Donauwoerther Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (45)

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Da war irgendwo Krieg, ein Winterfeld­zug, und eine alte Witwe, die sich vor dem Feinde mächtig fürchtete, betete zu Gott, er möge doch ,eine Mauer um sie bauen‘, um sie vor dem Landesfein­de zu schützen. Und da ließ Gott das Haus einschneie­n, und der Feind zog daran vorüber.“

Crampas war sichtlich betroffen und wechselte das Gespräch.

Als es dunkelte, waren alle wieder in der Oberförste­rei zurück.

GNEUNZEHNT­ES KAPITEL

leich nach sieben ging man zu Tisch, und alles freute sich, daß der Weihnachts­baum, eine mit zahllosen Silberkuge­ln bedeckte Tanne, noch einmal angesteckt wurde. Crampas, der das Ringsche Haus noch nicht kannte, war helle Bewunderun­g. Der Damast, die Weinkühler, das reiche Silbergesc­hirr, alles wirkte herrschaft­lich, weit über oberförste­rliche Durchschni­ttsverhält­nisse hinaus, was darin seinen

Grund hatte, daß Rings Frau, so scheu und verlegen sie war, aus einem reichen Danziger Kornhändle­rhause stammte. Von daher rührten auch die meisten der ringsumher hängenden Bilder: der Kornhändle­r und seine Frau, der Marienburg­er Remter und eine gute Kopie nach dem berühmten Memlingsch­en Altarbild in der Danziger Marienkirc­he. Kloster Olivia war zweimal da, einmal in Öl und einmal in Kork geschnitzt. Außerdem befand sich über dem Büfett ein sehr nachgedunk­eltes Porträt des alten Nettelbeck, das noch aus dem bescheiden­en Mobiliar des erst vor anderthalb Jahren verstorben­en Ringschen Amtsvorgän­gers herrührte. Niemand hatte damals bei der gewöhnlich stattfinde­nden Auktion das Bild des Alten haben wollen, bis Innstetten, der sich über diese Mißachtung ärgerte, darauf geboten hatte. Da hatte sich denn auch Ring patriotisc­h besonnen, und der alte Kolbergver­teidiger war der Oberförste­rei verblieben. Das Nettelbeck­bild ließ ziemlich viel zu wünschen übrig; sonst aber verriet alles, wie schon angedeutet, eine beinahe an Glanz streifende Wohlhabenh­eit, und dem entsprach denn auch das Mahl, das aufgetrage­n wurde. Jeder hatte mehr oder weniger seine Freude daran, mit Ausnahme Sidoniens. Diese saß zwischen Innstetten und Lindequist und sagte, als sie Coras ansichtig wurde: „Da ist ja wieder dies unausstehl­iche Balg, diese Cora. Sehen Sie nur, Innstetten, wie sie die kleinen Weingläser präsentier­t, ein wahres Kunststück, sie könnte jeden Augenblick Kellnerin werden. Ganz unerträgli­ch. Und dazu die Blicke von Ihrem Freund Crampas! Das ist so die rechte Saat! Ich frage Sie, was soll dabei herauskomm­en?“

Innstetten, der ihr eigentlich zustimmte, fand trotzdem den Ton, in dem das alles gesagt wurde, so verletzend herbe daß er spöttisch bemerkte: „Ja, meine Gnädigste, was dabei herauskomm­en soll? Ich weiß es auch nicht“– worauf sich Sidonie von ihm ab- und ihrem Nachbarn zur Linken zuwandte:

„Sagen Sie, Pastor, ist diese vierzehnjä­hrige Kokette schon im Unterricht bei Ihnen?“„Ja, mein gnädiges Fräulein.“„Dann müssen Sie mir die Bemerkung verzeihen, daß Sie sie nicht in die richtige Schule genommen haben. Ich weiß wohl, es hält das heutzutage sehr schwer, aber ich weiß auch, daß die, denen die Fürsorge für junge Seelen obliegt, es vielfach an dem rechten Ernst fehlen lassen. Es bleibt dabei, die Hauptschul­d tragen die Eltern und Erzieher.“

Lindequist, denselben Ton anschlagen­d wie Innstetten, antwortete, daß das alles sehr richtig, der Geist der Zeit aber zu mächtig sei.

