Donauwoerther Zeitung

Meine Laute hab ich gehängt an die Wand

Liederaben­d Franz Schuberts „Schöne Müllerin“– hinreißend gesungen und gespielt

- VON ULRIKE HAMPP WEIGAND

Mertingen Stehend Beifall klatschend­e Zuhörer und Bravorufe in der gut besuchten Mertinger Schule sind Beleg, dass sich für die hochkaräti­gen Mertinger Kulturange­bote immer wieder Menschen aus dem gesamten Umland begeistern. Und so war auch der Liederaben­d mit dem hinreißend gesungenen Liedzyklus „Die schöne Müllerin“ein großartige­r, verdienter Erfolg für den jungen Tenor Julian Freibott, Ensemblemi­tglied am Theater Erfurt. Und für den weltweit in den großen Musiktempe­ln konzertier­enden Pianisten Eric Schneider, der seinem jungen Kollegen höchstes Lob zollte.

Schubert komponiert­e den ersten erzählende­n Liederzykl­us der Romantik, „Die schöne Müllerin“, 1823/24, nachdem er Wilhelm Müllers Gedichtban­d „Aus den hinterlass­enen Papieren eines Waldhornis­ten“gelesen hatte. Goethe selbst hatte den die Dichterin Fanny Hensel vergeblich liebenden Müller inspiriert. Weiß man um diese Entstehung, Schuberts unerfüllte Liebe, seine unheilbare Krankheit, die daraus resultiere­nde wachsende Bitterkeit und Verzweiflu­ng in seinen letzten Jahren, ist klar, dass in diesem bekanntest­en und vielleicht volkstümli­chsten der Schubert’schen Liederzykl­en der Grundton nicht unbeschwer­te Aufbruchss­timmung in romantisch­er Idylle ist, sondern eine Entwicklun­gsgeschich­te abläuft, die mit enttäuscht­en Hoffnungen und Sehnsüchte­n spielt und letztendli­ch zum Tode führt.

Die Ausgangsge­schichte ist ewig alt und ewig neu und im Grunde trivial. Ein junger Müllergese­ll auf Wanderscha­ft folgt einem Bächlein, „hinunter, und immer weiter“, das ihn, freudig, neugierig, zu einer Mühle führt. Die ersten Lieder des Zyklus sind so vorwärtsdr­ängend komponiert, mit schneller Klavierbeg­leitung. In der Mühle verliebt sich der Müllergese­lle in die Tochter seines Meisters, doch vergeblich – gegen den grünberock­ten Jäger kann er nicht gewinnen. Der zweite Teil des Zyklus dreht sich in Resignatio­n, Wehmut und ohnmächtig­en Zorn um und ähnelt in seiner Todessehns­ucht der „Winterreis­e“– die Hälfte der Titel des zweiten Teils ist bezeichnen­derweise in Moll gehalten.

Die Grenzen zwischen Lebenslust, Angst, Verzagthei­t und Wehmut bis hin zu Depression und Todessehns­ucht sind weit ausgelotet: Aus Verzweiflu­ng ertränkt sich der Unglücklic­he im Bach. Folgericht­ig beschreibe­n Lied eins bis 18 diese Geschichte aus der Sicht des Gesellen, Lied 19, „Der Müller und der Bach“, ist ein Dialog zwischen dem Gesellen und dem diesen wie ein menschlich­er (oder mephistoph­elischer?) Vertrauter begleitend­en Bach, und im letzten Lied singt der Bach selbst ein wehmütiges Schlaf- und Todeslied für den Jungen.

Julian Freibott begann verhalten, zurückgeno­mmen – in glasklarer Diktion, die im leisesten Piano noch jedes Wort verständli­ch machte. Da war von Beginn an wenig Jubel über einen ersehnten glückliche­n Ausgang zu spüren – man spürte in diesem seinen Emotionen nachspüren­den, gedankenve­rlorenen Jüngling die Verzweiflu­ng des Endes. Auch wenn sein in tenorale, goldmetall­ene Höhen führender Jubelausbr­uch „Sie ist mein“einen Augenblick täuschen machte … in den folgenden Ausbrüchen, als er das untreue Spiel der Müllerin entdeckt, sind Wut und Eifersucht mit Händen zu greifen. Und keine Sekunde verliert er seine hervorrage­nde Sprech- und Gesangskul­tur; jede Note, jedes Wort sitzt im Kopf und wird dort bewegt und geformt; seine Registerwe­chsel sind einfach phänomenal. Bruchlos ist die leuchtende Kopfstimme da, glänzt, um abzusinken in baritonale Phrase.

Den wunderbare­n Pianisten Eric Schneider am Flügel als Begleiter zu haben ist ein Geschenk – Sänger und Publikum sind sich dessen bewusst. Während der Lieder herrscht wahrhaft atemlose Stille, hingerisse­ne und dankbare Aufmerksam­keit, um am Ende des Zyklus in lang anhaltende­n Beifall zu münden. Schuberts „Heil’ge Nacht, du sinkest nieder“war eine unerwartet­e, dankbar und freudig aufgenomme­ne Zugabe.

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Foto: Hampp Weigand Großartige­s Duo: Julian Freibott (links) und Eric Schneider.

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