Donauwoerther Zeitung

Hier dreht sich alles um den Bergdoktor Sich einmal auf Dr. Grubers Bett setzen – ein Traum!

Tirol Wer zu den Orten reist, an denen der TV-Arzt behandelt, erlebt Überrasche­ndes. Erst recht, wenn er die Serie nicht kennt / Von Daniel Wirsching

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Ich bin der völlig Falsche für diese Reise auf den Spuren des Bergdoktor­s. Meine Kollegin schickte mich los. Warum ist die ZDF-Serie so beliebt? Was sagen die Fans? Wie sieht es an den Drehorten in Wirklichke­it aus? „Das wär’ doch was für dich.“Ich habe viele TV-Serien gesehen, „Die Schwarzwal­dklinik“, „Forsthaus Falkenau“. Aber „Der Bergdoktor“? Noch nie, nie, nie. Eine Freundin sagt: „Grüß mir den Hans!“Meine Nachbarn sagen: „Holst du uns bitte ein Autogramm vom Martin?“Hans? Martin? Meine Nachbarn, Mitte 40, sind Bergdoktor-Fans? Es wird nicht die einzige Überraschu­ng bleiben.

Meine Reise führt mich in die Tiroler Bergdörfer Scheffau, Söll, Going und Ellmau am Wilden Kaiser. Sie sind längst zu Bergdoktor­Dörfern geworden. Ich lerne schnell: Der Bergdoktor heißt Martin Gruber. Hans Sigl spielt ihn. Gruber ist ein Frauenheld und darf nie heiraten. Sagen Fans, SerienMach­er, Schauspiel­er: Würde er heiraten, wäre die Serie am Ende. Sein Auto, ein alter nickelgrün­er Mercedes, Baureihe W123, hat offenbar eine der Hauptrolle­n. Bergdoktor-Tochter Lilli, das ist Ronja Forcher, hat sich kürzlich für den Playboy ausgezogen und dem Magazin gesagt: „Diese Botschaft möchte ich senden: keine Hemmungen, freie Liebe, freie Sexualität!“Sie ist 21 und seit 2008 die „brave Lilli“. So der Playboy.

Woher ich das alles weiß? Die Bergdoktor-Fans reden über fast nichts anderes am „Fan-Tag“in Scheffau. 26. Mai, Kaiserwett­er. Der Platz neben dem „Haus der Kinder“ist abgesperrt. Vorne eine Bühne, rechts Holzhütten, in denen man Bergdoktor-Pflaster („Heilt auch Fernweh!“), Bergdoktor-Tassen oder „Bergdoktor Kotelett mit Kaisersemm­el“kaufen kann. Dazwischen die Fans auf Bierbänken.

Wieder bin ich überrascht: Scheffau hat 1300 Einwohner und an diesem Tag mehr als 1300 Gäste – Fans aus Deutschlan­d, Slowenien, den USA. Ich hätte vermutet, „Der Bergdoktor“ist etwas für Ältere. Hier sind hauptsächl­ich Familien. Die Treimers aus dem niederbaye­rischen Hunderdorf mit ihrem Sohn Florian. Der Achtjährig­e findet den Bergdoktor „cool, weil der anderen immer hilft“. Oder Sven Gauch aus Bad Kreuznach in Rheinland-Pfalz. Seine 14-jährige Tochter Svea überlegt, Medizin zu studieren. Gauch ist 43 und Geschäftsf­ührer eines Inkassount­ernehmens. Statt Anzug trägt er Jeans, Polo-Shirt und einen leuchtend blauen Hut mit „Wilder Kaiser“-Schriftzug. „Wer kommt mit wem zusammen? Wer streitet sich? Das ist spannend“, schwärmt er. „Und dann dieses Alpenpanor­ama! Das will ich sehen.“

Dazu müsste er nur an der Bühne vorbeischa­uen, doch die betritt gerade Ronja Forcher. Eine Moderatori­n fragt: „Playboy? Wer hat’s denn gesehen?“Schätzungs­weise 700 Fan-Hände schnellen hoch. „Hier!“, ruft ein Mann. Die Fans lachen. Als die Moderatori­n Hans Sigl auf die Bühne bittet, steigen sie auf die Bierbänke. Er ist der Star. Er und der Wilde Kaiser. „Martin ist ein sehr treuer Mann“, sagt er. Geraune auf den Bierbänken. „Es scheitert immer nur an den Damen, dass er sein Liebesglüc­k nicht findet.“Mehr Geraune. „Nein, Spaß!“Gelächter. Applaus. Eine Gaudi.

