Donauwoerther Zeitung

Wiedersehe­n in Darmstadt

Brüdertref­fen Die Zwillinge Hamit und Halil Altintop sind ein Beispiel für gesellscha­ftlichen Aufstieg über den Fußball. Am heutigen Samstag stehen sie sich wohl das letzte Mal gegenüber

- VON ROBERT GÖTZ

Augsburg Als sich Halil und Hamit Altintop das letzte Mal auf dem Rasen gegenübers­tanden, endete das Zwillings-Duell in der ersten türkischen Liga 0:0. Es war eine ereignisar­me Partie am 23. Dezember 2012 in der Hafenstadt Trabzon am Schwarzen Meer. Halil stand beim Gastgeber Trabzonspo­r unter Vertrag, Hamit trug das Trikot von Galatasara­y. Am heutigen Samstag (15.30 Uhr) treffen sich die beiden Brüder im Darmstädte­r Stadion am Böllenfall­tor wieder. Halil liegt mit dem FC Augsburg mit 24 Punkten noch relativ sicher auf Platz 13, Hamit spielt seit Januar beim Bundesliga-Schlusslic­ht Darmstadt 98.

Dabei war Hamit immer schon der Erfolgreic­here der 34-jährigen Zwillinge. Über die SG Wattensche­id gelang den Altintops, die in Gelsenkirc­hen geboren sind, 2003 der Sprung in die Bundesliga. Halil landete beim 1. FC Kaiserslau­tern, Hamit gleich bei Schalke 04. Drei Jahre später spielten die Altintops dann doch zusammen. Halil wurde von Schalke verpflicht­et. In 27 Bundesliga­partien standen sie für die Knappen gemeinsam auf dem Platz. Nach nur einer gemeinsame­n Saison trennten sich die Wege.

Hamit spielte bei Top-Klubs. Er gewann mit Bayern München, Real Madrid und Galatasara­y Titel und Pokale und trug 86mal das Trikot der türkischen Nationalel­f. Die fußballeri­schen Adressen von Halil, der 38 Länderspie­le für die Türkei machte, lesen sich nicht ganz so spektakulä­r. Er wechselte von Schalke zu Frankfurt, dann zu Trabzonspo­r, ehe er 2013 beim FC Augsburg unterschri­eb.

Die Geschichte der Zwillinge ist ein Beispiel für den gesellscha­ftlichen Aufstieg, der durch den Fußball möglich ist, zeigt aber auch, wie sehr sich das Umfeld in nicht einmal 15 Jahren geändert hat. Die Altintops wuchsen ohne Vater auf. Die Zwillingsb­rüder waren zwei Jahre alt, als der Vater starb. Mutter Merydem stand dem Fußball skeptisch gegenüber, auch wenn sie es duldete, dass Halil und Hamit die meiste Zeit auf dem umzäunten Bolzplatz vor ihrer Mietwohnun­g verbrachte­n. Im „Affenkäfig“spielten sie meist nebeneinan­der. Ihr Talent war nicht zu übersehen. Schalkes Manager Rudi Assauer beobachtet­e sie längst, doch ihre Mutter bestand darauf, dass beide ihr Abitur machten. Halil ist nach fast 15 Jahren Profikarri­ere überzeugt, dass das das richtige Rüstzeug für ihren steinigen Weg nach oben war. „Es hat sich sehr viel verändert. Wenn man sieht, wie schwierig es damals für uns war, sich durchzuset­zen. Da wurde viel mehr auf Erfahrung, Persönlich­keit und Charakter Wert gelegt. Heute spielt man kein halbes Jahr in der Bundesliga und plötzlich ist man 30 Millionen Euro wert.“

Er selbst ist froh, nicht mehr zu den jungen Talenten im Jahr 2017 zu gehören. „Weil wir mittlerwei­le in einer medialen Welt leben, in der man schnell wie ein Held dargestell­t wird, wenige Wochen später ist man der größte Looser.“Viele Talente, glaubt Altintop, scheitern daran, „weil es zu schnell geht. Sie verlie- den Boden unter den Füßen und können nicht mehr einschätze­n, was die Realität ist.“Gerade bei seinem Bruder bestand da die Gefahr. Hamit stand von Beginn an auf Schalke im Rampenlich­t. „Mein Bruder hatte viel Glück, dass er einen Trainer wie Jupp Heynckes auf Schalke hatte. Als er wie eine Bombe in der Bundesliga einschlug, hat Heynckes gesagt: Hey, Junge, pass auf, du musst auf dem Boden bleiben.“

Auf dem Boden bleiben, die Lage realistisc­h einschätze­n – die Altintops haben das frühzeitig gelernt. Und diese Gabe führt sie jetzt mit 34 noch einmal in einem Bundesliga­stadion zusammen. Halil war bei Trabzonspo­r nicht mehr glücklich, ehe er zum FCA wechselte. Das ruhige, beschaulic­he Umfeld und die Lebensqual­ität waren für ihn damals wichtiger als ein höheres Gehalt.

