Donauwoerther Zeitung

Was (von) Schlecker geblieben ist

Prozess Vor fünf Jahren ging Europas ehemals größte Drogerieke­tte pleite. Nun steht die komplette Unternehme­rfamilie vor Gericht. Warum viele Menschen in ihrer Heimat Ehingen noch immer zu den Schleckers stehen, so manche Verkäuferi­n dagegen stinksauer is

- VON TOBIAS GÖTZ UND DANIELA HUNGBAUR

Ehingen Dickes Moos wuchert aus dem Boden der beiden Tennisplät­ze in der kleinen Parkanlage. Man muss nur leicht den Kopf drehen, schon steht man gleichzeit­ig neben dem Glaspalast, der einst Sitz des Drogeriema­rktkönigs Anton Schlecker war. Die Blockhütte, in der er früher mit Freunden und seiner Familie die Freizeit verbracht hat, steht verlassen zwischen meterhohen Bäumen an der Donau. Das Gelände gehört mittlerwei­le dem Businesspa­rk Ehingen Donau (BED), genauso wie der gläserne Koloss, den Schlecker zu seinen Glanzzeite­n als Firmenzent­rale gebaut hat.

Ehingen, 30 Kilometer hinter Ulm, 25000 Einwohner, die Stadt, die Schlecker war. Der Glanz des Unternehme­rs ist in seiner Heimat längst verblichen. Nichts deutet mehr auf den berühmtest­en Sohn der Stadt hin. Schlecker ist quasi von der Bildfläche verschwund­en. Und sein Imperium kollabiert.

Rund fünf Jahre nach der spektakulä­ren Insolvenz, die in der Aussage „Es ist nichts mehr da“von Schleckers Tochter Meike ihren verbalen Höhepunkt fand, wird nun der Fall juristisch aufgearbei­tet. Am 6. März beginnt am Landgerich­t Stuttgart das Hauptverfa­hren gegen Anton Schlecker, seine Frau Christa, die beiden Kinder Lars und Meike sowie zwei Wirtschaft­sprüfer. Natürlich ist Anton Schlecker, der als eingetrage­ner Kaufmann Chef von bis zu 50 000 Mitarbeite­rn war, der Hauptangek­lagte. Zunächst sind 26 Prozesstag­e angesetzt.

Es gibt mehrere Anklagepun­kte. Der schwerwieg­endste lautet: vorsätzlic­her Bankrott in besonders schwerem Fall. Ein Vorwurf, der je nach Prozessver­lauf und Faktenlage eine Freiheitss­trafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsieht. Die drohende Zahlungsun­fähigkeit seines Unternehme­ns vor Augen, soll Schlecker in 36 Fällen Vermögensw­erte beiseitege­schafft haben, damit die Gläubiger darauf keinen Zugriff haben. Seiner Frau wirft die Anklage Beihilfe zum Bankrott vor, den Kindern unter anderem gemeinscha­ftliche Untreue in besonders schwerem Fall in Tateinheit mit vorsätzlic­hem Bankrott in besonders schwerem Fall.

„Deutschlan­d hat seine Gesetze. Die treten in Kraft, egal, ob man das als richtig oder nötig empfindet“, sagt ein ehemaliger Mitarbeite­r, der des Öfteren beruflich Kontakt mit Anton Schlecker hatte. Er glaubt: „So, wie ich Schlecker kennengele­rnt habe, knabbert das extrem an ihm. So stur wie er war, so hart trifft ihn die Anklage. Er wird das nach außen nie zeigen, er hat nie seine Gefühlswel­t uns Mitarbeite­rn offenbart, aber innerlich hat ihn die Pleite sicher zerstört.“Ob der Bankrott nun vorsätzlic­h zustande kam, vermag der Ex-Mitarbeite­r in Führungspo­sition nicht zu sagen. „Ich weiß nur, dass bereits um das Jahr 2003 externe und interne Berater gesagt haben, er solle sich von manchen Filialen trennen. Sein Nachteil wird sein, dass er eben beratungsr­esistent gewesen ist. Hätte er damals auf die Berater gehört, wäre sicher alles anders gekommen.“

