Seligkeit zwischen Nippes und Schätzen
Stadtflohmarkt Der Kult um die Nördlinger Großveranstaltung lässt nicht nach. Eine Händlerin reiste sogar mehr als 4000 Kilometer an, um mit dabei sein zu können
Nördlingen Morgens halb sechs in Nördlingen: Der zwölfjährige Leon zieht durch die Straßen, sein Papa als Lastenschlepper hintendrein. Vor der Stadtbibliothek trifft er einen Freund mit dessen Vater. Sie schlagen ihr Flohmarkt-Lager auf. Leons Mama reiht da gerade in der Löpsinger Straße ihren Tisch an den Stand ihrer Freundinnen an, seine Oma hat mit ihren Bastelutensilien schon ihren Stammplatz hinter der Georgskirche bezogen. Es ist eine von vielen Familien, die jeden ersten AugustSamstag auf dem Altstadtflohmarkt verbringt, der längst Kultstatus in Süddeutschland hat.
In der Berger Straße zieht die Familien-Zusammenführung noch viel größere Kreise: Eine Frau stammt aus Nürnberg, auf dem Familiensitz in Waldhausen auf der Schwäbischen Alb traf sie ihre Schwägerin, die in Portugal lebt und jedes Jahr extra zum Nördlinger Stadtflohmarkt anreist; sie steht am Nebentisch. Die Familie spielt oft auch bei der Beschaffung der Waren eine wichtige Rolle: Am Weinmarkt findet sich ein Bilderbuchstand mit Röhrenradio, Holzskiern, Überseekoffer, Standuhr und Stehlampe mit Schirm aus gefaltetem Stoff – wie Requisiten zu einem Film, der in den 50er-Jahren spielt. Eine Dame hat diese Schätze aus dem Keller des Familiensitzes geholt. Oft hängen die Anbieter sehr an derart emotionsbeladenen Dingen: Wehmütig blickt ein Mann auf die Hülle, aus der ein Kaufinteressent die AC/DC-Langspielplatte herauszieht. In der Summe ergeben die Plünderungsaktionen wieder ein skurriles Sammelsurium vom riesigen Fensterladen bis zum Gartenzwerg mit Sonnenbrille im Liegestuhl, vom Militärbenzinkanister bis zur Prachtpuppe im Dirndl.
Um acht, neun Uhr morgens wundern sich manche: Das Gedrängel der früheren Jahre bleibt aus, auch hat man aufgrund des vielen Platzes in den Straßen und an den Ständen das Gefühl, dass nicht mehr so viele Anbieter da sind wie früher. Weit gefehlt – ein Mitarbeiter des Stadtmarketingvereins, der den Flohmarkt aus der Taufe hob, sagt klipp und klar: „Die Besucher verteilen sich gleichmäßiger über den Tag. Es ist so viel los wie eh und je, aber die Stände sind jetzt optimal verteilt.“In den ersten Jahren gab es öfter BeinaheSchlägereien um Plätze am völlig vollgepfropften Marktplatz, während einige der Einfallstraßen von Toren herein leer waren. Jetzt sind alle fünf Tor-Straßen als Hauptschlagadern des Marktes voll belegt, auch Lücken im Zentrum sind geschlossen. Eine von zwei patrouillierenden Sicherheitskräften sagt: „Unsere Hauptaufgabe ist die Freihal- tung der Rettungswege – das ist vollständig gewährleistet.“Ein Fall, wie vor etlichen Jahren, als ein Rettungswagen nicht bis zu einem Herzinfarkt-Patienten durchkam, ist heute völlig undenkbar. Diese Ordnung schlägt sich unmittelbar auf die Geden samtstimmung nieder: „Man hört keinen Streit, kein Gezanke, jeder ist in Urlaubsstimmung hier“, bringt es ein Besucher auf den Punkt. Und ein anderer sagt: „So, wie der Flohmarkt abläuft, ist das ein enormer Imagegewinn für die Stadt Nördlingen.“