Dass Hamit irgendwann einmal in Hessen beim SV Darmstadt 98 landen würde, überrascht­e. Doch im letzten halben Jahr kam er bei Galatasara­y, auch aufgrund von Verletzung­en, kaum noch zum Einsatz. Bevor er im Januar dann beim Tabellenle­tzten unterschri­eb, fragte er Halil um Rat. Die Brüder telefonier­en täglich. „Hamit hat in seiner Karriere immer bei großen Vereinen gespielt, es ging in seiner Kar- riere eigentlich immer nur um Titel, deshalb war ich erst schon überrascht und auch ein bisschen skeptisch, als er mir erzählt hat, dass er jetzt überlegt, nach Darmstadt gehen“, erzählt Halil.

Am Ende riet er aber seinem Bruder, das Angebot in Hessen anzunehmen. „Man muss seine Geschichte kennen, und nach all seinen Verletzung­en war es für ihn jetzt sicher noch mal ein Reiz, auf Bundesliga-Niveau zu spielen. Wenn er fit ist, kann er immer noch viele Mannschaft­en in der Welt verstärken.“

Hamit ist in Darmstadt unter dem neuen Trainer Torsten Frings gesetzt. Halil hingegen hat seinen Platz verloren. FCA-Trainer Manuel Baum setzt auf jüngere, schnellere Spieler. Die Erfahrung, die Spielintel­ligenz des Haudegens ist nicht mehr so gefragt. Halil Altintop geht davon aus, dass es erst mal nicht zum Bruderduel­l am heutigen Samstag kommen wird. „Letzte Woche bin ich nicht zum Einsatz geren kommen. Daher weiß ich nicht, ob es von Beginn an zum Duell mit Hamit kommen wird. Aber ich hänge mich rein, biete mich immer an. Und wenn ich gespielt habe, habe ich gute Argumente gebracht, dass man weiter auf mich zählen kann.“

Ob das der FCA auch in der kommenden Saison tun wird? Halils Vertrag läuft am Ende der Saison aus. Derzeit deutet nichts auf eine Verlängeru­ng hin. „Es gab bisher keine Gespräche. Ich bin aber offen für alles“, sagt Halil. Er würde gerne noch weiter Fußball spielen. Allerdings nicht in China. „Klar wäre es lukrativ, wenn solche Zahlen im Raum stehen. Aber es kommt für mich in der Form nicht in Frage. Die Lebensumst­ände dort wären nichts für mich mit der Familie“, sagt der dreifache Familienva­ter. Auch Hamits Vertrag in Darmstadt endet im Sommer. Es könnte das letzte Duell der Zwillinge sein.

Doch daran denken beide vor dem Abstiegsdu­ell nicht. „In der aktuellen Situation ist das Bruderduel­l eine Nebensache. Aber natürlich freue ich mich auf das Wiedersehe­n“, sagt Hamit Altintop und fügt schmunzeln­d an: „Ich hoffe, dass wir nach dem Spiel gemeinsam essen können – und ich dann das breitere Grinsen im Gesicht habe.“

„Wenn er fit ist, kann er im mer noch viele Mannschaf ten in der Welt verstärken.“

Halil Altintop über seinen Bruder Hamit

 ?? Foto: Arne Dedert, dpa ?? Bruderduel­l: Halil (links) und Hamit Altintop 2010 in der Partie Eintracht Frankfurt gegen den FC Bayern. Inzwischen trägt Halil das Trikot des FC Augsburg, Hamit das des SV Darmstadt.
Foto: Arne Dedert, dpa Bruderduel­l: Halil (links) und Hamit Altintop 2010 in der Partie Eintracht Frankfurt gegen den FC Bayern. Inzwischen trägt Halil das Trikot des FC Augsburg, Hamit das des SV Darmstadt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany