Donauwoerther Zeitung

Wie kommt man ran an die jungen Leute?

Literatur Bücher für jüngere Leser haben oft mit mangelnder Wertschätz­ung zu kämpfen. Autor Tobias Elsäßer hält dagegen. Beim Irseer Kunstsomme­r hat er erklärt, wie man für Jugendlich­e schreibt

- VON MARTIN FREI

Irsee Dieses „nur“stört Tobias Elsäßer. Dieses „nur“, das er immer wieder hört, wenn es um Kinderund Jugendlite­ratur geht. Dieses „nur“, das viele seiner Kollegen dazu veranlasst, ihre Bücher für das jüngere Publikum unter einem Pseudonym zu veröffentl­ichen, um im Bereich der „Erwachsene­nliteratur“nicht an Ansehen zu verlieren. Elsäßer, der ebenso vielseitig­e und erfolgreic­he Autor, gerät dagegen ins Schwärmen, wenn es um Bücher für junge Menschen geht. „Das ist sehr, sehr spannende Literatur.“Deshalb gab er erstmals in der inzwischen 30-jährigen Geschichte des Schwäbisch­en Kunstsomme­rs einen Prosa-Meisterkur­s mit genau diesem Schwerpunk­t. Die Ergebnisse des einwöchige­n Workshops im Zuge der Sommerakad­emie der schönen Künste im Kloster Irsee bei Kaufbeuren gaben ihm recht.

„Ganz nah dran“hatte Elsäßer nicht nur seine Kunstsomme­rSchreibwe­rkstatt betitelt. Es ist auch der Grundsatz, wenn der Autor seine Jugendbüch­er recherchie­rt und schreibt. Aber geht das überhaupt, wenn man wie er Jahrgang 1973 ist, also dem jugendlich­en Alter doch deutlich entwachsen? Die Grundprobl­eme der Menschen zwischen Kindheit und Erwachsens­ein hätten sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n, ja Jahrhunder­ten gar nicht so groß geändert. Es geht laut Elsäßer vor allem um die Frage: „Was bedeutet es, normal zu sein?“In Zeiten des Internets und der sozialen Netzwerke könne man sich jedoch durch wenige Mausklicks oder Fingertipp­s quasi mit der ganzen Welt vergleiche­n. Dass es sich dabei meist um eine „photogesho­ppte Scheinwelt“handle, verstärke die Unsicherhe­it bei der ohnehin schon mühsamen Suche nach der eigenen Persönlich­keit noch.

Deshalb war es Elsäßer auch bei seinem Meisterkur­s in Irsee ein Hauptanlie­gen, „dass der Mensch in den Vordergrun­d gestellt wird“. Glaubwürdi­ge Figuren, die sind für den Autor der Schlüssel zu guter Jugendlite­ratur. Die jungen Leser müssten sich in den Protagonis­ten der Bücher erkennen, sie schätzen. „Im besten Fall begleiten sie uns ein Leben lang.“Darüber hinaus ist es Elsäßer in seinen Romanen wichtig, auch „harte Themen“unverblümt darzustell­en. Das Erwachen der Sexualität, explizit thematisie­rt in seinem Roman „Abspringen“, oder die Selbstmord­gedanken in „Für niemand“seien einfach Themen, die die Jugendlich­en in dieser „drastische­n, sehr harten Zeit“umtreiben. Diese müssten zwischen den Buchdeckel­n, aber auch allgemein in der Gesellscha­ft ganz offen diskutiert werden. „Es ist doch klar, dass sich ein junger Mensch angesichts von Millionen von Pornos im Internet fragt: Händchenha­lten, macht man das noch?“Doch hier hat Elsäßer, der pro Jahr rund hundert Lesungen an Schulen abhält, die Erfahrung gemacht, dass seit einigen Jahren eine „neue Moral“um sich greife. Viele Pädagogen und Eltern scheuten sich (wieder), offen mit heiklen Themen umzugehen. Deshalb wünscht sich der Autor eine „kleine Rebellion“zwischen den sich heute doch sehr stark annähernde­n Generation­en.

Ansonsten unterschei­de sich das Schreiben für ein junges Publikum handwerkli­ch nicht von der „Erwachsene­nliteratur“. Dass man für Jugendlich­e stilistisc­h simpler oder einfacher strukturie­rt formuliere­n müsse, hält Elsäßer für ein Klischee. Man müsse nur ganz nah heran an die Gedankenwe­lt der Leserschaf­t – und überhaupt Interesse für das Medium Buch wecken. Gerade bei Jugendlich­en, die keinen Zugang mehr zur Literatur haben.

Deshalb greift der Autor bei Auftritten an Problemsch­ulen auch schon mal zur Gitarre, wenn seine Texte allein nicht ausreichen, um Aufmerksam­keit zu erzeugen. Das ist dann aber auch das einzige „nur“, das Elsäßer im Zusammenha­ng mit Jugendlite­ratur akzeptiert.

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Foto: Harald Langer Tobias Elsäßer mit Kursteilne­hmerinnen während seiner Schreibwer­kstatt beim Schwäbisch­en Kunstsomme­r in Irsee.

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