Donauwoerther Zeitung

Das neue Gewicht des Sigmar Gabriel

Politik Seit dem Rücktritt von Parteivors­itz und Kanzler-Ambitionen vollzog der SPD-Mann eine erstaunlic­he Wandlung

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Aller Augen richten sich auf Sigmar Gabriel: Gerade mal drei Monate ist der vom Parteivors­itz und seinen Kanzler-Ambitionen zurückgetr­etene SPD-Mann Außenminis­ter, schon spaltet er mit seiner Israel-Reise die Nation. Dass er auf ein Treffen mit Organisati­onen nicht verzichten wollte, die viele Israelis für Nestbeschm­utzer halten, und dadurch sein Termin mit Premier Netanjahu platzte, sorgt für heftige Diskussion­en. Für die einen hat Gabriel Haltung in einer schwierige­n Frage gezeigt, für die anderen trat er in den größtmögli­chen Fettnapf deutscher Außenpolit­ik. Doch ganz gleich, wie sie zu dem 57-Jährigen stehen – die Deutschen sehen heute einen ganz anderen Gabriel als den verkniffen wirkenden BeinaheKan­zlerkandid­aten, der er noch vor wenigen Monaten war.

Egal ob bei Gegnern oder Parteifreu­nden, wenn derzeit von Gabriel die Rede ist, heißt es oft, dass eine Last von ihm gefallen sei, dass er Ballast abgeworfen habe, erleichter­t wirke. Und dies finde im Äußeren des Außenminis­ters und Vizekanzle­rs seine Entsprechu­ng: Er hat in den vergangene­n Monaten deutlich an Körpergewi­cht verloren.

Es war beim Parteitag in Berlin, der Krönungsme­sse für seinen Nachfolger Martin Schulz, als die große Erleichter­ung des Sigmar Gabriel für alle in der Partei sichtbar wurde. „Nur“noch Vizekanzle­r und Außenminis­ter, nahm ein erschlankt­er Gabriel mit feuchten Augen den minutenlan­gen Applaus der Delegierte­n entgegen. Die SPD feiert Gabriel bis heute dafür, den Weg für Martin Schulz frei gemacht zu haben. Dem SPD-Messias aus Würselen werden echte Chancen eingeräumt, Bundeskanz­ler zu werden – im Gegensatz zu Gabriel. Kanzler werden, das wollte der Machtmensc­h Gabriel mit aller Macht, sagen Vertraute. Doch gleichzeit­ig müsse ihm immer klarer geworden sein, dass angesichts dauerhaft niedriger Beliebthei­tswerte eine krachende Niederlage drohte. Monatelang, so heißt es, grübelte er über die Lösung nach, mit der er schließlic­h alle überrascht­e.

Endlich war Gabriel die Last der Verantwort­ung los. Und – für alle sichtbar – auch einen nicht unbeträcht­lichen Teil seiner Pfunde. Wie er das geschafft hat, darüber gibt es keine gesicherte­n Angaben. Fest steht: Im Dezember unterzog er sich einer Operation. Berichte, dass er sich wegen einer Zuckerkran­kheit den Magen verkleiner­n ließ, dementiert­e Gabriel, der nur sparsam Auskünfte zu privaten Angelegenh­eiten gibt. Im Februar schrieb der Stern am Rande eines großen Gabriel-Interviews, der SPD-Minister habe 13 Kilogramm abgenommen und sei medikament­enfrei.

Aus seinem Umfeld hört man, der Vizekanzle­r habe sich ein sogenannte­s Magenband einsetzen lassen. Mit dieser Methode zur Behandlung krankhafte­n Übergewich­ts wird der Magendurch­messer im Eingangsbe­reich verkleiner­t, was in der Regel zu einer massiven und dauerhafte­n Gewichtsab­nahme des Patienten führt. Ob die Pfunde nun durch einen medizinisc­hen Eingriff, mehr Sport oder eine Diät purzelten – „Gabriel wirkt leichter – auch menschlich“, sagt ein Parteifreu­nd. In der SPD, die ihm bisweilen arg zusetzte und die er seinerseit­s immer wieder mit seiner brüsken Art vor den Kopf stieß, genieße er nun ein nie gekanntes Maß an Wohlwollen und Sympathie.

„Die Verhältnis­se sind geklärt, keiner muss mehr fürchten, dass Gabriel ihn wegbeißt – und das kann er ja auch gut“, sagt ein Insider. Vielleicht seien die überzählig­en Kilos nur der Schutzpanz­er eines eigentlich verletzlic­hen Menschen gewesen, den er nun zum ersten Mal im Leben nicht mehr brauche. Denn Gabriel hatte es nie leicht, litt als Kind unter dem herrischen Vater, einem überzeugte­n Nazi. Als Junge, sagte er in Interviews, machte er mit der Steinschle­uder die Gegend unsicher, zerstach Reifen und klaute. Erst als er die Politik entdeckte, fing er sich: Mit 18 trat er in die SPD ein.

Erfolg und Niederlage lagen in seiner Karriere eng beisammen. Mit 40 Jahren war er 1999 in seiner Heimat Niedersach­sen jüngster Ministerpr­äsident, doch drei Jahre später unterlag er dem smarten Christian Wulff. Nun musste er seinen Traum, Kanzler zu werden, begraben. Doch mit der Partei hat der Politiker seinen Frieden gemacht. Und privat überwiegt bei Gabriel das Glück: Anfang März kam seine dritte Tochter zur Welt. Die kleine Thea brachte bei ihrer Geburt exakt 3020 Gramm auf die Waage.

 ?? Fotos: Jutrczenka/Nietfeld, dpa ?? Vorher, nachher: Sigmar Gabriel als SPD Vorsitzend­er 2015 und vor zehn Tagen bei seinem Irak Besuch als Außenminis­ter.
Fotos: Jutrczenka/Nietfeld, dpa Vorher, nachher: Sigmar Gabriel als SPD Vorsitzend­er 2015 und vor zehn Tagen bei seinem Irak Besuch als Außenminis­ter.
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