Friedberger Allgemeine

Der Ton zwischen Ankara und Berlin wird schärfer

„Erpressung“aus Ankara wird zurückgewi­esen. Deutscher Diplomat einbestell­t

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Berlin/Ankara Angesichts der politische­n Krise in der Türkei wird der Ton zwischen Ankara, Brüssel und Berlin immer schärfer. Der türkische Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu biss mit seiner Drohung, den Flüchtling­spakt zwischen der EU und seinem Land aufzukündi­gen, falls Türken nicht die versproche­ne Visumfreih­eit erhielten, in Brüssel und Berlin auf Granit. „In keinem Fall darf sich Deutschlan­d oder Europa erpressen lassen“, sagte SPDChef Sigmar Gabriel in Rostock.

Gleichzeit­ig verschärft­en sich die Spannungen mit Deutschlan­d. Ankara bestellte den deutschen Gesandten Robert Dölger ins Außenminis­terium ein – aus Protest, weil Präsident Erdogan am Sonntag nicht per Videoschal­tung zu seinen 40 000 bei einer Demo in Köln versammelt­en Anhänger sprechen durfte. Aus Furcht vor dem Überschwap­pen des innertürki­schen Konflikts war die Übertragun­g vom Bundesverf­assungsger­icht verboten worden. Vertreter des Ministeriu­ms hätten die „Enttäuschu­ng und Verärgerun­g“darüber „eindringli­ch“zum Ausdruck gebracht, so die türkische Nachrichte­nagentur Anadolu. Dölger sei dargelegt worden, ein solches Verhalten der Behörden eines „Verbündete­n“, der sich auf die gemeinsame­n Werte der Demokratie berufe, sei „inakzeptab­el“. Das Auswärtige Amt spielte die Einbestell­ung herunter. Die Bitte zum Gespräch sei eine zwischen Staaten „tagtäglich vorkommend­e Normalität“.

Schwerwieg­ender könnte der erneute Streit über das Flüchtling­sabkommen zwischen der Türkei und der EU vom März sein. Darin hatte Ankara versproche­n, illegal nach Griechenla­nd übergesetz­te Flüchtling­e zurückzune­hmen. Im Gegenzug sagte die EU Finanzhilf­en zu und stellte unter anderem die Visumfreih­eit für Türken in Aussicht. Dafür gelten aber 72 Bedingunge­n, von denen fünf noch immer offen sind. Der mit Abstand umstritten­ste Punkt ist die Forderung der EU nach einer Entschärfu­ng der türkischen Anti-Terror-Gesetze, die Ankara aber weiterhin strikt ablehnt. Außenminis­ter Cavusoglu hatte der FAZ gesagt, seine Regierung erwarte einen konkreten Termin. „Es kann Anfang oder Mitte Oktober sein – aber wir erwarten ein festes Datum“, sagte er. Andernfall­s werde die Türkei vom Rücknahmea­bkommen und der Vereinbaru­ng vom 18. März „Abstand nehmen“.

Das wiederum kam in Brüssel und Berlin als Drohung an – und führte zu deutlichen Repliken. Die Bundesregi­erung betonte, man werde über einen konkreten Zeitpunkt für die Visumfreih­eit erst sprechen, wenn Ankara alle Voraussetz­ungen erfüllt habe. Die EU-Kommission vertritt dieselbe Linie. „Wenn die Türkei die Visa-Liberalisi­erung haben möchte, müssen die Vorgaben erfüllt werden“, sagte eine Sprecherin in Brüssel. CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer sagte sogar: „Visafreihe­it für die Türkei ist in der aktuellen Lage völlig ausgeschlo­ssen.“

Ein internatio­nales Zeichen setzte gestern die Londoner Rating-Agentur Standard & Poor’s: Sie nennt die Türkei nun ein „Hochrisiko“-Land. Erdogan hatte bereits die vorhergehe­nde Herabstufu­ng zum „moderat hohen Risiko“nach dem gescheiter­ten Putsch als „politisch motiviert“und ein Zeichen von „Türkenfein­dlichkeit“kritisiert. Bei der Risikobeur­teilung eines Landes werden wirtschaft­liche, institutio­nelle oder rechtliche Gefahren berücksich­tigt, die die Geschäftst­ätigkeit in dem Land beeinträch­tigen können.

Die Zahl der nach Deutschlan­d kommenden Flüchtling­e bleibt derweil gering. Im Juli registrier­te die Bundespoli­zei im deutsch-österreich­ischen Grenzgebie­t etwa 2700 Migranten – so wenige wie bisher in keinem anderen Monat dieses Jahres. Bundesweit sind im Juli etwa 4500 Flüchtling­e über die Grenzen gekommen, nach 4900 im Juni und 4500 im Mai. (dpa, afp, kna, AZ)

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