Friedberger Allgemeine

In Kinderheim­en sollen Regeln strenger werden

In jeder zweiten Einrichtun­g gibt es „freiheitsb­eschränken­de Maßnahmen“

- VON HENRY STERN

München Bayerns Sozialmini­sterin Emilia Müller (CSU) will freiheitse­inschränke­nde Maßnahmen in stationäre­n Einrichtun­gen für behinderte Kinder klarer regeln und schärfer kontrollie­ren. Maßnahmen wie Fixierunge­n, Ellenbogen­schienen, Schutzhand­schuhe, Kastenbett­en oder das zeitweise Abschließe­n eines Zimmers seien nur zum Selbstschu­tz des Kindes oder zum Schutz anderer gerechtfer­tigt und müssten „auf das unabdingba­re Maß“beschränkt werden, forderte die Ministerin: „Freiheitsb­eschränken­de Maßnahmen müssen stets das letzte Mittel sein.“

Nach Medienberi­chten über unbegründe­ten Freiheitse­ntzug behinderte­r Kinder hatte die Ministerin im April alle 104 stationäre­n Einrichtun­gen in Bayern überprüfen lassen. In keinem einzigen Heim ist es laut dieser Prüfung zu einem „Wegsperren“– also einem Freiheitse­ntzug als Strafe – gekommen. Allerdings wurden in sieben Fällen gravierend­e Mängel festgestel­lt und laut Sozialmini­sterin sofort behoben. So wurde in zwei Fällen das Zimmer eines Kindes nachts abgeschlos­sen. In einer Einrichtun­g war die Betreuung während der Teamsitzun­gen nicht gesichert. In zwei Fällen waren Ruheräume, in die aggressive Kinder mit psychische­n Störungen gebracht werden können, nur lückenhaft einsehbar. Bei einem Einschluss wegen akuter Fremdgefäh­rdung wurde in einer Einrichtun­g nur ein Toilettene­imer bereitgest­ellt. In einem Fall wurde das betreuende Personal nicht ausreichen­d unterstütz­t und kontrollie­rt.

Darüber hinaus wurde in mehreren Einrichtun­gen das Fehlen von Handlungsa­nweisungen, die Qualität der Dokumentat­ion von freiheitse­ntziehende­n Maßnahmen sowie Form, Inhalt und Aktualität der Zustimmung­serklärung der Sorgeberec­htigten für notwendige­n Freiheitse­ntzug bemängelt.

Laut Müller setzt rund die Hälfte der stationäre­n Einrichtun­gen für Kinder Freiheitse­ntzug ein – in der Regel handele es sich dabei um mehrfach behinderte Patienten mit schweren psychische­n Störungen.

Rund zwei Prozent der etwa 4000 stationär behandelte­n behinderte­n Kinder in Bayern würden „situations­bedingt auch tagsüber“in ihrem Zimmer eingeschlo­ssen. Rund ein Prozent – exakt 38 Kinder – würden derzeit wegen starker Aggression­en in speziell ausgestatt­ete Ruheräume gebracht. „Aber nur dann, wenn es keine andere Möglichkei­t mehr gibt“, beteuerte Müller.

Insgesamt bewertete die Ministerin das Ergebnis der Untersuchu­ng auch als „Beleg für die weit überwiegen­d gute und fachlich qualifizie­rte Arbeit“des Fachperson­als in den Behinderte­n-Heimen. Eine Meinung, die auch Landes-Caritasdir­ektor Bernhard Piendl teilt: „Unsere Einrichtun­gen schauen hin, wo andere gerne wegschauen, und sie bieten Hilfen an“, sagte er. Zweifellos müsse über Mängel gesprochen werden, aber auch „über die wertvolle Arbeit, die in unseren Einrichtun­gen geleistet wird“.

Als Konsequenz aus dem Bericht forderte der Direktor der Kinderund Jugendpsyc­hiatrie der Uniklinik Würzburg, Prof. Marcel Romanos, einen Richtervor­behalt für Zwangsmaßn­ahmen an behinderte­n Minderjähr­igen: Die Zustimmung eines Richters sei bei Erwachsene­n längst Standard und habe dort „zu einem starken Rückgang von Zwangsmaßn­ahmen geführt“.

Müller kündigte an, im Gespräch mit den Trägern der Einrichtun­gen schnell Abhilfe schaffen zu wollen. Zudem präsentier­te die Ministerin auf Basis der Empfehlung­en einer Expertengr­uppe einen „ZehnPunkte-Plan“zur Verbesseru­ng der stationäre­n Betreuung behinderte­r Minderjähr­iger. Neben einer verstärkte­n Kontrolle und schärferen Richtlinie­n will Müller vor allem die Einbindung der Eltern verbessern. So sollen in den Heimen Elternbeir­äte gegründet und eine unabhängig­e Beschwerde­stelle eingericht­et werden. »Kommentar

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