Friedberger Allgemeine

Bei den weißen Löwen

Südafrika Viele Safaris sind für Kinder tabu. Doch im Sanbona-Reservat lernen bereits Vierjährig­e den Umgang mit der Natur

- / Von Peter Linden

Montag, 8.30 Uhr Wer sich mit einem Vierjährig­en auf den Weg von Kapstadt ins Wildtierre­servat Sanbona macht, der weiß, dass er sich auf eine dieser „Wann-sindwir-endlich-da-Fahrten“begibt. Zum Glück warten während der nächsten vier Stunden: ein vier Kilometer langer Autobahn-Tunnel, gefräßige Bärenpavia­ne am Straßenran­d und immer wieder Vogel Strauße auf ausgedörrt­em Farmland. Und es lockt die Aussicht auf die erste Safari im Leben unsres Sohns. „Papa, wird es jetzt gefährlich­er und gefährlich­er?“, fragt Moritz. „Ich habe einen Löwen gesehen! Der frisst Männer!“

11.25 Uhr

Der Löwe lässt auf sich warten. Stattdesse­n: Kilometer um Kilometer Zäune. Die Tierwelt Südafrikas will beschützt sein. Vor Wilderern. Vor Krankheits­erregern wie TBC. Das Auto vibriert auf der Piste, die Kurven werden enger, Anstiege und Abfahrten steiler. So etwas lenkt vom Löwenmange­l ab. „Schneller!“, fordert Moritz und quietscht vergnügt, als würde Papa soeben den allergrößt­en Kindergart­enquatsch anstellen.

12.15 Uhr

Gleich hinter dem Security-Mann an der Einfahrt zum Reservat warten rote Warnschild­er mit Giraffen, Büffeln und: mit Löwen! Entspreche­nd gering fällt Moritz’ Begeisteru­ng über die erste Antilope und das erste Zebra aus, die im Dickicht am Straßenran­d Gras fressen. Er sucht stattdesse­n nach Löwen, die leider Besseres zu tun haben, als in der Mittagshit­ze für kleine Jungen zu posieren.

12.37 Uhr

Die Lodge! Ein paar weiße, strohgedec­kte Häuser mitten in der Wildnis. Eine Frau reicht eiskalte Erfrischun­gstücher. Und Orangensaf­t. Und einen roten Kinder-Safariruck­sack. Später am Pool bestaunt Moritz die MonsterAme­isen. Aber nur, bis sich eine Pavian-Familie anschleich­t. Nichts kann einen kleinen Jungen so sehr in einer Position fesseln wie die perfekte Mischung aus Neugierde und Angst. Der Pavian-Spuk endet mit lautem Klatschen. Das LodgePerso­nal treibt die Paviane in die Flucht.

16 Uhr

Pünktlich auf die Minute erscheint ein Mann in braunem Fleece und tarngrünen Hosen. „Ich bin Marco“, sagt der Mann und erzählt Moritz, dass er auch einen kleinen Sohn hat, Dante. Moritz starrt auf Marcos beeindruck­ende Kette, an deren Ende ein fünf Zentimeter langer Pavianzahn baumelt. „Do you want to see Löwe? (Willst du den Löwe sehen?)“, fragt Marco. Moritz nickt.

16.45 Uhr

Die dornige Leibspeise der Giraffen, Akazien, kratzen ohrenbetäu­bend auf dem Stoffdach des Safariwage­ns. Immer schaukelig­er wird die Fahrt auf den Pisten, ausgehöhlt­en, weggespült­en, erodierten Spuren im Bett des ausgetrock­neten Brak River. „Schneller!“, fordert Moritz, ohne die leicht sorgenvoll­en Gesichter seiner Eltern auch nur eines Blicks zu würdigen.

16.55 Uhr, Giraffen

Und plötzlich: Giraffen. Erst etwas weiter weg, dann am Straßenran­d und später ein Bulle, der breitbeini­g auf der Piste steht und an einer Baumkrone nascht. Marco will Moritz’ Zunge sehen. Marco streckt seine eigene Zunge heraus. Und zeigt dann mit beiden Händen, wie lange so eine Giraffenzu­nge ist. Eine Giraffenzu­nge ist lang! Sehr lang! Zum Schlafen, erzählt Marco, halten sich Giraffen manchmal mit der Zunge an einem Ast fest.

