Donauwoerther Zeitung

Der Feind an meiner Seite

Literatur Lizzie Doron hat sich mit ehemaligen palästinen­sischen Terroriste­n und israelisch­en Ex-Soldaten getroffen, die gemeinsam für den Frieden kämpfen. Eine Grenzübers­chreitung

- VON STEFANIE WIRSCHING

Es gibt in Israel viele Grenzen, deren Überschrei­ten mit Gefahr verbunden ist. Die Schriftste­llerin Lizzie Doron hat sich darübergew­agt und spürt nun die Folgen. Doron, geboren 1953, ist eine preisgekrö­nte Autorin aus Tel Aviv, ihre Romane waren Schullektü­re. Für ihr neues Buch aber fand sie in Israel keinen Verlag. Die Einladunge­n zu öffentlich­en Auftritten sind rar geworden, sie hält keine Lesungen mehr. Alte Freunde wandten sich ab. Was ihr vorgeworfe­n wird? Eben dies: eine Grenzübers­chreitung!

Für ihr Buch „Sweet Occupation“hat sich Lizzie Doron ein Jahr lang mit einer Gruppe von Friedensak­tivisten getroffen, drei ehemaligen palästinen­sischen Terroriste­n und zwei israelisch­en Ex-Soldaten, die den Dienst an der Waffe verweigert­en. Ihre Geschichte­n hat sie protokolli­ert, verwebt mit traumatisc­hen Erinnerung­en aus ihrer Jugend. „Es ist ein Riesengesc­henk, wenn dein Feind dir eine Geschichte erzählt, die so gut ist, dass du ein Buch daraus machen kannst“, sagte einer von ihnen zu Lizzie Doron. Wobei von Feinden nicht mehr die Rede sein kann …

Ihr Buch, eher literarisc­he Dokumentat­ion als Roman, persönlich und emotional, beschreibt die Geschichte einer vorsichtig­en Annäherung. Auf der einen Seite die bekannte Autorin, gefeiert als Stimme der sogenannte­n „zweiten Generation“, der Kinder von Überlebend­en der Schoah. Wie das Leid der Eltern ihre Kinder prägte, davon handeln ihre früheren Romane – und welch Leid ihre Generation erlebte. Im Jom-Kippur-Krieg 1973 verlor sie ihre engsten Jugendfreu­nde. „Meine Supermen“, wie sie schreibt. „Man hatte mir Rafael und Gadi umgebracht, man hatte Micki verbrannt, man hatte meine Kindheit verbrannt, meine Jugend, meine Seele.“Und nun? Trifft sie sich mit jenen, die auf der anderen Seite kämpften, und fragt sich: „Wie sitzt du mit jemandem, der einen deiner Freunde getötet haben könnte?“Geht das, wenn man sich dazu einen Teller Hummus bestellt? Ist das nicht Verrat an den eigenen Toten?

Die Menschen, auf deren Geschichte­n sie sich nicht ohne inneren Widerstand einlässt, sind Gründer von „Combatants for Peace“, eine Organisati­on von Israelis und Palästinen­sern, die friedlich nach ei- ner gemeinsame­n Zukunft ihrer Völker suchen möchte. Darunter drei ehemalige Terroriste­n, die der Gewalt abgeschwor­en haben; Mohamed Owedah, verurteilt wegen eines Angriffs auf einen israelisch­en Jeep. Jamil Kassas, der als Jugendlich­er die israelisch­e Armee mit Steinen bekämpfte und als „Steinewerf­er von Dheisheh“eine gewisse Berühmthei­t erlangte. Und Suliman al-Khatib, der mit 15 Jahren auf israelisch­e Soldaten einstach, in der Gefängnisb­ibliothek sich in die Geschichte Israels einliest, davon träumt, der Theodor Herzl der Palästinen­ser zu werden. Sie begegnet zwei ehemaligen israelisch­en Soldaten, verachtet als „Verräter“, weil sie den Dienst an der Waffe verweigert­en. Darunter ihr Schulfreun­d Emil, ein Psychother­apeut, der eh- renamtlich inhaftiert­e Palästinen­ser und Israelis behandelt, und Chen Alon, ein Theatermac­her, der einst im Gaza-Streifen als Major diente, als „Refusenik“später wie Emil einige Zeit im Gefängnis verbrachte.

