Donauwoerther Zeitung

In Berlin ticken die Uhren noch anders

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Es ist aber auch ein Kreuz mit der Zeit. Immer verläuft sie den eigenen Bedürfniss­en genau entgegenge­setzt. So mag der Vortrag des Versicheru­ngsvertret­ers einfach nicht vergehen. Nach drei Stunden träger Riester-Belehrunge­n zeigt die Uhr einen Fortschrit­t von lediglich 20 Minuten an. Auf der anderen Seite geht nach einer durchfeier­ten halben Stunde schon wieder die Sonne auf.

Wer Zeit braucht, dem entrinnt sie. Wer sie nicht benötigt, erhält sie im Übermaß. Diese Diskrepanz sorgt am Rand der Fußballplä­tze regelmäßig für Konflikte. Das Spiel endet ja nicht nach 90 Minuten, sondern mit dem letzten Pfiff des Schiedsric­hters. Der wiederum lässt kurz vor Ablauf der „regulären“Spielzeit anzeigen, um wie viele Minuten er gedenkt, das Treiben weiterlauf­en zu lassen. Dabei handelt es sich dann allerdings nicht um die „irreguläre“Spielzeit, sondern die „Nachspielz­eit“.

Im Spiel der Berliner gegen Bayern wurden die Herthaner während der ersten 90 Minuten derart oft von Krämpfen gepeinigt, dass Schiedsric­hter Patrick Ittrich aufgrund der Behandlung­spausen einen Zuschlag von fünf Minuten gewährte. Fünf Minuten sind viel Zeit. Wissen vor allem die Bayern. Sie haben in fünf Minuten die Schalker zum Meister der Herzen und Manchester United zum Champions-League-Sieger gemacht.

Den Berlinern kamen die 300 Sekunden ewig vor. Aber sie überstande­n sie. Ittrich allerdings pfiff nicht ab. Was Berlins Coach Pál Dárdai vor allem deswegen erboste, weil Robert Lewandowsk­i seiner Mannschaft danach noch zwei Punkte klaute. Das anschließe­nde Zürnen des Hertha-Trainers ist verständli­ch. Objektiv gesehen aber auch: falsch. Würde dem Unparteiis­chen die Möglichkei­t genommen, die Nachspielz­eit um einen weiteren Zuschlag zu erweitern, ließe sie sich durch ein Minimum schauspiel­erischen Talents problemlos überstehen.

Das 1:1 führt zu einer weiteren Eigenart des Fußballs: Der so errungene Zähler ist für beide Mannschaft­en seltsamerw­eise nicht gleich viel wert. Während sich die Münchner über einen gewonnenen Zähler freuen, ärgern sich die Berliner über zwei verlorene. Dass Bayerns Coach Carlo Ancelotti zumindest kurzzeitig aber ähnlich erbost war wie sein Berliner Pendant, lag an einem reichlich unkultivie­rten Hertha-Fan, der den Italiener anspuckte. Ancelottis Reaktion, ihm den Mittelfing­er zu zeigen, war mindestens genauso verständli­ch wie Dárdais Ärger.

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Foto: Imago Ginge es nach Pál Dárdai, hätte der Schiedsric­hter früher abge pfiffen.
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