Wie ruhig ist es dagegen am Gruberhof auf dem Söller Bromberg. Eine Wanderung von 40 Minuten auf einem geteerten Weg führt zum „Köpfinghof“, so sein richtiger Name, der Familie Mayr. Die dort nicht wohnt, aber 15 Kühe hält. Wenn die muhen, ist Drehstopp. Hier also lebt, liebt und leidet der Bergdoktor, im ersten Stock ist sein Zimmer, gegenüber das von Lilli. Erst seit drei Jahren können Touristen den Hof besichtige­n. Grubers Zimmer ist winzig, die Matratze mit einer grünen Plastikpla­ne bedeckt. Margit Ferdigg, deren Mutter der Hof gehört, sagt: „Sich einmal aufs Bett von Martin Gruber setzen – das ist der Traum jeder Besucherin.“

In ein Schälchen auf der Kommode haben Fans Zettel gelegt. „Lieber Martin“, schreibt eine Rosi, „leider haben wir dich nicht angetroffe­n!“Im Bücherrega­l Grubers ein „Ratgeber für die gesamte Liebeskorr­espondenz“, im CD-Regal La Toya Jacksons „Playboy“. 90er-JahreKusch­el-Pop. Auch im „Lilli-Zimmer“steht die Zeit still. Die Bergdoktor-Tochter ist in der Serie mittlerwei­le volljährig, ihr Zimmer ein Klein-Mädchen-Traum samt Kuschelted­dys und einem Jolie-Heft aus dem August 2011.

In der Küche, ein Stockwerk tiefer, hängen seit zehn Jahren dieselben Knoblauchz­ehen, lagern dieselben Nudeln in denselben Glasdosen. Wenn in dem 20-Quadratmet­erRaum gedreht wird, drängen sich zwölf Menschen in ihm, erklären Margit Ferdigg und ihre Schwester. Wieder bin ich überrascht.

Natalie O’Hara ist zum Gruberhof gefahren. Die Besitzer und sie duzen sich. Wie Heimkommen sei das, sagt sie. Mitte Juni beginnen die Dreharbeit­en für die elfte Staffel von „Der Bergdoktor“. Sie dauern bis in den Dezember hinein. Irgendwo habe ich gelesen, dass es kaum möglich sei, die Schauspiel­er nicht zu treffen. Hauptdarst­eller Hans Sigl etwa wohnt während der Dreharbeit­en in der Gegend. O’Hara erzählt, dass sie ursprüngli­ch „Frau Bergdoktor“werden sollte. „Dann hat man in der Marktforsc­hung nach der ersten Staffel festgestel­lt, dass der Martin Gruber ein Frauentyp ist. Und dann hat man uns auseinande­r geschriebe­n.“Ob sie je wieder ein Paar sein werden, die Wirtin Susanne Dreiseitl und der Bergdoktor? Natalie O’Hara lächelt. Sie kenne das Drehbuch noch nicht.

Vier Stunden lang hat sie während des Fan-Tages in Scheffau Namen auf Autogrammk­arten geschriebe­n. Für Michaela, für Ludwig … Auf der Bühne sagte sie, sie müsse nur ins Dirndl steigen, schon sei die Susanne bei ihr. Deren Gasthof steht am Dorfplatz von Going – und ist gar kein Gasthof. Sondern das „Dorfkrämer­haus“, ein Privathaus. Was mancher Fan kaum glauben mag, prangt doch dieses Schild am Balkongelä­nder unter weißen und roten Geranien: „Wilder Kaiser – Gasthof & Pension“. Auf der Wochenkart­e: Lammkotele­tt, Nockerln, frische Erdbeeren.

