interessie­rten mich seine Erzählunge­n nicht so sehr, dass ich mich gerne und regelmäßig mit ihm hingesetzt hätte. Die Vorstellun­g, noch einmal mit ihm darüber zu sprechen, bleibt einer meiner unerfüllte­n Träume. Ich hatte Glück, dass der deutsche Teil meiner Familie integer war. Mein Vater war nie Mitglied der NSDAP. Als Soldat musste man kein Parteimitg­lied sein. Mein Großvater hatte Berufsverb­ot, weil er sich als Richter geweigert hatte, ohne Verhandlun­g Urteile gegen Juden zu sprechen. Nach dem Krieg wurde er durch die Amerikaner als Präsident des Bundesverw­altungsger­ichts eingesetzt.

Die Nazi-Ausstellun­g „Entartete Musik“sollte den vermeintli­chen Einfluss des „Jüdischen“und „Undeutsche­n“zeigen. Fühlen Sie sich als Deutscher dem jüdischen Volk verpflicht­et?

Ja. Nach all dem, was wir Deutschen dem jüdischen Volk angetan haben, sollten wir diesen Menschen besondere Solidaritä­t zukommen lassen, wenn sie bedroht sind. Es ist besorgnise­rregend, dass wir den jüdischen Gemeinden in Deutschlan­d noch immer kein normales, angstfreie­s Leben bieten können. Erbärmlich, dass man die Synagogen absichern muss vor eventuelle­n Übergriffe­n aus der Bevölkerun­g.

Hat Deutschlan­d auch 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg noch eine besondere Verantwort­ung?

Auf jeden Fall. Für einen 20-Jährigen hören sich 70 Jahre nach einer verdammt langen Zeit an, aber wenn man 50 wird, weiß man, dass das kein langer Abschnitt ist. Unsere Verantwort­ung in der gegenwärti­gen Flüchtling­sfrage ist auch vom Zweiten Weltkrieg geprägt. Wir müssen wegen unserer Vergangenh­eit nicht gebückt durch die Gegend laufen, aber wir sollten der Weltgemein­schaft danken, wie rasch sie uns wieder aufgenomme­n hat, und nicht vergessen, was gewesen ist. Wir zeigen heute, dass wir aus unseren Fehlern

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Seine Karriere

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