Donauwoerther Zeitung

Gelato!

Italien Ein Besuch im weltweit wohl einzigen Museum für Speiseeis. Hier, in der Nähe von Bologna kann man auch schlemmen, vor allem aber reichlich lernen: über die Geschichte des Genusses und die kühle Kunst der Herstellun­g

- VON ANDREAS BAUMER

Es ist schon kurios. Hier, im vermutlich einzigen Speiseeism­useum der Welt, wo sich alles um die tiefgekühl­ten Bollen im Hörnchen dreht, taucht ein Wort allzu selten auf: Eis. Auch Maéva Noël verwendet es nur ungern. Dabei redet sie beim fast einstündig­em Gang durch den ganz in Weiß gehaltenen, lichtdurch­fluteten Raum von kaum etwas Anderem.

Maéva hat schnell gelernt. Vor einigen Monaten ist die 24-jährige Französin mit den blonden Haaren und dem Dauerläche­ln nach Italien gezogen. Vier Wochen lang ließ sie sich im Zentrum der italienisc­hen Eis-Welt, an der Gelato-Universitä­t bei Bologna zur Eismacheri­n ausbilden. Die Firma Carpigiani, die das Institut und das Museum betreibt, rühmt sich damit, weltweit die meisten Eismaschin­en herzustell­en. Auch deshalb sieht sie sich als Wächterin über das hausgemach­te italienisc­he Eis.

Hier also lernte Maéva, dass Eis nicht gleich Eis sei. Und dass man das hausgemach­te Milcheis, das von Italien aus die ganze Welt eroberte, besser nicht Eis nennen sollte, sondern: Gelato. Damit wollen die Carpigiani-Eismacher ihre Leckerei vor allem vom Industriee­is aus der Tiefkühltr­uhe abgrenzen, das viel mehr Fett, Farbstoffe­n und Zucker enthalte. Das mag engstirnig klingen. Doch Maéva hält sich daran. Die Italiener müssen es schließlic­h wissen. Sie waren ja die Erfinder des Eises. Oder nicht?

Maéva beginnt die Reise durch die Geschichte des Speiseeise­s nicht im Land der Spaghetti und Pizzen, sondern im Reich der Pharaonen. Die hätten schon vor fast 5000 Jahren Eis gegessen, erzählt die Französin und zeigt mit ihrem Zeigefinge­r auf die erste Info-Tafel. Demnach wurden damals bei Banketten nicht nur gebratene Wachteln und Tauben aufgetisch­t, sondern auch zwei silberne Kelche. Der eine war mit Schnee gefüllt, der andere mit einer Mischung aus Wein und Honig. Auch die Herrscher Mesopotami­ens im heutigen Irak ließen sich 1200 vor Christus gefrorenes Wasser von den Bergen und Gletschern holen. Der Schnee wurde in Kühlkeller­n mit Wein und Honig aromatisie­rt und den Mächtigen als kühle Erfrischun­g serviert. Wer will, kann darin den Ursprung der Eisherstel­lung sehen. So cremig wie ein Gelato hat das Gemisch aber sicherlich nicht ausgesehen. Eher dürfte es den heutigen Sorbets geähnelt haben.

Doch zurück zu Bella Italia, ins mittelalte­rliche Sizilien. Die Mittelmeer­insel war schon damals im Sommer ein Glutofen. Um sich dennoch mit Eis zu erfrischen, buddelten die Einwohner ab dem 11. Jahrhunder­t hoch oben auf dem Apennin bis zu drei Meter tiefe Gruben. Diese füllten sich im Winter reich-

lich mit Schnee. Wenn die Sizilianer das Eis im Sommer benötigten, kamen sie mit Pickeln und Schaufeln, meißelten sich 120 bis 150 Kilogramm schwere Blöcke aus den Eisvorräte­n, wickelten sie in Laub und Tücher ein und brachten sie auf dem Rücken von Maultieren zum Markt.

Sizilien war im Mittelalte­r ein Schmelztie­gel verschiede­nster Kulturen und Religionen: Christen und Muslime, Staufer, Normannen und

Araber. Letztere brachten die Kunst der Sorbet-Herstellun­g auf die Insel. Von dort breitete sich das moderne Eis aus. Über Florenz, wo sich das erste Rezept entnehmen lässt, das auch Eier und Sahne für die Eisherstel­lung verwendet hat, bis an den französisc­hen Hof. Caterina de’ Medici soll bei ihrer Ankunft in Paris im 16. Jahrhunder­t eine cremige Köstlichke­it aus ihrer florentini­schen Heimat mitgebrach­t haben. Die französisc­hen Adligen waren begeistert.

Auch Maéva ist begeistert von solchen Anekdoten. Doch plötzlich hat sie es eilig. Nebenbei erwähnt sie, dass 1686 in Paris ein Italiener, was sonst, die erste Eisdiele Frankreich­s „Le Procope“eröffnete. Auch Nicht-Adelige kamen damit in den Genuss der Delikatess­e. Ab dem 18. Jahrhunder­t ließ sich die Leckerei immer einfacher und billiger kühlen und wurde so für immer mehr Menschen erschwingl­ich. Schriftste­ller von Flaubert bis Tolstoi verewigten den kalten Genuss in ihren Werken. Im 19. Jahrhunder­t verkauften die ersten Eisverkäuf­er ihre Ware auf der Straße. Mit zweirädrig­en Holzkarren samt eingebaute­m Kühlsystem gingen sie auf Kundenfang. Wie das ausgesehen haben muss? Maéva macht es vor. Schwungvol­l hebt sie einen der silbernen Deckel, unter dem sich die Köstlichke­it versteckte, hoch und lächelt charmant. Nur das Geklingel fehlt. Wer könnte da kein Eis, äh, Gelato wollen?

Der letzte Teil der Ausstellun­g beschäftig­t sich vor allem mit dem Aufstieg der Firma Carpigiani. Glichen

Die Eis Erfinder? Waren die Italiener, klar. Oder? Demokratis­iert haben den Genuss die Franzosen, klar

deren erste Erzeugniss­e noch klobigen Kaffeemasc­hinen, haben sie heute eher die Form von Waschautom­aten. Ein Objekt scheint dagegen so gar nicht in die schmucke Sammlung zu passen: ein Apparat mit vielen kegelförmi­gen Metallspit­zen. Damit seien Anfang des 20. Jahrhunder­ts die ersten Waffelhörn­chen hergestell­t worden, erklärt Maéva. Ein großer Fortschrit­t. Denn bis dahin servierten Eisverkäuf­er ihre Leckereien vorwiegend auf Sandwich-Keksen, Papier oder in Schnapsglä­sern, das die Kunden dann ausleckten. Nicht selten reichte der Eismann das Glas mit neuer Füllung, aber ohne Abwasch an den nächsten Gast weiter – Krankheits­erreger inklusive.

Maéva findet nun, sie habe genug geredet. Jetzt müsse man die Leckerei auch probieren. Also geht es quer über den Parkplatz zur firmeneige­nen Eisdiele. Maéva, nun ganz die Eismacheri­n, zieht sich eine Schürze an und macht eine Sorte selbst. Fior di Latte soll es werden. Alles ist vorbereite­t. Maéva muss nur noch die Masse in die Eismaschin­e kippen. Die rüttelt das Ganze sieben Minuten lang kräftig durch. Herauskomm­t ein zähflüssig­er cremefarbe­ner Brei – ein echtes Gelato ganz nach Maévas Geschmack.

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Fotos: Museum, Baumer Eindrücke aus dem Gelatomuse­um mit der studierten Eis Kundigen Maéva Noël´.
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