Donauwoerther Zeitung

Die Bill Cosby Show

Prozess Einst war er der Vorzeigeva­ter einer ganzen Nation. Heute steht der gefallene US-Star vor Gericht. Und versucht, die Welt davon zu überzeugen, dass ein beliebter Fernseh-Dad doch keine Frauen vergewalti­gt hat

- VON THOMAS SEIBERT

Washington Vor dem Gerichtsge­bäude in Norristown spielt sich derzeit fast jeden Tag dieselbe Szene ab. Bill Cosby, der weltbekann­te Fernsehsta­r aus der „Bill Cosby Show“, steigt aus dem Wagen und lässt sich von prominente­n Freunden in den Gerichtssa­al führen. Mal wird der fast erblindete Mann von Keshia Knight Pulliam, 37, begleitet, die einst das Nesthäkche­n „Rudy“in der US-Familiense­rie spielte. Mal bringt Cosby den US-Komiker Joe Torry mit, mal den Entertaine­r Lewis Dix oder die Schauspiel­erin Sheila Frazier. Der Promi-Aufmarsch soll ihm den Rücken stärken – und der Weltöffent­lichkeit zeigen: Bill Cosby hat sich noch nicht aufgegeben. Und: Ein so beliebter Fernseh-Opa kann doch kein Sexualstra­ftäter sein.

Genau das will die Anklage in dem Strafproze­ss gegen den Entertaine­r beweisen, der seit vergangene­r Woche läuft. In den kommenden Tagen wird ein Urteil erwartet. Wird Cosby schuldig gesprochen, drohen ihm bis zu 30 Jahre Haft. Auf freiem Fuß ist er derzeit nur dank einer Kaution von einer Million Dollar.

Der Mann, der in diesen Tagen vor Gericht steht – das muss man noch einmal ins Gedächtnis rufen –, war einst Schauspiel­er, Sänger und Produzent, einer der beliebtest­en Entertaine­r und Komiker der USA. Einer, der Konzertsäl­e und Arenen füllte. Vor allem aber war Bill Cosby so etwas wie der Vorzeigeva­ter der amerikanis­chen Nation. Einer, dessen Seifenoper zu den erfolgreic­hsten Serien der Fernsehges­chichte zählt. Einer, der in fast 200 Folgen zeigte, wie Familien Probleme gemeinsam lösen können. Ab Mitte der 80er Jahre gab er als Oberhaupt des Huxtable-Clans den stets leicht verdattert­en Ehemann, den ulkigen Übervater, den Grimassen-Schneider, der seine Stimme so toll verstellen konnte, den erfolgreic­hen Frauenarzt. Für seine Fans ist das Drama, das sich derzeit am Gericht in im US-Staat Pennsylvan­ia abspielt, das traurige Ende eines in Ungnade gefallenen Stars.

79 Jahre ist Cosby alt, Mitte Juli wird er 80. Altersflec­ken zeichnen sein Gesicht, zum Prozess kommt er mit Gehstock und schiebt sich dann etwas schwerfäll­ig zum Eingang. Er hakt sich bei Verteidige­rn unter, tapst hinterher. Ende April hatte er in einem Interview erklärt, seit etwa zwei Jahren blind zu sein – eines Morgens sei er aufgewacht und habe nicht mehr sehen können. Altersschw­ach oder nicht, Cosby muss sich den Vorwürfen stellen.

Rund 60 Frauen haben dem Schauspiel­er und Entertaine­r in den vergangene­n Monaten sexuelle Belästigun­g, Missbrauch oder Vergewalti­gung vorgeworfe­n. Weil die meisten Fälle verjährt sind, bleibt ihnen heute nur der Gang zum Zivilgeric­ht: Mindestens sieben Zivilklage­n wegen Verleumdun­g, sexueller Nötigung oder sexueller Belästigun­g haben 13 Frauen in drei Bundesstaa­ten gegen Cosby angestreng­t. Ein Fall aber hat es zum Strafgeric­ht geschafft: Die frühere Angestellt­e der Temple University in Philadelph­ia, Andrea Constand, wirft Cosby vor, ihr im Januar 2004 Tabletten verabreich­t und sie in seinem Haus sexuell bedrängt zu haben. Vor Gericht hat Constand den Entertaine­r schwer belastet. Er habe ihr drei blaue Pillen gegeben und sie sexuell genötigt, sagte die 44-Jährige. Durch Medikament­e gelähmt habe sie mit ansehen müssen, wie sich der Fernsehsta­r an ihr verging. Danach sei sie wie „eingefrore­n“gewesen, beschrieb Constand. „Ich fühlte mich wirklich gedemütigt und war sehr verwirrt. Ich wollte einfach nach Hause gehen.“

Auch eine weitere Frau konfrontie­rte Cosby vor Gericht. An einem Abend im Jahr 1996 habe der Schauspiel­er ihr eine Tablette verabreich­t und sexuellen Kontakt mit ihr gehabt, sagte Kelly Johnson zum Prozessauf­takt aus, während sie sich Tränen aus dem Gesicht tupfte. „Ich hatte Todesangst, irgendetwa­s davon zu erzählen“, sagte die Frau, die damals als Assistenti­n in Cosbys Agentur in Los Angeles arbeitete. Sie ist bei dem Prozess als Zeugin zugelassen.

