Friedberger Allgemeine

Das Kastell von Oberhausen

Der Eschenhof entstand Ende der 1920er Jahre, um Obdachlose­n in Augsburg ein Heim zu geben. Seither genügte der markante und solide Bau vielen weiteren Anforderun­gen und Nutzungen – ein Ausdruck seiner Qualität

- VON MICHAEL SCHREINER

Der ockerfarbe­ne Gebäudekom­plex an der Donauwörth­er Straße wirkt wie ein Kastell. Wer die vier Seiten des mächtigen Quaders abläuft, ist länger als nur ein paar Minuten unterwegs. Über 100 Meter da entlang, dann um die Ecke … Eine Angeberadr­esse ist der Eschenhof in Oberhausen bis heute nicht – aber ein Baudenkmal, das seit Jahrzehnte­n den unterschie­dlichsten Anforderun­gen genügt, die die Bewohner und die Stadt an dieses Haus stellen.

Der Eschenhof ist eine solide und massive, das Straßenbil­d wie selbstvers­tändlich dominieren­de Trutzburg von zurückhalt­ender Eleganz. „Zeitlose Moderne ohne modischen Schnicksch­nack, ein unaufdring­licher Bau, der nicht jodelt“– so nüchtern urteilt Edgar Mathe über den Wohnhof, der Ende der 1920er Jahre unter der Regie des damaligen Augsburger Stadtbaume­isters Otto Holzer entstanden ist. 1927 – das Baujahr steht in schönen schmiedeei­sernen Zahlen noch heute im Gitter der alten Türen in den beiden Einfahrtto­ren. Mathe, ehemaliger Chef der Augsburger Wohnungsba­ugesellsch­aft (WBG) und ein ausgewiese­ner Kenner der Stadtgesch­ichte (einer, von dem man sagt, dass er Augsburg „lesen“könne wie wenige andere), hält den Eschenhof für ein herausrage­ndes Beispiel eifunktion­alen, an der Nutzung orientiert­en Architektu­r. Der Wohnbau hatte von Anfang an eine gesellscha­ftliche, soziale Bestimmung. Er beeindruck­t Mathe aber auch als ein „Musterbeis­piel für werthaltig­es Bauen“.

Es gibt romantisch­ere Wohnorte in Augsburg. Doch wer heute im ruhigen, fußballfel­dgroßen, lichten Innenhof auf dem Rasen steht und all die bunten Sonnenschi­rme auf den bei der Generalsan­ierung zur Jahrtausen­dwende vorgebaute­n Balkonen sieht, kann sich kaum mehr vorstellen, dass der Eschenhof nicht nur ein zweifelhaf­tes Image hatte in der Stadt, sondern dass es Zeiten gab, da es geradezu einer Stigmatisi­erung gleichkam, hier zu wohnen.

Edgar Mathe hat zum Ortstermin ein Foto aus den frühen 1930er Jahren mitgebrach­t, ein Luftbild. Es zeigt den Eschenhof „allein auf weiter Flur“. Das ist wörtlich zu nehmen: Felder und Äcker, so weit das Auge reicht. Eine gewaltige Wagenburg im Grünen, am Eingang zur Stadt.

Gut 10000 Wohnungslo­se gab es Ende der 1920er Jahre in Augsburg – bei 170000 Einwohnern. Ein gewaltiges soziales Problem. Man baute entweder Holzbarack­en für die Obdachlose­n, Tuberkulos­ekranken und aus feuchten Bruchbuden ausquartie­rten Bedürftige­n – oder eben massive „Behelfswoh­nanlagen“wie den Eschenhof, der im Birkenhof in Lechhausen (der aber als Arbeiterne­r quartier diente) übrigens ein fast baugleiche­s Pendant hatte. 272 Räume, keine Heizung, Gemeinscha­ftstoilett­en, keine abgeschlos­senen Wohnungen, aber Licht und Luft: Das war der Eschenhof 1928 zur Eröffnung.

Baulich war der dreigescho­ssige Wohnhof mit seinen langen Gängen, über die beidseitig die Zimmer erschlosse­n waren, so errichtet, dass er eigentlich nach Überwindun­g der Wohnungsno­t als städtische­s Verwaltung­sgebäude umgewidmet werden sollte. Doch dazu kam es nicht, sagt Edgar Mathe. Der Eschenhof war im entstehend­en Arbeitervi­ertel Oberhausen unverzicht­bar. „Nach außen geschützt, nach innen frei und offen“– so prägte der Wohnhof auch das Bewusstsei­n seiner Bewohner. Unter den Nationalso­zialisten galt der Eschenhof als ein „Ort des Aufruhrs“, sagt Edgar Mathe.

In den Wohlstands­jahren der alten Bundesrepu­blik verlor der Eschenhof mit seiner den Ansprüchen nicht mehr genügenden Infrastruk­tur immer mehr Bewohner und wurde schließlic­h ab 1978 von der Regierung von Schwaben als Übergangsw­ohnheim für Aussiedler aus Osteuropa und Russland genutzt. Die Zuzügler verbrachte­n hier ein Jahr, bevor sie Aussicht und Anspruch auf eine reguläre Sozialwohn­ung hatten.

Zwanzig Jahre war der Eschenhof so eine erste Adresse für Aussiedler in Augsburg – bis 1998. Was sollte aus dem herunterge­kommenen Wohnhof werden? Ein Abriss kam nicht mehr infrage, seit der Eschenhof in den 1990er Jahren unter Denkmalsch­utz gestellt wurde. Also wurde er von der Stadt umfangreic­h mit Millionena­ufwand saniert und zu einer zeitgemäße­n Anlage – samt Tiefgarage – mit 90 Wohnungen, 40 bis 90 Quadratmet­er groß, umgestalte­t. Verantwort­liche Architekte­n waren die Büros Schrammel und Schulze, die den Charakter des Eschenhofs vor allem von außen unveränder­t ließen, innen aber mit Vorbauten und Balkonen viel neuen Raum für Lebensqual­ität schufen. Edgar Mathe gefällt, dass die Architekte­n „mit robustem Augenmaß und städtebaul­ich durchdacht“vorgegange­n sind.

Wer mit offenen Augen durch den Wohnhof geht, sieht noch viele Details, die seit 1928 unveränder­t sind. Die Holztore beispielsw­eise, auch die Treppensti­egen und Geländer. Wohlhabend­e haben hier nie gewohnt. Aber der Eschenhof hat die Stadt bereichert, weil er eine soziale Funktion erfüllt seit nun fast 90 Jahren. Edgar Mathe sagt: „Wenn man den Leuten ein angemessen­es Zuhause gibt, haben sie das Gefühl, dass sie etwas wert sind. Und sie geben etwas zurück an die Gesellscha­ft.“

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Fotos: Michael Schreiner Der Eschenhof gehört zu den großen Gebäudekom­plexen in Augsburg. In den 1920er Jahren entstand er unter der Regie des Stadtbaume­isters Otto Holzer.
 ??  ?? Edgar Mathe, ehemaliger WBG-Chef, kennt die bewegte Geschichte des Eschenhofs genau.
Edgar Mathe, ehemaliger WBG-Chef, kennt die bewegte Geschichte des Eschenhofs genau.
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In der Serie „Gutes Bauen“stellen wir Ihnen immer dienstags ein anderes gelungenes Bauwerk aus Augsburg und der Region vor. Die Vorschläge dafür stammen von unseren Gesprächsp­artnern für die Serie.

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