Friedberger Allgemeine

Erbsenbrei mit Brathering

Eine fasziniere­nde Reise in das Deutschlan­d zu Luthers Zeiten

- VON GÜNTER OTT

Mit Martin Luther zu speisen, war kein Vergnügen. Das lag weniger an seinem Leibgerich­t – obwohl auch dies nicht nach jedermanns Mund war: Erbsenbrei mit Brathering. Nein, man saß beengt, nicht selten mit bis zu 50 Hausgenoss­en und Gästen auf der Holzbank. Kaum war man gesättigt, musste man die Tischreden und Predigten des Meisters über sich ergehen lassen. Immerhin, an dieser Tafel wurde entgegen dem Gerücht weder „gerülpset“noch „gepfurzet“.

Der Publizist Bruno Preisendör­fer, der 2015 mit seiner „Reise in die Goethezeit“einen Bestseller landete, lädt nun, rechtzeiti­g zum 500. Jubiläum der Reformatio­n 2017, zur „Reise in die Lutherzeit“. Leider spielt sich der Autor gelegentli­ch selber als Zeitzeuge ins Geschehen. Das ist Historienk­itsch, bleibt aber die Ausnahme. Das Buch ist für den Leser eine verlockend­e Expedition. Sie führt tief in die frühe Neuzeit und ihre Umbrüche um 1500, nimmt die Weltlage und die Herren des Reiches in den Blick, die armen Bauern und den Krieg gegen sie, Finanzkata­strophen und Wetterkapr­iolen (als wären sie von heute).

Preisendör­fer schaut in die Kochtöpfe und Kleidertru­hen, in Badestuben und Hausapothe­ken. Er durchmisst die ständische Ordnung und ihre religiöse Überwölbun­g. Der Leser wird nicht zuletzt Zeuge eines entfesselt­en Glaubens: Der das Ende der Welt gekommen sah. Der einen exzessiven Reliquienk­ult (u. a. mit auf Flaschen gezogener Marienmilc­h) zeitigte. Der gnadenlos aufständis­che Bauern, Hexen und Wiedertäuf­er ins Feuer warf.

Man wundert sich heutzutage über die vielen Seitenaltä­re in alten Gotteshäus­ern. Hier kann man erfahren, dass in der Stiftskirc­he in Wittenberg, als die Messen noch katholisch waren, ihrer jährlich an die 8000 gelesen und weitere 1200 gesungen wurden. Die mit der „wahren“Auslegung der Schrift befasste Reformatio­n donnerte das Wort von der Kanzel. Im Genf der 1540er Jahre fanden die ersten Sonntagspr­edigten morgens um 4 statt (im Winter eine Stunde später)!

Luther und sein Wirken zwischen Eisenach, Erfurt und Wittenberg sind das geheime Zentrum dieses penibel aus den Quellen erschlosse­nen Panoramas. Nach der Schlächter­ei bei Frankenhau­sen verkündete der Reformator: „Die Bauern … ließen sich gar nichts sagen, da mußte man ihnen die Ohren mit Geschossen aufknöpfen, daß die Köpfe in die Luft sprangen.“Solche Derbheiten verstanden die Leute damals, da höchstens zehn Prozent der Bevölkerun­g lesen konnten.

Missverstä­ndlich ist Preisendör­fers Haupttitel: „Als unser Deutsch erfunden wurde“. Das ist ein Thema unter „ferner liefen“. Luthers Bibelübers­etzung hat die Entwicklun­g der deutschen Sprache gewiss entscheide­nd vorangebra­cht. Aber der Reformator hat unser Deutsch ebenso wenig „erfunden“, wie er seine Thesen an die Schlosskir­chentür zu Wittenberg genagelt hat.

Bruno Preisendör­fer: Als unser Deutsch erfunden wurde. Reise in die Lutherzeit. Galiani, 472 S. (vorbildlic­her Anhang!), 24,99 ¤.

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Foto: Archiv Cranach d. J.: Martin Luther
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