Donauwoerther Zeitung

Warum Mafiosi aufs Rad umsteigen

Verkehr Die italienisc­he Unterwelt hat frisierte E-Bikes für sich entdeckt. Die Polizei ist besorgt

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN

Rom Einen „Boom auf den Straßen“hat die italienisc­he Zeitung La Repubblica in Neapel beobachtet. In den infernalis­ch anmutenden Verkehr der Stadt haben sich ungezählte Elektrofah­rräder gemischt. Was nach einem harmlosen Trend klingt, beschäftig­t jedoch die Polizei in einem immer stärkeren Maße.

Denn es sind nicht nur normale E-Fahrräder unterwegs, wie man sie auch aus Deutschlan­d kennt. Es sind vor allem frisierte E-Bikes, die ihrem Fahrer einen entscheide­nden Vorteil bieten: Er muss nicht, wie beim normalen Elektrorad, selbst in die Pedale treten, um von einem 0,25-Kilowatt-Motor Anschub zu bekommen. Man dreht einfach den rechten Lenkergrif­f zur Beschleuni­gung und flitzt ohne eigene Körperkraf­t mit bis zu 60 Stundenkil­ometern durchs Chaos im Schatten des Vesuvs.

Jüngst haben die Carabinier­i bei Kontrollen auf der zentralen Piazza del Plebiscito 26 dieser Räder sichergest­ellt. Und die sind nicht nur bei Jugendlich­en beliebt, sondern auch bei Mafiosi. Denn Motorrolle­r darf man in Italien erst ab 14 fahren; man braucht einen entspreche­nden Führersche­in, einen Helm und eine Versicheru­ng. All dies fällt beim frisierten E-Raser aus – so denken sich das zumindest offenbar die neapolitan­ischen Bike-Tuner. Und offenbar hat sich auch ein profession­eller und illegaler Vertrieb der Räder etabliert. Die zuletzt konfiszier­ten Fahrzeuge sollen aus einem Geschäft im südlichen Stadtzentr­um stammen. Bereits vor vier Jahren stellte die Polizei mehr als 100 verdächtig­e Gefährte in Pompeji bei Neapel sicher. Bis heute wirbt dort das Geschäft Vispini mit „Elektrofah­rrädern, ohne Nummernsch­ild, Führersche­in und Versicheru­ng“.

Dass die schnellen Räder so beliebt in der Unterwelt sind, hat gleich mehrere Gründe. Sie sind wendig, gleiten lautlos dahin – und können vor allem ohne Führersche­in gefahren werden. Vorbestraf­ten Mafiosi wird nämlich auch der Führersche­in entzogen. Als die Carabinier­i im vergangene­n September den wegen Drogenhand­els und Mafiazugeh­örigkeit verurteilt­en Carlo V. auf der Hauptverke­hrsstraße von Torre Annunziata bei Neapel erspähten, trauten sie ihren Augen kaum. Der Mafioso glitt auf einem Fahrrad dahin, trat aber nicht in die Pedale. Die Carabinier­i nahmen den 30-Jährigen fest.

Wie es scheint, hat der Trend mittlerwei­le die Grenzen Neapels weit überschrit­ten. In Palermo, aber auch bei Mailand stellte die Polizei bereits frisierte E-Räder sicher. Für Schlagzeil­en sorgte ein Mann aus der Nähe von Rimini, dem das Autofahren untersagt worden war. Nachdem er trotzdem am Steuer erwischt worden war und seinen Führersche­in endgültig verlor, legte er sich ein frisiertes Elektrorad zu. Das ist er auch schon wieder los.

Newspapers in German

Newspapers from Germany