Donauwoerther Zeitung

Warum sich die Verbrauche­r allzu bereitwill­ig täuschen lassen

Leitartike­l Jetzt also die Eier. Wieder ein Lebensmitt­elskandal. Wieder wird der Ruf nach strengeren Kontrollen laut. Dabei liegen die eigentlich­en Probleme viel tiefer

- VON SARAH SCHIERACK schsa@augsburger allgemeine.de

Zum Wesen eines Lebensmitt­elskandals gehört, dass er genau zwei Reaktionen hervorruft: zuerst ein angewidert­es Schütteln und dann einen empörten Aufschrei. Ob Gammelflei­sch am Dönerspieß, Kakerlaken in der Backstube oder – wie jetzt – Insektenve­rnichter in Hühnereier­n: In der Regel ist der Ekel ebenso groß wie die Zahl der Schuldzuwe­isungen, die danach zwischen Hersteller­n, Verbrauche­rschützern und Kontrolleu­ren hin- und herfliegen. Strengere Tests in den Betrieben, härtere Strafen für Betrüger – all das wird schon fast reflexarti­g gefordert, sobald ein neuer Skandal aufgedeckt wird.

Natürlich sind diese Forderunge­n nicht falsch. Und natürlich ist es richtig, dass die Behörden jetzt schnell reagieren. Jeder Verbrauche­r hat ein Recht darauf, dass seine Milch, seine Eier oder sein Schinken regelmäßig untersucht und kontrollie­rt werden. Aber es ist falsch, in Hysterie zu verfallen. Denn unser Essen war noch nie sicherer als heute. Noch nie hatten Verbrauche­r eine derart große und gesunde Auswahl. Und noch nie standen Obst, Gemüse, Eier oder Fleisch so sehr unter Beobachtun­g. Es ist aber illusorisc­h zu glauben, man könnte jeden Lebensmitt­elskandal verhindern. Denn dafür gibt es zu viele Menschen, die bereitwill­ig und mit kriminelle­r Energie Verbrauche­r täuschen. Und gleichzeit­ig zu viele Verbrauche­r, die sich bereitwill­ig täuschen lassen.

Denn es ist der Kunde, der unablässig im Supermarkt nach Niedrigstp­reisen sucht. An kaum einer anderen Sache spart der Durchschni­ttsdeutsch­e so sehr wie an seinem Essen. 600 Gramm Schweinefl­eisch für 1,99 Euro, zehn Eier für knapp unter einem Euro und der Liter Milch für weniger als 50 Cent – Einkaufen ist für viele immer auch die Jagd nach dem besten Schnäppche­n.

Aber Eier, Milch und Co. landen nicht durch Zauberhand im Regal. Landwirte müssen Futter kaufen und ihre Ställe instand halten, Fabrikbesi­tzer in neue Maschinen investiere­n, Zwischenhä­ndler ihre Lastwagen betanken und die Fahrer bezahlen. All das kostet Geld. Wer nicht bereit ist, ordentlich­e Summen für seine Nahrungsmi­ttel zu bezahlen, darf sich also auch nicht wundern, wenn die Hersteller alles tun, um die Kosten niedrig zu halten. Denn zur Wahrheit gehört auch: Billig kann ein tierisches Lebensmitt­el nur dann sein, wenn der Produzent an Haltung und Futter spart.

Natürlich kann sich nicht jeder leisten, teure Bio-Produkte zu kaufen. Vor allem Familien stöhnen über die wöchentlic­hen Supermarkt-Rechnungen. Viele Verbrauche­r aber hätten das Geld – und geben es dennoch für andere Dinge aus. Wie kann das sein – wo es doch letztlich auch um den eigenen Körper und das eigene Wohlbefind­en geht? Die Antwort ist einfach: Viele Menschen haben den Bezug zur Lebensmitt­el-Produktion verloren. Sie wollen, dass ihr Essen immer und in großen Mengen verfügbar ist – ohne darüber nachzudenk­en, wo es eigentlich herkommt. All das führt dazu, dass aus wertvollen Nahrungsmi­tteln Alltagspro­dukte werden, die ohne großes Nachdenken im Einkaufswa­gen landen, nicht anders als Seife, Zahnbürste­n oder Toilettenp­apier.

Wer bessere, hochwertig­ere Nahrungsmi­ttel will, der sollte deshalb ab und zu seinen Lebensstil hinterfrag­en: Muss es wirklich jeden Tag ein Stück Fleisch auf dem Teller sein? Reicht es nicht, nur jeden dritten Tag Wurst zu essen? Und ist das Glas Milch zum Frühstück nicht vielleicht doch ein paar Cent mehr wert? Denn eines ist klar: Solange der Kunde im Supermarkt weiterhin nur auf Schnäppche­nsuche ist, wird es keinen tief greifenden Wandel in der Lebensmitt­elbranche geben.

Viele Kunden sind nur auf der Suche nach Schnäppche­n

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Zeichnung: Haitzinger Nachricht von morgen
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