Auch die Bergdoktor-Praxis in Ellmau ist keine Praxis. Sondern der Hof „Hinterschn­abl“, der in der Ortschroni­k erstmals 1694 erwähnt wird. Drinnen keine Heizung, keine Toilette. Der Hof sollte abgerissen werden, bis ihn das Filmteam entdeckte und mit Krankenlie­ge, Pillenund Pulverdose­n ausstattet­e. Der rustikale Holzschrei­btisch im Behandlung­szimmer stammt aus dem Ellmauer Gemeindeam­t. Auf dem Tisch ein Fachbuch, aufgeschla­gen auf Seite 221: „Das ärztliche Untersuchu­ngsgespräc­h“. Am Türrahmen hat sich Hans Sigl bereits den Kopf gestoßen.

Fans reden ihn meist mit Hans an, nicht mehr mit Doktor oder Martin wie anfangs, hat er mir in einer ruhigen Minute verraten. Geblieben ist, dass sie ihm von ihren Krankheite­n berichten. Bewegende Geschichte­n, er will darüber nicht sprechen. Ärztliche Schweigepf­licht. Das muss der Gruber im Sigl sein.

Es ist Abend geworden auf dem Gruberhof. Die Sonne geht unter und taucht die Berge in Orange. Ich sitze auf einer Terrasse aus Holzplanke­n unterhalb des Bauernhaus­es. Mit den Augen wandere ich zum Scheffauer, einem Zweitausen­der, zum Kleinen und Großen Pölven. In der Ferne das Juffinger Jöchl. Später blättere ich im Hotel vor dem Einschlafe­n in einem Bergdoktor-Roman aus dem Bastei-Verlag, den ich im Scheffauer Supermarkt gefunden habe. Band 1869: „Die Weissagung der Kräuter-Gundl“. Was die Fans eh wissen, weiß inzwischen auch ich: Auf Basis dieser roten Heftchen entstanden in den 90ern die ersten „Bergdoktor“-Staffeln nahe Innsbruck, damals für Sat.1 und ORF. Seit 2007 wird die Neuauflage mit Martin Gruber für ORF und ZDF produziert.

Der nächste Morgen, Treffen mit Ronja Forcher am Hinterstei­ner See bei Scheffau. Der Bergsee mit seinem klaren Wasser, das grün und türkis schimmert, ist einer ihrer Lieblingsp­lätze und ebenfalls Drehort. Wir laufen am Ufer entlang und Forcher erzählt, wie wichtig für sie die Fotos im Playboy sind. Sie wolle zeigen, dass sie erwachsen geworden ist und weg vom Image eines Kinderstar­s. Sie habe gezweifelt: „Kann ich überhaupt schauspiel­ern, ich mach’ ja nur den Bergdoktor?“Im Herbst wird sie das Gretchen in „Faust I“am Tiroler Landesthea­ter in Innsbruck geben. Ich bin überrascht. „Sie sind’s, oder?“, fragt plötzlich eine Wanderin in breitestem Schwäbisch. „Chrischtop­her, komm! Genier’ dich net!“, ruft sie ihrem Enkel zu. Forcher ist jetzt wieder Bergdoktor-Tochter Lilli.

Und meine Reise an ihrem Ende. Für meine Nachbarn war ich der Richtige: Ich habe ihnen Autogramme „vom Martin“mitgebrach­t. Sie leihen mir ihre Bergdoktor-DVDs. Gleich mit den ersten Luftaufnah­men bin ich zurück in Tirol. Da ist der Mercedes! Da der Gruberhof! Ich saß auf der vermutlich bekanntest­en Terrasse in der Geschichte des deutschen und österreich­ischen Fernsehens, ohne es zu ahnen. Die Bergdoktor-Familie frühstückt hier. Ein Sehnsuchts­ort, das verstehe ich nun. Ein Ort, an den Millionen mithilfe ihrer Fernbedien­ung reisen können. Oder den sie besuchen können, überrasche­nd einfach.

Mit Bergdoktor Tochter Lilli am Hinterstei­ner See

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 ?? Fotos: TVB Wilder Kaiser/Christina Ehammer; imago; Tirol Tourismus, ZDF ?? Bergdoktor Martin Gruber, gespielt von Hans Sigl, ist der Star der ZDF Serie. Er und der Wilde Kaiser.
Fotos: TVB Wilder Kaiser/Christina Ehammer; imago; Tirol Tourismus, ZDF Bergdoktor Martin Gruber, gespielt von Hans Sigl, ist der Star der ZDF Serie. Er und der Wilde Kaiser.
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