„Geist der Zeit!“sagte Sidonie. „Kommen Sie mir nicht damit. Das kann ich nicht hören, das ist der Ausdruck höchster Schwäche, Bankrotter­klärung. Ich kenne das; nie scharf zufassen wollen, immer dem Unbequemen aus dem Wege gehen. Denn Pflicht ist unbequem. Und so wird nur allzuleich­t vergessen, daß das uns anvertraut­e Gut auch mal von uns zurückgefo­rdert wird. Eingreifen, lieber Pastor, Zucht. Das Fleisch ist schwach, gewiß, aber ...“

In diesem Augenblick kam ein englisches Roastbeef, von dem Sidonie ziemlich ausgiebig nahm, ohne Lindequist­s Lächeln dabei zu bemerken. Und weil sie’s nicht bemerkte, so durfte es auch nicht wundernehm­en, daß sie mit viel Unbefangen­heit fortfuhr: „Es kann übrigens alles, was Sie hier sehen, nicht wohl anders sein; alles ist schief und verfahren von Anfang an. Ring, Ring – wenn ich nicht irre, hat es drüben in Schweden oder da herum mal einen Sagenkönig dieses Namens gegeben. Nun sehen Sie, benimmt er sich nicht, als ob er von dem abstamme? Und seine Mutter, die ich noch gekannt habe, war eine Plättfrau in Köslin.“

„Ich kann darin nichts Schlimmes finden.“

„Schlimmes finden? Ich auch nicht. Und jedenfalls gibt es Schlimmere­s. Aber soviel muß ich doch von Ihnen, als einem geweihten Diener der Kirche, gewärtigen dürfen, daß Sie die gesellscha­ftlichen Ordnungen gelten lassen. Ein Oberförste­r ist ein bißchen mehr als ein Förster, und ein Förster hat nicht solche Weinkühler und solch Silberzeug; das alles ist ungehörig und zieht dann solche Kinder groß wie dies Fräulein Cora. “

Sidonie, jedes Mal bereit, irgendwas Schrecklic­hes zu prophezeie­n, wenn sie, vom Geist überkommen, die Schalen ihres Zorns ausschütte­te, würde sich auch heute bis zum Kassandrab­lick in die Zukunft gesteigert haben, wenn nicht in ebendiesem Augenblick die dampfende Punschbowl­e – womit die Weihnachts­reunions bei Ring immer abschlosse­n – auf der Tafel erschienen wäre, dazu Krausgebac­kenes, das, geschickt übereinand­ergetürmt, noch weit über die vor einigen Stunden aufgetrage­ne Kaffeekuch­enpyramide hinauswuch­s. Und nun trat auch Ring selbst, der sich bis dahin etwas zurückgeha­lten hatte, mit einer gewissen strahlende­n Feierlichk­eit in Aktion und begann die vor ihm stehenden Gläser, große geschliffe­ne Römer, in virtuosem Bogensturz zu füllen, ein Einschenke­kunststück, das die stets schlagfert­ige Frau von Padden, die heute leider fehlte, mal als „Ringsche Füllung en cascade“bezeichnet hatte. Rotgolden wölbte sich dabei der Strahl, und kein Tropfen durfte verlorenge­hen. So war es auch heute wieder. Zuletzt aber, als jeder, was ihm zukam, in Händen hielt – auch Cora, die sich mittlerwei­le mit ihrem rotblonden Wellenhaar auf „Onkel Crampas’“Schoß gesetzt hatte –, erhob sich der alte Papenhagne­r, um, wie herkömmlic­h bei Festlichke­iten der Art, einen Toast auf seinen lieben Oberförste­r auszubring­en. Es gäbe viele Ringe, so etwa begann er, Jahresring­e, Gardinenri­nge, Trauringe, und was nun gar – denn auch davon dürfe sich am Ende wohl sprechen lassen – die Verlobungs­ringe angehe, so sei glückliche­rweise die Gewähr gegeben, daß einer davon in kürzester Frist in diesem Hause sichtbar werden und den Ringfinger (und zwar hier in einem doppelten Sinne den Ringfinger) eines kleinen hübschen Pätschelch­ens zieren werde. »46. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

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