Das Kastell von Oberhausen
Der Eschenhof entstand Ende der 1920er Jahre, um Obdachlosen in Augsburg ein Heim zu geben. Seither genügte der markante und solide Bau vielen weiteren Anforderungen und Nutzungen – ein Ausdruck seiner Qualität
Der ockerfarbene Gebäudekomplex an der Donauwörther Straße wirkt wie ein Kastell. Wer die vier Seiten des mächtigen Quaders abläuft, ist länger als nur ein paar Minuten unterwegs. Über 100 Meter da entlang, dann um die Ecke … Eine Angeberadresse ist der Eschenhof in Oberhausen bis heute nicht – aber ein Baudenkmal, das seit Jahrzehnten den unterschiedlichsten Anforderungen genügt, die die Bewohner und die Stadt an dieses Haus stellen.
Der Eschenhof ist eine solide und massive, das Straßenbild wie selbstverständlich dominierende Trutzburg von zurückhaltender Eleganz. „Zeitlose Moderne ohne modischen Schnickschnack, ein unaufdringlicher Bau, der nicht jodelt“– so nüchtern urteilt Edgar Mathe über den Wohnhof, der Ende der 1920er Jahre unter der Regie des damaligen Augsburger Stadtbaumeisters Otto Holzer entstanden ist. 1927 – das Baujahr steht in schönen schmiedeeisernen Zahlen noch heute im Gitter der alten Türen in den beiden Einfahrttoren. Mathe, ehemaliger Chef der Augsburger Wohnungsbaugesellschaft (WBG) und ein ausgewiesener Kenner der Stadtgeschichte (einer, von dem man sagt, dass er Augsburg „lesen“könne wie wenige andere), hält den Eschenhof für ein herausragendes Beispiel eifunktionalen, an der Nutzung orientierten Architektur. Der Wohnbau hatte von Anfang an eine gesellschaftliche, soziale Bestimmung. Er beeindruckt Mathe aber auch als ein „Musterbeispiel für werthaltiges Bauen“.
Es gibt romantischere Wohnorte in Augsburg. Doch wer heute im ruhigen, fußballfeldgroßen, lichten Innenhof auf dem Rasen steht und all die bunten Sonnenschirme auf den bei der Generalsanierung zur Jahrtausendwende vorgebauten Balkonen sieht, kann sich kaum mehr vorstellen, dass der Eschenhof nicht nur ein zweifelhaftes Image hatte in der Stadt, sondern dass es Zeiten gab, da es geradezu einer Stigmatisierung gleichkam, hier zu wohnen.
Edgar Mathe hat zum Ortstermin ein Foto aus den frühen 1930er Jahren mitgebracht, ein Luftbild. Es zeigt den Eschenhof „allein auf weiter Flur“. Das ist wörtlich zu nehmen: Felder und Äcker, so weit das Auge reicht. Eine gewaltige Wagenburg im Grünen, am Eingang zur Stadt.
Gut 10000 Wohnungslose gab es Ende der 1920er Jahre in Augsburg – bei 170000 Einwohnern. Ein gewaltiges soziales Problem. Man baute entweder Holzbaracken für die Obdachlosen, Tuberkulosekranken und aus feuchten Bruchbuden ausquartierten Bedürftigen – oder eben massive „Behelfswohnanlagen“wie den Eschenhof, der im Birkenhof in Lechhausen (der aber als Arbeiterner quartier diente) übrigens ein fast baugleiches Pendant hatte. 272 Räume, keine Heizung, Gemeinschaftstoiletten, keine abgeschlossenen Wohnungen, aber Licht und Luft: Das war der Eschenhof 1928 zur Eröffnung.
Baulich war der dreigeschossige Wohnhof mit seinen langen Gängen, über die beidseitig die Zimmer erschlossen waren, so errichtet, dass er eigentlich nach Überwindung der Wohnungsnot als städtisches Verwaltungsgebäude umgewidmet werden sollte. Doch dazu kam es nicht, sagt Edgar Mathe. Der Eschenhof war im entstehenden Arbeiterviertel Oberhausen unverzichtbar. „Nach außen geschützt, nach innen frei und offen“– so prägte der Wohnhof auch das Bewusstsein seiner Bewohner. Unter den Nationalsozialisten galt der Eschenhof als ein „Ort des Aufruhrs“, sagt Edgar Mathe.
In den Wohlstandsjahren der alten Bundesrepublik verlor der Eschenhof mit seiner den Ansprüchen nicht mehr genügenden Infrastruktur immer mehr Bewohner und wurde schließlich ab 1978 von der Regierung von Schwaben als Übergangswohnheim für Aussiedler aus Osteuropa und Russland genutzt. Die Zuzügler verbrachten hier ein Jahr, bevor sie Aussicht und Anspruch auf eine reguläre Sozialwohnung hatten.
Zwanzig Jahre war der Eschenhof so eine erste Adresse für Aussiedler in Augsburg – bis 1998. Was sollte aus dem heruntergekommenen Wohnhof werden? Ein Abriss kam nicht mehr infrage, seit der Eschenhof in den 1990er Jahren unter Denkmalschutz gestellt wurde. Also wurde er von der Stadt umfangreich mit Millionenaufwand saniert und zu einer zeitgemäßen Anlage – samt Tiefgarage – mit 90 Wohnungen, 40 bis 90 Quadratmeter groß, umgestaltet. Verantwortliche Architekten waren die Büros Schrammel und Schulze, die den Charakter des Eschenhofs vor allem von außen unverändert ließen, innen aber mit Vorbauten und Balkonen viel neuen Raum für Lebensqualität schufen. Edgar Mathe gefällt, dass die Architekten „mit robustem Augenmaß und städtebaulich durchdacht“vorgegangen sind.
Wer mit offenen Augen durch den Wohnhof geht, sieht noch viele Details, die seit 1928 unverändert sind. Die Holztore beispielsweise, auch die Treppenstiegen und Geländer. Wohlhabende haben hier nie gewohnt. Aber der Eschenhof hat die Stadt bereichert, weil er eine soziale Funktion erfüllt seit nun fast 90 Jahren. Edgar Mathe sagt: „Wenn man den Leuten ein angemessenes Zuhause gibt, haben sie das Gefühl, dass sie etwas wert sind. Und sie geben etwas zurück an die Gesellschaft.“