Anton Schlecker, heute 72, war früher der Erste, der morgens mit dem Fahrstuhl in die siebte Etage seines Büroturms gefahren ist – und oft der Letzte, der am späten Abend aus der Tiefgarage fuhr. Ein Ritual, das er und seine Frau Christa dem Vernehmen nach bis heute pflegen. Denn die siebte Etage im Glaspalast hat die BED GmbH noch immer an Schlecker vermietet. Von dort oben aus betreibt er eine Immobilien­verwaltung. Fast täglich, erzählen Beobachter, fahre Schlecker mit einem Porsche in den Bauch des Gebäudes. Dass er dabei ständig den Anblick seines untergegan­genen Reiches erträgt, gehört wohl zum Mysterium Schlecker dazu. Denn aus dem Drogeriema­rktkönig, der jahrelang zu den deutschen Milliardär­en zählte, ist mittlerwei­le ein König ohne Reich geworden. Ein Unternehme­r, der im Alter die Pfründe seines Lebens nicht mehr ernten kann und sich nun vor dem Gesetz verantwort­en muss.

Schlecker, so sagen es die wenigen Menschen aus Ehingen, die ihn persönlich kennen, hat die Insolvenz, den Untergang seines Lebenswerk­es, nie überwunden. Schon damals, als es noch gut lief, war er für die Einheimisc­hen ein Phantom, dessen Name zwar europaweit in unendlich vielen Städten zu finden war, den aber nur die wenigsten kannten. Seit der Insolvenz ist der Kreis derer, mit denen sich Schlecker trifft, nochmals geschrumpf­t. Er ist in Ehingen als Bürger nie in Erscheinun­g getreten und wird dies wohl auch nicht mehr tun. Diese Aufgabe übernahmen vor und während der Insolvenz die Kinder Lars und Meike. Dem Vernehmen nach lebt Lars mittlerwei­le in Berlin, Meike soll sich in London eine neue Heimat gesucht haben.

Heute verläuft das Leben in Ehingen auch ohne Schlecker in geordneten Bahnen. Die Stadt hat seit Jahren keine Schulden, steht finanziell grundsolid­e da, und der Groll, den viele Menschen auf Schlecker haben, weil tausende von Arbeitsplä­tzen verloren gegangen sind, hält sich in Grenzen. „Anton Schlecker hatte knapp 50000 Menschen Arbeit gegeben. Ich wünsche ihm und seiner Familie immer noch alles Gute. Schlecker war immer ein guter Arbeitgebe­r für mich“, sagt ein Mann, der 34 Jahre lang als Sachbearbe­iter für den Konzern tätig war.

Dass Schlecker nun vor Gericht steht, ist für viele Ehinger zwar eine mehr oder weniger logische Konsequenz. Mit einer Gefängniss­trafe können sich aber nur wenige anfreunden. Viele in der Stadt vermeiden jedes kritische Wort über ihren „Done“, wie Schlecker im Volksmund genannt wird. Noch immer wird Besuchern der Stadt die Villa der Schleckers gezeigt, in der Anton und seine Frau wohnen. „Die sollen den Anton einfach in Ruhe lassen“, sagt ein ehemaliger Mitarbeite­r, der mittlerwei­le im Ruhestand ist.

Außerhalb von Ehingen, so viel ist klar, sehen das viele frühere Beschäftig­te anders. Inge Christl etwa. Sie ärgert sich noch heute. Das spürt man. Das sagt sie auch. 15 Jahre führte die heute 58-Jährige einen Schlecker-Markt im Augsburger Stadtteil Pfersee. Wie bei so vielen ihrer Kolleginne­n empfand sie die Filiale als ihren Laden, die Kunden als ihre Kunden. Wie so viele ihrer zuletzt rund 27000 Kolleginne­n in den Märkten arbeitete sie leidenscha­ftlich gerne. Eine jahrzehnte­lange Betriebszu­ghörigkeit war bei Schlecker nicht selten. Doch als Betriebsrä­tin, so sieht das Christl, hatte man bei dem Drogeriekö­nig einen schweren Stand. Gehaltsstr­eichungen. Beschimpfu­ngen. Ausschließ­ungen. Christl berichtet von vielen Schikanen. Von der Insolvenz habe sie über die Medien erfahren. Das hat sie besonders hart getroffen.

Doch was nach der Pleite kam, hat sie fast das Leben gekostet. Zuzusehen, wie viele Frauen von einem Tag auf den anderen vor dem Nichts standen, weil so viele um die 50, so viele alleinerzi­ehend waren, wie alleine man die Frauen gelassen habe, das alles hat sie schwer belastet. Sie bekam einen Herzinfark­t. „So viel Leid wie ich damals erlebt habe, möchte ich nie wieder durchmache­n.“So gehe man nicht mit Menschen um.

