Wo bleibt die Liebe im Alltag?
Lebenskunst Jedes dritte Ehepaar trennt sich. Oft, weil auf der Langstrecke der Blick füreinander verloren geht. So finden Paare wieder zueinander
Tagsüber gibt man sich die Klinke in die Hand, abends wird Organisatorisches besprochen. Romantisch ist das nicht, was in vielen Beziehungen – vor allem mit Kindern – Alltag ist. „Der Trott aus Verpflichtungen führt leider sehr häufig dazu, dass sich viele nicht mehr als Liebespaar, sondern nur noch als Team sehen“, sagt der Münchner Paarberater und Autor Sascha Schmidt. Besonders erleben das viele Paare in der „Rush-Hour des Lebens“, irgendwann zwischen 25 und 45 Jahren, wenn Beruf und Familie den Alltag mit besonders hohen Anforderungen belasten. Im Wunsch, allem gerecht zu werden, bleibt die Pflege der Paarbeziehung schnell auf der Strecke. „Man rutscht in einen Trott und verliert sich leicht aus den Augen“, beobachtet Schmidt.
Ein Stück weit sei das normal: „Wenn die Zeit des Verliebtseins vorbei ist, richtet jeder seinen Blick wieder stärker auf die eigenen Bedürfnisse.“Die Qualität langjähriger Beziehungen bestehe darin, ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Bedürfnissen zu finden, den Alltag gemeinsam zu meistern, aber auch Zeit für Nähe und Zweisamkeit zu haben.
Der Berliner Paartherapeut Clemens von Saldern sieht einen Hauptgrund für viele Scheidungen im fehlenden Wissen für die Beziehungspflege: „Für unseren Beruf lassen wir uns alle jahrelang ausbilden, aber bei Beziehungen gehen wir davon aus, dass sie intuitiv funktionieren.“Von Saldern rät, sich intensiver mit der Frage auseinanderzusetzen, was eine gute Beziehung braucht. Der Experte vergleicht sie mit einem Garten: „Wenn wir verliebt sind, legen wir blühende Beete an. Doch mit der Zeit vernachlässigen wir die Pflege, und alles verwildert.“Beziehungen, die auf Dauer funktionieren sollen, brauchen aber „Dünger“und Zeit für die Pflege.
Der wichtigste Schritt, um zueinanderzufinden, sei, Freiräume zu schaffen. Schmidt empfiehlt feste Auszeiten, mindestens einmal wöchentlich. „Das kann ein gemeinsamer Spaziergang sein oder auch einfach eine halbe Stunde auf dem Sofa.“Wichtig dabei: ganz für den anderen da sein, zuhören oder auch gemeinsam schweigen. „Aber bitte nicht über Familie oder Organisatorisches sprechen“, betont Schmidt. Auch im Alltag helfe es, so oft wie möglich für Verbindung zu sorgen, zum Beispiel durch Rituale, wie jeden Morgen gemeinsam eine Tasse Kaffee zu trinken. „Oder man liest zusammen Zeitung und tauscht sich darüber aus“, sagt von Saldern, der die Bedeutung von Kleinigkeiten betont. „Es muss nicht immer eine abendfüllende Veranstaltung sein.“
Achtsamer miteinander umzugehen empfiehlt auch Psychologin Christine Backhaus. Es sei ein häufiges Phänomen in langjährigen Beziehungen, dass der Blick viel zu stark auf den negativen Dingen liege. Backhaus empfiehlt, die kleinen wertvollen Momente der Paarbeziehung stärker wahrzunehmen und zu benennen: „Sagen Sie sich gegenseitig viel öfter, was Sie am anderen schätzen oder gerade gut finden.“
Paartherapeut von Saldern betont, wie wichtig die körperliche Begegnung ist. Oft reiche es im Alltag nur für einen flüchtigen Kuss. „Wir brauchen aber mehr, um uns nah zu fühlen.“Vielen Paaren falle es schwer, sich wieder intensiver aufeinander einzulassen. „Dann kann man versuchen, bewusst für kleine Berührungen zu sorgen oder sich mal eine Sekunde länger zu küssen.“
Autor Schmidt betont, es sei auch sehr wichtig, Schwierigkeiten anzusprechen. „Viele Paare machen den Fehler, dass sie Probleme unter den Tisch fallen lassen, zum Beispiel: weil sie die Auseinandersetzung vermeiden wollen.“Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben, auf die Dauer sammelt sich eine immer größere Frustmenge an. Mit „IchBotschaften“und der Vermeidung von Vorwürfen gehe man auf Nummer sicher, den anderen nicht in die Angriffshaltung zu treiben. „Eine Kunst, die besonders Frauen lernen müssen“, räumt Psychologin Backhaus ein.