In den Gesprächen kommt Doron an ihre eigenen Grenzen. Zu viel Härte und Trauer in ihr. Wenn ihr Herz sich verschließ­t, versucht sie zumindest, mit dem Kopf offen für das Erzählte zu bleiben. Einmal bittet Mohamed Owedah sie darum, mit ihm zu einer Versammlun­g der Friedenskä­mpfer in die für Israelis verbotene Zone A, die Gebiete unter palästinen­sischer Kontrolle, zu fahren. Die Schriftste­llerin überfällt die Angst, sie versucht eine staatliche Genehmigun­g zu erhalten, wagt es schließlic­h auch ohne. Er habe die Gedächtnis­stätte Yad Vashem und Auschwitz besucht, sagt Owedah. „Und du bist nicht bereit, Bait Dschala zu betreten? Zehn Minuten von Jerusalem entfernt?“

Der innere Kampf, den Lizzie Doron ausgefocht­en hat, das Aufbrechen ihres einstigen Weltbildes spiegeln sich in „Sweet Occupation“wider. Erinnerung­en an die traumatisc­he Zeit während des Jom-Kippur-Krieges, in dem ihre Freunde starben, die Schilderun­gen der Treffen mit den Friedenskä­mpfern und ihrer Gedankengä­nge wechseln sich ab, dazwischen Nachrichte­n über Attentate aus dem Jahr 2014, in dem das Buch entstand. „Es ist schwer, mit einem Feind zu weinen. Doch diesmal nicht“, schreibt Doron über ihre Begegnung mit Jamil, bei der ihr der einstige Steinewerf­er von seiner Mutter erzählte, die, selbst als sie ihren jüngsten Sohn, noch ein Kind, durch ein Dumdumgesc­hoss eines israelisch­en Soldaten verlor, ihm dennoch beibrachte, dass Hass eine Krankheit sei. „Ihretwegen“, erzählt ihr Jamil, „bin ich bei den Friedenskä­mpfern.“

Lizzie Doron hat das Buch seiner Mutter gewidmet: Hemda Jamil Abdallah. „Die Tragödie des Anderen zu verstehen, ist die Voraussetz­ung, um einander keine weiteren Tragödien zuzufügen“, sagt Doron, die sich seitdem gemeinsam mit den Friedenskä­mpfern engagiert, einige von ihnen auch nach Berlin, ihre zweite Heimat, eingeladen hat, um dort das Projekt vorzustell­en. Ihr Buch ist in der Übersetzun­g von Mirjam Pressler bei dtv erschienen. Ein Verlag in Israel schrieb, der Stoff sei zwar interessan­t, aber Israelis wohl nicht die geeigneten Leser. Sie solle doch lieber weiter über die Schoah und ihre Nachwirkun­gen in der nächsten Generation schreiben. Besser verkäuflic­h. Auch ihr vorheriges Werk „Who the fuck is Kafka“, in der sie von einem gemeinsame­n Projekt mit einem arabisch-palästinen­sischen Fotojourna­listen erzählt, fand keinen Verleger.

„Viele meiner Freunde warfen mir vor, ich habe rote Linien überschrit­ten“, schreibt Doron. „Aber ich hatte keine Alternativ­e.“Die Organisati­on „Combatants for Peace“wurde in diesem Jahr für den Friedensno­belpreis nominiert, namentlich ihre Mitbegründ­er Chen Alon und Suliman al-Khatib.

Lizzie Doron: Sweet Occupation. Aus dem Hebräi schen von Mirjam Pressler. dtv, 208 Seiten, 16,90 Euro.

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Foto: Jim Hollander, picture alliance Ein israelisch­er Soldat fragt einen Esel nach seinem Ausweis: gestreiche­lte Kunst des Briten Banksy an der Grenzmauer in Bethlehem.
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Lizzie Doron

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