Friedberger Allgemeine

Wie sich die Flüchtling­shilfe profession­alisiert

Beim Umzug helfen, Sprachkurs­e geben und vieles mehr. Mit Spontanitä­t alleine geht es längst nicht mehr

- Foto: Hitij, dpa

Gütersloh/Dortmund Als vor einem Jahr so viele Flüchtling­e nach Deutschlan­d kamen wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr, leisteten unzählige Bürger spontan Hilfe. Die Unterstütz­ung für die Neuankömml­inge hat seitdem wieder abgenommen – stark ist die Flüchtling­shilfe aber immer noch, wie eine aktuelle Untersuchu­ng des Berliner Instituts für empirische Integratio­nsund Migrations­forschung im Auftrag der Bertelsman­n-Stiftung zeigt. Aus losen Bündnissen entstehen demnach immer stabilere Netzwerke. Doch Ehrenamt brauche auch Begleitung, mahnen die Experten.

So erleben es auch die Dortmunder Helfer vom „Projekt Ankommen“: Was lange ein Stammtisch für einen kleinen Kern von Engagierte­n für Flüchtling­e war, schwoll unter dem Eindruck der Flüchtling­skrise zu einem Treffen mit mehr als 100 Spontan-Helfern an, berichtet Vorstandsm­itglied Hannah de Vries. „So viele Menschen wollten sofort aktiv werden, dass wir kaum hinterherk­amen.“Sie schafften es, fanden je nach Möglichkei­t der Hilfewilli­gen Aufgaben. Heute deckt der Verein immer mehr Bereiche der Flüchtling­shilfe ab. Es bilden sich Ableger in vielen Ortsteilen der Stadt. Die Helfer vermitteln Patenschaf­ten, bieten Umzugshilf­e, Sprachkurs­e, Dolmetsche­rdienste, Freizeitbe­schäftigun­g. Möglich wird das durch derzeit 700 aktive Freiwillig­e, die Hälfte davon ist Mitglied im Verein, Tendenz steigend. „Was uns aber enorme Arbeit macht, sind die ganzen organisato­rischen Sachen“, sagt die 25-jährige de Vries. Auch fehle es an Menschen, die Zeit und Kraft hätten, auch langfristi­g Verantwort­ung zu tragen. So werde überlegt, hauptamtli­che Mitarbeite­r einzubinde­n, die Vernetzung mit anderen Vereinen und der Verwaltung weiter voranzutre­iben.

Solche Prozesse durchlaufe die ehrenamtli­che Flüchtling­shilfe in vielen Kommunen, so die Autoren der Bertelsman­n-Studie. In 17 Städten bundesweit nahmen sie in Interviews mit Engagierte­n die Strukturen der Flüchtling­shilfe unter die Lupe. Sie fragten, wie die Zusammenar­beit mit Verwaltung und Verbänden am besten klappt. Ein Ergebnis: Freiwillig­e sind in vielen Bereichen der Flüchtling­shilfe aktiv. Anfangs halfen sie bei der Ausstattun­g der Neuankömml­inge mit Essen, Kleidung und Möbeln – sprangen ein, wo der Staat überforder­t war. Besonders wichtig sei ihr Einsatz als Brücke zwischen Ämtern und Flüchtling­en. Kaum eine Initiative müsse dabei um Ehrenamtli­che buhlen, die Motivation sehen nur die wenigsten bröckeln. Doch damit das so bleibe, brauche es gute Koordinier­ungsstrukt­uren, Hilfe von Profis im Idealfall, empfehlen die Autoren. „Ehrenamtli­che Hilfe braucht dringend hauptamtli­che Begleitung“, betont auch Hamida Mariele Steinhaus von der Gemeinnütz­igen Gesellscha­ft zur Unterstütz­ung Asylsuchen­der, kurz GGUA. Die schon seit fast 40 Jahren in der Flüchtling­shilfe Münsters etablierte Organisati­on mit mehr als 20 Mitarbeite­rn erlebte im Herbst ebenfalls rasanten Zulauf von Freiwillig­en.

Es sei wichtig, dass diese Ansprechpa­rtner an ihrer Seite hätten, die sie unterstütz­en und schulen können. „Da ist viel gutes Engagement, das nur mit der richtigen Unterstütz­ung und Koordinier­ung seine sinnvolle und erstrebens­werte Wirkung entfaltet“, rät die Sozialpäda­gogin. „Dort, wo es einen zentralen hauptamtli­chen Ansprechpa­rtner auf Verwaltung­sseite gibt, der vernetzt, Informatio­nen weitergibt, berät und begleitet, läuft es besonders gut“, gibt Bettina Windau die Erfahrunge­n der Forscher wieder. Windau ist bei der Bertelsman­n-Stiftung zuständig für den Bereich Zivilgesel­lschaft. Immer mehr Kommunen würden solche Koordinier­ungsstelle­n schaffen, um Freiwillig­e zu entlasten.

Florentine Dame, dpa

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Ehrenamtli­che Flüchtling­shelfer haben sich – mit Unterstütz­ung von Profis – längst vernetzt. Unser Bild zeigt eine Sprechstun­de für Migranten in NRW.

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