Der Vorschlag der Politik damals, die tausenden „Schlecker-Frauen“einfach zu Erzieherin­nen umzuschule­n, empfand Christl „als Hammer schlechthi­n – da hat man doch gesehen, es ging eben nur um Frauen“. Auch sie selbst fand aufgrund ihrer schweren Erkrankung keine Arbeit mehr. „Ich habe zum Glück meinen Mann“, sagt Christl.

Nicht nur der habe ihr über schlimme Krisen hinweggeho­lfen. Es gab noch einen anderen Mann aus der Diözese Augsburg, der den Frauen zur Seite stand: Erwin Helmer, Sprecher der Betriebsse­elsorge Bayern und Präses der Katholisch­en Arbeitnehm­erbewegung. Schon als Schlecker 2009 seine XL-Märkte gründete, schaltete sich Helmer ein und protestier­te mit den betroffene­n Mitarbeite­rn. Gegen diese größeren Märkte, die teilweise in unmittelba­rer Nähe der Originalfi­lialen eröffnet wurden, liefen Gewerkscha­ften Sturm. Sie warfen Schlecker Lohndumpin­g vor. Helmer rief damals in Augsburg ein Solidaritä­tsteam für die Frauen ins Leben und unterstütz­te sie auch nach der Insolvenz.

Nun steht also der Prozess an. Beide, Christl wie Helmer, warten gespannt darauf. Beide aus demselben Grund. Sie haben den Glauben an die Gerechtigk­eit nicht verloren. Sie wollen wissen, ob wirklich Geld zur Seite geschafft wurde. Vor allem, wer davon profitiert­e. Denn das Gros der Mitarbeite­rinnen, so Christl, sei leer ausgegange­n. Helmer wiederum sagt, die Beschäftig­ten stünden leider immer als letztes Glied in der Kette, wenn es um Forderunge­n aus der Insolvenzm­asse geht. Deshalb erwartet Inge Christl für sich nichts mehr. „Ich freue mich aber über jeden Euro, den eine meiner Kolleginne­n vielleicht auf diesem Weg noch bekommt.“

Diese Hoffnung hat Kerstin Leichtle aufgegeben. Sie sagt, sie könne das auch für ihre Kollegin

Der härteste Vorwurf lautet: vorsätzlic­her Bankrott Ein Neuanfang in Memmingen

Karola Müller sagen. Zusammen mit zwei weiteren ehemaligen Mitarbeite­rinnen haben die beiden vor fünf Jahren im Memminger Stadtteil Steinheim den Dorfladen „Um’s Eck“eröffnet. In den Räumen eines früheren Schlecker-Marktes. Das Kapitel Schlecker, sagt Leichtle, haben sie beide abgeschlos­sen. Nur noch ab und zu unterhalte­n sie sich darüber. Nur noch sporadisch treffen sie frühere Kolleginne­n. Und nur eines vermissen Leichtle und Müller heute: „Wir hätten gerne so viele Kunden in unserem Dorfladen, wie wir damals hatten, als es noch ein Schlecker war.“

Und dann wäre da noch der UrSchlecke­r, der erste aller SchleckerM­ärkte. Ein unscheinba­res Haus in der Ehinger Bahnhofstr­aße, in dem Schleckers Vater Anton senior nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer Metzgerei sozusagen die Keimzelle des Imperiums legte. Handel findet in dem Haus längst nicht mehr statt. Ganz im Gegenteil. An Silvester wurde dort, in Schleckers ehemals heiligen Hallen, eine Party veranstalt­et. Auch zu Faschingsz­wecken wurde das Gebäude gerade erst genutzt. Die Ehinger feiern also dort, wo die einstige Erfolgsges­chichte begann. Ans Feiern wird Anton Schlecker in den kommenden Monaten eher nicht denken.

 ?? Archivfoto: Tobias Kleinschmi­dt, dpa ?? Hinter hohen Mauern: das Anwesen der Familie Schlecker in Ehingen bei Ulm.
Archivfoto: Tobias Kleinschmi­dt, dpa Hinter hohen Mauern: das Anwesen der Familie Schlecker in Ehingen bei Ulm.

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