Die Männerdomäne Film
Der Berlinale-Chef Dieter Kosslick im Vorfeld des Filmfestivals über lautstarke Regisseurs-Forderungen, die Folgen von #MeToo und geheime Jury-Sitzungen
Herr Kosslick, die Meuterei auf der Berlinale-Bounty durch 79 künftige Transparenz fordernde Regisseure scheint gescheitert. Oder täuscht der Eindruck?
Kosslick: Im Unterschied zur Bounty ist die Berlinale noch vorhanden und nicht gestrandet. Der Kapitän steht keineswegs vor Gericht, sondern ist guter Dinge. Das nächste Festival wird zeigen, dass der Kapitän noch da ist. Ich habe mich nicht an Kokosnüssen vergriffen.
Was hatte es mit dieser plötzlichen massiven Kritik der Regisseure auf sich?
Kosslick: Gebashed, wie man so sagt, wird ja in regelmäßigen Abständen. Zum Teil von denselben Leuten, die das schon mit meinem Vorgänger Moritz de Hadeln gemacht hatten. Es war ein Sturm im Wasserglas, aber diesmal mit großen Worten.
Nehmen Sie die Kritik gelassen oder sind Sie enttäuscht?
Kosslick: Enttäuschend ist vor allem, dass solche Sachen zu großen Geschichten aufgebaut werden. Wenn in der Folge zu lesen war, es habe keine amerikanischen, russischen oder asiatischen Filme auf der Berlinale gegeben, ist das Unsinn, der sehr einfach auf unserer Website hätte recherchiert werden können. Unangenehm ist diese Debatte vor allem im Ausland, woher irritierte Anfragen kommen. Niemand versteht diese ganze Aufregung.
Als Reaktion darauf gab es von der versammelten Branche mehr KosslickLob als in Ihrer gesamten Amtszeit. Gleichwohl wollen Sie laut Ihrer „Skizze zur Neustrukturierung der Intendanz“nicht mehr dabei sein? Kosslick: Ich habe immer gesagt, mein Vertrag ist am 31. Mai 2019 beendet. Aber zum einen weiß ich nicht, wie die Berlinale in Zukunft strukturiert wird. Zum anderen werde ich, falls es eine Doppelspitze mit Direktor und Präsidenten geben sollte, keine dieser Funktionen übernehmen.
Gehen Sie nun umso entspannter an die letzten beiden Berlinale-Ausgaben? Kosslick: Ich bin sehr entspannt. Gleichzeitig wirft die weltweite #MeToo-Debatte ihre Schatten auch auf das Festival. Es gibt Filme, die zurückgezogen werden oder die wir einfach nicht mehr spielen können. Das ist im Moment ein schwieriges Feld.
Nach den Missbrauchsskandalen um Harvey Weinstein, Kevin Spacey und Co.: Braucht Hollywood eine Frauenbeauftragte?
Kosslick: Wenn es danach ginge, was Frauenbeauftragte in Deutschland bislang bewegt haben, sollte man das in Hollywood einführen. Allerdings weiß ich nicht, ob das heute noch die zeitgemäße Form ist. Es gäbe jedenfalls noch viel zu tun. Die Filmindustrie weltweit wird bekanntlich nach wie vor von Männern dominiert. Mit der Debatte im letzten Jahr haben die Frauen immerhin ziemlich aufgeholt. Die Sensibilität für diese Themen ist größer geworden – und sie werden sicher auch auf der Berlinale diskutiert werden.
Was bewegt die Bären-Kandidaten auf dem kommenden Festival thematisch?
Kosslick: Viele Filme beschäftigen sich mit Religion. Ein großes Thema ist zudem, wie Menschen Gegenmodelle zu einer Welt entwickeln, die zunehmend apokalyptische Formen angenommen hat. Und der Umgang mit Geflüchteten beschäftigt nach wie vor viele Filmemacher. Neben der Politik bietet die Berlinale zugleich viel Fantasy und Unterhaltung, schließlich möchten die Zuschauer im Kino ganz gerne auch einfach mal nur lachen können.
In Cannes will man die Produktionen von Netflix und Co. aus dem Festival verbannen. Wie hält es die Berlinale damit?
Kosslick: Unsere Richtlinien sehen vor, dass Filme von Streaming-Anbietern gezeigt werden können, wenn eine Kino-Auswertung vorgesehen ist. Serienformate von Streaming-Plattformen gibt es bereits seit 2015 bei den Berlinale Series.
Weshalb sind Jury-Sitzungen ein Geheimnis-Theater wie die Papstwahl? Wäre Transparenz mit einer öffentlichen Sitzung hier kein Bonus für das Publikum?
Kosslick: Wenngleich Diskussionen einer Jury für Außenstehende sicher interessant und spannend sein könnten, wäre es ein selbstzerstörerischer Akt, sie öffentlich zu führen.
Wie sehen Ihre Berufspläne 2020 aus? Eine Herrenboutique in Wuppertal eröffnen, wie der Lottogewinner bei Loriot? Oder eine Bagel-Bäckerei in Berlin-Neukölln, in der Sie Ihre Backleidenschaft verwirklichen könnten?
Kosslick: Ich kann mir beides ganz gut vorstellen. Allerdings sollte es in der Bäckerei zum Bagel unbedingt noch Butterbrezeln geben.