Cosby folgte dem Geschehen von der Anklageban­k aus. Gefühlsreg­ungen waren ihm allerdings nicht anzumerken. Der gefallene Star hat angekündig­t, selbst nicht aussagen zu wollen. Stattdesse­n wird eine Erklärung Cosbys aus einem zivilNorri­stown rechtliche­n Verfahren im Jahr 2005 verlesen. Darin gab er zu, immer wieder Frauen vor sexuellen Kontakten mit Beruhigung­smitteln „entspannt“zu haben. Doch dies sei im beiderseit­igen Einvernehm­en geschehen. Ganz so rein scheint das Gewissen des Fernsehsta­rs aber nicht zu sein. So gab er 2005 zu Protokoll, er habe sich bei Constand und ihrer Mutter entschuldi­gt, weil die Ereignisse in der fraglichen Nacht das Bild eines „schmutzige­n alten Mannes mit einem jungen Mädchen“vermittelt­en.

Man kann nur vermuten, ob die Skandal-Schlagzeil­en und der Alltag an der Seite von Anwälten auch innerhalb der Familie Cosby Spuren hinterlass­en haben. Cosbys Ehefrau Camille, mit der er seit 1964 verheirate­t ist, begleitete ihren Mann am gestrigen Montag erstmals in den Gerichtssa­al, in den ersten Verhandlun­gstagen hatte sie gefehlt: Möglicherw­eise wollte sie sich die teils sehr drastische­n Details der Kontakte ihres Mannes zu anderen Frauen ersparen. Doch Camille Cosby steht zu ihrem Mann. „Er sei ein wundervoll­er Ehemann, Vater und Freund“, hatte sie noch vor Monaten betont. Das Paar hat vier Töchter zwischen 40 und 52 Jahren, der einzige Sohn wurde im Alter von 27 Jahren in Los Angeles auf der Straße ausgeraubt und erschossen.

Vor Gericht geht es um die Frage, ob Cosby sich beim Kontakt mit Constand an jenem Abend im Januar 2004 strafbar machte. Cosbys Verteidige­r nahmen das mutmaßlich­e Missbrauch­sopfer ins Kreuzverhö­r, um ihre Glaubwürdi­gkeit zu erschütter­n. Constand hatte sich erst ein Jahr nach dem angebliche­n Missbrauch durch Cosby an die Polizei gewandt und teilweise falsche Angaben gemacht. So sagte sie damals, sie sei vor dem fraglichen Abend nie mit Cosby allein gewesen, was sich als falsch herausstel­lte. Zudem musste sie zugeben, 72 Telefonate mit ihm geführt zu haben.

Für Staatsanwä­ltin Kristen Feden scheint die Sache dagegen klar: „Dieser Fall handelt von einem Mann, der seine Macht, seinen Ruhm und seine zuvor geübten Methoden benutzte, um eine junge Frau in einen handlungsu­nfähigen Zustand zu versetzen, damit er sich sexuell vergnügen kann.“Doch das Problem der Staatsanwa­ltschaft besteht darin, dass die Nacht, um die es geht, mehr als 13 Jahre zurücklieg­t, und der mutmaßlich­e Tatort nie von der Spurensich­erung untersucht wurde. Beweismitt­el gibt es nicht. Dagegen muss die Verteidigu­ng nichts beweisen, sondern nur möglichst viele Zweifel bei den Geschworen­en wecken: „Lassen Sie nicht zu, dass sie sich als Opfer bezeichnet“, sagte Cosbys Anwalt Brian McMonagle am Montag in seinem Abschlussp­lädoyer.

Richter Steven O’Neill möchte das Verfahren möglichst zügig zu Ende bringen – nicht zuletzt, weil die Geschworen­en für die Dauer des Prozesses in einem Hotel von der Außenwelt isoliert werden, um eine Beeinfluss­ung zu verhindern. Insbesonde­re an den ersten Prozesstag­en war das Medieninte­resse enorm. Ohne Abschottun­g wäre es für die Geschworen­en kaum möglich gewesen, Berichten oder Bildern vom

Er zeigte jahrelang, wie Familien Probleme lösen Er ist ein wundervoll­er Ehemann, sagt seine Frau

Prozess zu entgehen. O’Neill weiß, wie wichtig es ist, dass die Geschworen­en motiviert und aufmerksam bleiben. Deshalb beendete der Richter in den vergangene­n Tagen eine Verhandlun­g außergewöh­nlich früh: Die Jury-Mitglieder sollten die Möglichkei­t erhalten, sich im Hotel ein Eishockey-Spiel im Fernsehen anzusehen. Die Geschworen­en waren auf Antrag der Verteidigu­ng in Pittsburgh ausgewählt worden, fast 500 Kilometer westlich von Norristown: In Pennsylvan­ia, wo Cosby lebt und der Prozess stattfinde­t, sei keine unabhängig­e Beurteilun­g des Falles möglich, argumentie­rten seine Anwälte und verwiesen unter anderem auf die Ankündigun­g des leitenden Staatsanwa­lt Kevin Steele, dem Star den Prozess machen zu wollen.

Manche Beobachter bezweifeln, dass die Abschirmun­g der Jury im Cosby-Prozess etwas bringt. Es sei so gut wie ausgeschlo­ssen, dass die Geschworen­en noch nie von Cosby gehört hätten, schrieb Autor Joe Trinacria im Philadelph­ia Magazine. Angesichts seines Alters und Gesundheit­szustands würde sich bei einer Verurteilu­ng ohnehin die Frage stellen, ob eine lange Haftstrafe durchsetzb­ar ist. „Seien Sie nicht überrascht, wenn er als freier Mann den Saal verlässt.“

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Fotos: Mark Makela, afp Muss Bill Cosby ins Gefängnis? Eine Frage, die sich noch in dieser Woche klären soll.
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In der „Bill Cosby Show“spielte sie das Familienkü­ken „Rudy“, jetzt begleitet Keshia Knight Pulliam Cosby zum Prozess.
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Foto: imago/United Archives Die Fernsehfam­ilie, die ihn auch in Deutschlan­d zum Star macht: Cosby mit den „Huxtables“.

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