In Kinderheimen sollen Regeln strenger werden
In jeder zweiten Einrichtung gibt es „freiheitsbeschränkende Maßnahmen“
München Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) will freiheitseinschränkende Maßnahmen in stationären Einrichtungen für behinderte Kinder klarer regeln und schärfer kontrollieren. Maßnahmen wie Fixierungen, Ellenbogenschienen, Schutzhandschuhe, Kastenbetten oder das zeitweise Abschließen eines Zimmers seien nur zum Selbstschutz des Kindes oder zum Schutz anderer gerechtfertigt und müssten „auf das unabdingbare Maß“beschränkt werden, forderte die Ministerin: „Freiheitsbeschränkende Maßnahmen müssen stets das letzte Mittel sein.“
Nach Medienberichten über unbegründeten Freiheitsentzug behinderter Kinder hatte die Ministerin im April alle 104 stationären Einrichtungen in Bayern überprüfen lassen. In keinem einzigen Heim ist es laut dieser Prüfung zu einem „Wegsperren“– also einem Freiheitsentzug als Strafe – gekommen. Allerdings wurden in sieben Fällen gravierende Mängel festgestellt und laut Sozialministerin sofort behoben. So wurde in zwei Fällen das Zimmer eines Kindes nachts abgeschlossen. In einer Einrichtung war die Betreuung während der Teamsitzungen nicht gesichert. In zwei Fällen waren Ruheräume, in die aggressive Kinder mit psychischen Störungen gebracht werden können, nur lückenhaft einsehbar. Bei einem Einschluss wegen akuter Fremdgefährdung wurde in einer Einrichtung nur ein Toiletteneimer bereitgestellt. In einem Fall wurde das betreuende Personal nicht ausreichend unterstützt und kontrolliert.
Darüber hinaus wurde in mehreren Einrichtungen das Fehlen von Handlungsanweisungen, die Qualität der Dokumentation von freiheitsentziehenden Maßnahmen sowie Form, Inhalt und Aktualität der Zustimmungserklärung der Sorgeberechtigten für notwendigen Freiheitsentzug bemängelt.
Laut Müller setzt rund die Hälfte der stationären Einrichtungen für Kinder Freiheitsentzug ein – in der Regel handele es sich dabei um mehrfach behinderte Patienten mit schweren psychischen Störungen.
Rund zwei Prozent der etwa 4000 stationär behandelten behinderten Kinder in Bayern würden „situationsbedingt auch tagsüber“in ihrem Zimmer eingeschlossen. Rund ein Prozent – exakt 38 Kinder – würden derzeit wegen starker Aggressionen in speziell ausgestattete Ruheräume gebracht. „Aber nur dann, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt“, beteuerte Müller.
Insgesamt bewertete die Ministerin das Ergebnis der Untersuchung auch als „Beleg für die weit überwiegend gute und fachlich qualifizierte Arbeit“des Fachpersonals in den Behinderten-Heimen. Eine Meinung, die auch Landes-Caritasdirektor Bernhard Piendl teilt: „Unsere Einrichtungen schauen hin, wo andere gerne wegschauen, und sie bieten Hilfen an“, sagte er. Zweifellos müsse über Mängel gesprochen werden, aber auch „über die wertvolle Arbeit, die in unseren Einrichtungen geleistet wird“.
Als Konsequenz aus dem Bericht forderte der Direktor der Kinderund Jugendpsychiatrie der Uniklinik Würzburg, Prof. Marcel Romanos, einen Richtervorbehalt für Zwangsmaßnahmen an behinderten Minderjährigen: Die Zustimmung eines Richters sei bei Erwachsenen längst Standard und habe dort „zu einem starken Rückgang von Zwangsmaßnahmen geführt“.
Müller kündigte an, im Gespräch mit den Trägern der Einrichtungen schnell Abhilfe schaffen zu wollen. Zudem präsentierte die Ministerin auf Basis der Empfehlungen einer Expertengruppe einen „ZehnPunkte-Plan“zur Verbesserung der stationären Betreuung behinderter Minderjähriger. Neben einer verstärkten Kontrolle und schärferen Richtlinien will Müller vor allem die Einbindung der Eltern verbessern. So sollen in den Heimen Elternbeiräte gegründet und eine unabhängige Beschwerdestelle eingerichtet werden. »Kommentar