Heute trainieren
In der Osterwoche pilgerte ich mit der Immenstädter Pfarrei den fränkischen Jakobsweg. Neben dem Rucksack trug jeder sein inneres Päckchen gefüllt mit Dank oder Anliegen bei sich. Es fasziniert mich jedes Mal neu, welche Kraft unterwegs der gemeinsam gelebte Glaube entfaltet, welche Freude am Glauben durch das gemeinsame Singen und Beten entsteht.
In der Seelsorge erzählen mir viele Menschen, dass sie die Gemeinschaft der Kirche nicht brauchen, weil sie alleine ebenso gut glauben können. Doch wer die Kraft des gemeinschaftlich gelebten Glaubens erfahren hat, der wird diese Meinung relativieren. In diesem Jahr haben wir auf dem Weg das Vaterunser meditiert, durch gemeinsame Impulse und jeder für sich im Gehen des Weges. So hat sich dieses vertraute Gebet für jeden einzelnen nochmals neu erschlossen. Als Klinikseelsorger mache ich die Erfahrung, dass sich die Kraft des Gebets und gerade des Vaterunsers besonders in Krisenzeiten zeigt. Die Worte Jesu sind dann wie ein Geländer, an dem sich Menschen festhalten. Es schenkt Zuversicht. Eine Frau, die nicht mehr ansprechbar war und im Sterben lag, zeigte mir noch eine andere Dimension: Bei meinem Besuch sprach ich zunächst zu ihr, doch wie erwartet ohne irgendeine Reaktion. Da sagte ich ihr, dass ich für sie und die anderen Kranken das Vaterunser bete. Laut und deutlich begann ich zu sprechen. Schon nach den ersten Worten bewegte sich ihr Mund. Kaum hörbar, aber an den Lippen gut sichtbar betete sie mit mir das vertraute Gebet und beendete es mit einem deutlichen Amen.
Ihre Glaubenstiefe ist das Ergebnis eines lebenslangen „Trainings“. Wie bei jedem Training sind auch hier kleine Einheiten wertvoll: Wir können ein paar Worte aus dem Vaterunser als Tagesmotto herausgreifen und sie während des Tages „wiederkäuen“; wahrnehmen, was diese Worte in uns bewirken. Und vertrauen, dass sie sich tief in uns verwurzeln und uns tragen, jeden Tag neu.