Ohne Austausch keine Wiedergeburt
Renaissance In einer imposanten Schau zeichnet der Augsburger Historiker Bernd Roeck ein Bild der europäischen Welt zwischen 1400 und 1600. Und zeigt dabei, dass keineswegs nur die Rückbesinnung auf die Antike entscheidend war
Zürich Der dicke Engel mit seiner Gans hat eine schöne Reise hinter sich – von Augsburg aus nach Süden zum Bodensee, dann mit Blick aufs Gebirg’ durch die Schweiz. Jetzt steht er im neuen Kulturpalast der Eidgenossen, dem Erweiterungsbau des Nationalmuseums mitten in Zürich. Zur kürzlich erfolgten Eröffnung des Neubaus hat der Historiker und Frühe-Neuzeit-Spezialist Bernd Roeck, ein gebürtiger Augsburger und Professor an Zürichs Universität, die Ausstellung „Europa in der Renaissance – Metamorphosen 1400–1600“kuratiert und dazu auch schöne Exponate aus seiner Heimatstadt angefordert.
Eben jenen Putto, den Adriaen de Vries für den Augsburger Herkulesbrunnen gießen ließ, dazu „Venus und Adonis“von Veronese sowie Zeichnungen und Drucke von Sebastian Loscher und Hieronymus Hopfer. Zusammen mit fast 300 weiteren Leihgaben aus europäischen und amerikanischen Museen spannen Roeck und seine Mitkuratorin Denise Tonella ein weites Panorama auf, in dem die Besucher sich auf die Spuren eines grundlegenden Neuanfangs begeben können.
Renaissance: Wiedergeburt – das bedeutet im Sinne des großen Schweizer Kulturhistorikers Jacob Burckhardt die Wiederentdeckung der Antike in der Frühen Neuzeit. Freilich spricht die Ausstellung diesen Aspekt an, aber sie reicht doch weit darüber hinaus, hin zur Entdeckung neuer Perspektiven, zur Weitung des Horizonts. Die Welt wird seit Kolumbus immer größer, durch Mechanik und Medizin ändert sich die Sicht auf den Menschen und die Natur, der Buchdruck ermöglicht Lernen in bisher ungeahntem Maße. Und mit dem neuen Menschenbild der Humanisten, mit der Revolution der Bilder und Buchstaben entsteht eine ungeheure Vielfalt kultureller Äußerungen, wachsen Künstlerpersönlichkeiten mit je individuellem Stil.
Hier bietet die eigentlich didaktisch und kulturgeschichtlich angelegte Schau dann auch reine Kunst und mithin ihre schönsten Objekte: Hans Holbeins d. J. Madonna des Bürgermeisters Jacob Meyer zum Hasen, an deren realistischen Stifter-Gesichtern man sich nicht sattsehen kann; das Armada-Portrait der Königin Elisabeth; aber auch eine Fülle wunderbarer Grafik- Blätter, unter anderem von Dürer, aus der großen Sammlung der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Im Austausch zwischen süddeutscher und Schweizer Kunstproduktion treten hier wiederum Augsburger auf, etwa der um 1480 geborene Maler Wilhelm Ziegler, der in der Werkstatt des Hans Burgkmair lernte und dann Schweizer Erfolgskünstler wurde.
Austausch ist ohnehin ein Schlüsselbegriff dieser Ausstellung und damit auch der Renaissance-Auffassung des Historikers Roeck. Als Epoche des Dialogs und des kulturellen Transfers sieht er den Zeitraum zwischen 1400 und 1600. Die Zentraleuropäer konnten sich nur deswegen zu neuem Aufbruch aufschwingen, weil sie von Indien, Arabien und China lernten. Auch die Rückbesinnung auf die Antike bedeutete nicht den Neuaufguss des Alten, sondern dessen Weiterentwicklung. So konnte die Renaissance das Fundament für die Moderne legen, sagt Roeck, und sowohl Dokumente und historische Objekte wie auch die Kunst sind ihm dafür Beleg und Quelle.
Der dicht bestückten und vielfältigen Ausstellung sowie einer zweiten Eröffnungsschau über Archäologie bietet der Neubau des Schweizerischen Nationalmuseums (das zugleich Zürcher Landesmuseum ist) eine ungewöhnliche Hülle. Die Architekten Emanuel Christ und Christoph Gantenbein ergänzten den burgartigen Museums-Altbau, ein pittoreskes historistisches Gebäude mit Türmchen und Erkern, mit einem Baukörper, der sich wie
Wie eine Schlange windet sich der Neubau zwischen Türmchen und Erkern
eine riesige gezackte Schlange zwischen den vorhandenen GebäudeFlügeln windet.
Die eigenwillige Figur erweist sich im Inneren als eine etwas unübersichtliche Folge von unterschiedlich dimensionierten Räumen, in denen nun für die Eröffnungsschau dämmrige LagerhausAtmosphäre herrscht. So können zwar die oft kleinteiligen Exponate – etwa ein Original-Brief von Macchiavelli oder ein ArchitekturTraktat von Alberti – unter SpotLicht und in Vitrinen äußerst preziös wirken, doch insgesamt fehlt den Betrachtern doch Weite und Licht. Qualitäten, die dem geistig-künstlerischen Aufbruch der Renaissance, der hier verhandelt wird, gut anstehen würden.
Europa in der Renaissance Bis 27. November im Schweizerischen Nationalmuseum Zürich (Museumsstraße am Bahnhof). Zu der Ausstellung ist im Verlag Hatje Cantz ein umfangreicher Katalog mit einem Dutzend Essays erschienen.