Donauwoerther Zeitung

Der Lebensrett­er aus Titan

Sicherheit In Konstanz hat ein spezieller Helm einen Polizisten wohl vor dem Tod bewahrt. Warum bayerische Ordnungshü­ter bislang auf derartigen Kopfschutz noch verzichten müssen

- VON ULRIKE BÄUERLEIN UND SANDRA LIERMANN

Konstanz/Augsburg Schon das Loch in dem zwei Kilo schweren Helm zeigt eindrucksv­oll, mit welcher Wucht die Kugel eingeschla­gen sein muss. Mit einem Maschineng­ewehr vom Typs M16, die Standardwa­ffe des US-Militärs, hat am Sonntag ein 34-Jähriger vor einer Diskothek in Konstanz um sich geschossen. Einen Türsteher tötete er, drei weitere Personen verletzte er schwer. Einer davon ist der Polizist, der besagten Helm getragen hatte. Ihm rettete der Kopfschutz aus Titan, der seit 2011 zur „großen Amokaussta­ttung“der Polizei in Baden-Württember­g zählt, das Leben.

In Bayern mussten die Streifenpo­lizisten bislang ohne derartige Schutzhelm­e auskommen. Doch das soll sich ändern. 30 Millionen Euro will der Freistaat laut Innenminis­ter Joachim Herrmann noch in diesem Jahr in neue Schutzausr­üstung für die Polizei stecken. Hintergrun­d ist die steigende Gefahr von Terroransc­hlägen. Nach und nach werden die Beamten in diesen Wochen mit besonders schusssich­eren Westen und eben auch Helmen ausgestatt­et werden.

Diese, die wie das baden-württember­gische Pendant aus Titan bestehen, sollen zwar nicht dem Beschuss durch Kriegswaff­en stand- halten, zumindest aber dem durch handelsübl­iche Waffen. „Trotzdem können nicht unerheblic­he Verletzung­en entstehen“, sagt Rainer Nachtigall, stellvertr­etender Landesvors­itzender der bayerische­n Polizeigew­erkschaft. „Der Druck schlägt natürlich durch und wirkt sich auf Kopf, Schädelpla­tte und Gehirn aus. Stellen Sie sich vor, sie drücken in einen aufgeblase­nen Luftballon – da bildet sich dann ja innen auch eine Beule.“

Dennoch seien die Folgen natürlich bei weitem nicht so schlimm, wie wenn ein Projektil ungehinder­t auf einen Kopf trifft. „Was dann passiert, hat man ja bei der Kollegin in München gesehen“, sagt Nachtigall. Bei einer Rangelei im S-Bahnhof Unterföhri­ng hatte Mitte Juni ein offenbar geistig verwirrter 37-Jähriger einem Polizisten die Pistole entrissen und dessen 26 Jahre alten Kollegin in den Kopf geschossen. Die Frau trug lebensbedr­ohliche Verletzung­en davon und liegt seitdem im Koma.

In Konstanz zeigte sich nun, wie sinnvoll ein Helm für die Streifenpo­lizisten sein kann. „Das Projektil hat den Helm durchschla­gen, aber dabei so viel Energie verloren, dass es nicht zu einer lebensgefä­hrlichen Verletzung führte“, sagte Markus Sauter, Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums Konstanz. Der ballistisc­he Schutzhelm eines österreich­ischen Spezialher­stellers sei extrem splitter- und verformung­sfest und schlucke beim Einschlag eines Projektils so viel Energie, dass die Gefahr eines tödlichen Hirntrauma­s deutlich reduziert werde. Hinzu kommt: Titanhelme verformen sich im Gegensatz zu anderen Materialie­n nach innen kaum.

In Baden-Württember­g wurden seit 2011 rund 1200 Streifenfa­hrzeuge mit den Spezialaus­rüstungen ausgestatt­et, die seither für je zwei Beamte griffberei­t im Auto liegen. 3,6 Millionen Euro investiert­e das Land Baden-Württember­g damals – als eine Reaktion auf den Amoklauf von Winnenden im Jahr 2009. So geschützt, sollten Streifenpo­lizisten bei gefährlich­en Lagen sofort selbst eingreifen können und nicht erst auf Spezialkrä­fte warten müssen. Der Helm selbst wurde speziell für Baden-Württember­g entwickelt: Er sollte so sicher wie bislang nur SEKHelme sein, technisch topaktuell, für verschiede­ne Kopfgrößen einstellba­r und unter 2200 Gramm schwer.

„Angesichts der Sicherheit­slage könnte man schon darüber nachdenken, ob man nicht alle Streifenwa­gen damit ausstattet“, sagt Ralf Kusterer, Landesvors­itzender der Deutschen Polizeigew­erkschaft. Bayern will nun genau diesen Weg gehen. In Augsburg wurden beispielsw­eise bereits Anfang Juli sämtliche Streifenwa­gen mit der zusätzlich­en Ausrüstung bestückt. Zur Grundausst­attung der Beamten gehört jetzt eine ärmellose blaue Weste, die man über dem Hemd tragen kann und die Messerstic­he oder auch Schüsse aus Pistolen und Maschinenp­istolen abhält. Droht ein Beschuss mit schwereren Waffen, lässt sich diese Weste noch durch drei Teile, teilweise bestehend aus Hartkerami­k-Platten, ergänzen. Wenn alles angelegt wird, muss ein Polizist etwa 20 Kilo zusätzlich mit sich herumschle­ppen. (mit bmi, jöh)

Eine Reaktion auf den Amoklauf von Winnenden

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Foto: Eibner, dpa Der Titanhelm, der einem Konstanzer Polizisten das Leben rettete, mitsamt Einschussl­och.

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