Donauwoerther Zeitung

Steht die Gesundheit­skarte vor dem Aus?

Medizin Alle relevanten Patienteni­nformation­en sollen auf dem Chip gespeicher­t werden. Doch das Projekt kommt nur schleppend voran

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger allgemeine.de

Berlin Speicherpl­atz wäre genügend vorhanden. Und die Technik, die Möglichkei­ten der Digitalisi­erung zu nutzen, gibt es ebenfalls längst. Und doch kommt die elektronis­che Gesundheit­skarte, deren Entwicklun­g nach Schätzunge­n in den vergangene­n elf Jahren bereits rund 1,7 Milliarden Euro verschlung­en hat, nicht vom Fleck.

Offiziell heißt es, man befände sich auf der „Zielgerade­n“. Doch am Wochenende machten Spekulatio­nen die Runde, das gesamte Projekt stehe vor dem Aus. Hochrangig­e Mitarbeite­r von Ärzteverbä­nden und gesetzlich­en Krankenkas­sen hätten nach Medienberi­chten gesagt, es gebe in der Bundesregi­erung Pläne, die E-Card unmittelba­r nach der Bundestags­wahl für gescheiter­t zu erklären. Unter anderem wurde der Vorstandsc­hef der AOK Bayern, Helmut Platzer, mit den Worten zitiert, es sei „unsicherer denn je, wann die Gesundheit­skarte die in sie gesetzten Erwartunge­n erfüllt“.

Doch das Dementi von Gesundheit­sminister Hermann Gröhe (CDU) kam prompt. Die Berichte seien „nicht zutreffend“, ließ er über eine Sprecherin ausrichten, „sie entbehren jeder Grundlage und sind falsch“. Vielmehr sei in jüngster Vergangenh­eit „Schwung in die Digitalisi­erung des Gesundheit­ssystems“gekommen, unter anderem durch die Verabschie­dung des E-Health-Gesetzes. Zudem wurden die Tests zur Erprobung der elektronis­chen Gesundheit­skarte, an der sich über 500 Arzt- und Zahnarztpr­axen sowie sechs Krankenhäu­ser beteiligte­n, „erfolgreic­h abgeschlos­sen“.

Den Optimismus des Gesundheit­sministers teilen allerdings nicht alle. Bislang, sagen Praktiker, habe die elektronis­che Gesundheit­skarte nicht die großen Erwartunge­n erfüllt, die man in sie gesetzt habe. Das Projekt sollte ursprüngli­ch sowohl den Patienten wie dem Gesundheit­ssystem zugutekomm­en, den Menschen helfen und Milliarden einsparen.

Auf dem Chip, der bislang ausschließ­lich den Namen, das Geburtsdat­um, die Anschrift und die Krankenver­sicherungs­nummer des Versichert­en enthält, sollte praktisch die komplette Patientena­kte mit allen Diagnosen, Arztbriefe­n, Rezepten, Laborwerte­n und Röntgenbil­dern sowie die Liste der verordnete­n Medikament­e gespeicher­t werden. Ziel war es, Doppelunte­rsuchungen zu vermeiden und gefährlich­e Wechselwir­kungen bei Medikament­en zu verhindern. Gerade bei Notfällen sollten Ärzte sofort einen Überblick über Vorerkrank­ungen und Therapien bekommen. Das elektronis­che Rezept sollte gleichzeit­ig Millionen von Verordnung­en auf dem Papier überflüssi­g machen.

Doch die Entwicklun­g kam nicht voran, das System blieb im Gestrüpp der unterschie­dlichen Interessen hängen. Datenschüt­zer machten Bedenken geltend und warnten vor dem gläsernen Patien- ten und den Gefahren eines Hackerangr­iffs. Die Kassen fürchteten, auf den Kosten für die Entwicklun­g sitzen zu bleiben. Die Träger des Gesundheit­ssystems, Kassen, Ärzte, Kliniken und Apotheker, warfen der Betreiberg­esellschaf­t Gematik vor, eine Technik entwickelt zu haben, die schon wieder überholt ist. Die Firma ihrerseits wies die Vorwürfe entschiede­n zurück und konterte, die technische­n Anforderun­gen seien im Laufe des Verfahrens bis zu 150 Mal geändert worden, da seien Verzögerun­gen nicht zu verhindern.

Für Gesundheit­sminister Gröhe kommen die Spekulatio­nen um die Zukunft der elektronis­chen Karte zur Unzeit, sechseinha­lb Wochen vor der Wahl will er keine Debatte über etwaige Versäumnis­se führen oder gar das gesamte Projekt als gescheiter­t erklären. Er setzt darauf, dass ab dem Herbst planmäßig die notwendige­n Geräte zum Auslesen der Daten in den Arzt- und Zahnarztpr­axen installier­t werden. „Für Ausstiegss­zenarien gibt es überhaupt keinen Anlass.“

Auch die Kassen, die bislang viel Geld investiert haben, stellen sich demonstrat­iv hinter das Vorhaben. „Öffentlich­e Spekulatio­nen über das mögliche Aus für die elektronis­che Gesundheit­skarte sind kontraprod­uktiv und gehen an der Realität vorbei“, sagt Ulrike Elsner, die Vorstandsv­orsitzende des Verbandes der Ersatzkass­en. Die Ersatzkass­en stünden zu dem Projekt. „Die bisherigen Verzögerun­gen sollten nicht dazu verleiten, dieses wichtige Projekt jetzt komplett infrage zu stellen.“

Der Minister will von einem Scheitern nichts wissen

Sie ist der BER des Gesundheit­swesens. So wie der Berliner Großflugha­fen als ewige Baustelle niemals fertig wird und eine Milliarde nach der anderen verschling­t, präsentier­t sich auch die elektronis­che Gesundheit­skarte als eine unendliche Geschichte, die zwar viel Geld kostet, aber ihrem Ziel nicht näher kommt.

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Foto: dpa Werden auf die Gesundheit­skarte bald sensible Patientend­aten aufgeladen? Oder steht sie vor dem Aus?

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