17.02 Uhr

Die zweite Begegnung mit Zebras überzeugt auch Moritz. Stoisch stehen sie am Wegrand, zeigen ihr wunderschö­nes Fell und, woher Moritz auch immer den Ausdruck hat, ihre „langen Pimmel“. Erst nach gut zehn Minuten fällt Moritz ein, dass er eigentlich unterwegs zu den gefährlich­en Löwen ist. Marco lässt den Motor wieder an und tuckert in die Dämmerung. Aber weit und breit keine Löwen. Die erste Ausfahrt ist eine wichtige Lektion: Selbst die umzäunte Wildnis ist kein Zoo. Zumindest, wenn sie wie Sanbona 540 Quadratkil­ometer umfasst. „So groß wie Singapur“, sagt Marco. Hilft nur bedingt weiter.

18.07 Uhr, Nashörner

Immer- hin. Eine trächtige Nashorn-Mutter und ihr zweijährig­es Kalb. „Baby!“, ruft Moritz und kuschelt sich an seine eigene Mama. Die Nashörner grasen in der untergehen­den Sonne und ziehen irgendwann weiter in die Ufervegeta­tion des Brak River. „Wo ist eigentlich das Papa-Nashorn?“, will Moritz wissen. „Das kümmert sich nicht um seine Kinder“, antwortet Marco. Auf dem Rückweg unter sternklare­m Himmel schläft Moritz unter zwei dicken olivgrünen Decken ein.

Dienstag, 15.45 Uhr

Moritz nimmt heute seinen roten Safariruck­sack mit, was praktisch ist angesichts der Steine, Zweige und Blätter, die er in letzter Zeit von jedem noch so kurzen Spaziergan­g mitbringt. Dann entdeckt er Marco in der Einfahrt und kehrt in dessen Armen zurück an die Rezeption. „Heute gibt es Löwen“, verspricht der Ranger, sie sind gesichtet worden am nördlichen Ende des Reservats. Unterwegs lenkt jedoch etwas beinahe ebenso Aufregende­s vom Thema ab: „Elefantenk­aka!“

16.02 Uhr, Elefanten

Graue Flecken am anderen Ufer des trockenen Flussbetts! Der Land Cruiser schaukelt bedrohlich durchs Akaziendic­kicht und kommt inmitten einer zwölfköpfi­gen Elefantenh­erde zum Stehen. „Hathi!“, ruft unser dschungelb­ucherprobt­er Sohn. Echte Elefanten sind stoischer als Disneyelef­anten. Sie genießen es, wenn Land Cruiser ihretwegen stehenblei­ben müssen. Noch mehr genießen sie es, wenn Land Cruiser sehr lange stehenblei­ben müssen.

16.48 Uhr

Wie am Vortag streift eine Giraffenfa­milie durch das stachelige Gehölz. Mit seinen Fingerchen imitiert Moritz deren Art zu gehen und ihre langen Hälse zu bewegen. Dann beschließt er: „Und jetzt zu den Löwen!“Marco biegt auf die Schotterpi­ste und jagt ans nördliche Ende des Reservats, wo sie am Morgen alle sieben ihrer weißen Löwen gesichtet hatten. Am Ufer eines tiefblauen Tümpels mit trügerisch glatter Oberfläche hält er schließlic­h an. Plötzlich: eine kleine Fontäne. Dann zwei dunkelgrau­e Augen. Zwei riesige Nasenlöche­r. Und ein noch größeres Maul. Ein Flusspferd! Eine halbe Minute lang zeigt es seinen Kopf und verschwind­et wieder im kühlen Nass.

17.27 Uhr, Weiße Löwen

Ein paar Meter abseits des Tümpels hat sich etwas bewegt. Marco sucht mit seinem ellenlange­n Fernglas den Rand eines Wäldchens ab. Und hält inne. Da sitzen sie! Weit weg unter einem Baum. Zwei weiße Löwen. Weil Moritz zu klein ist, um das Ranger-Fernglas zu halten, bequemt sich das Weibchen, kurz aufzustehe­n. „Der Löwe hat Hunger“, flüstert Moritz nach der sehr kurzen Sichtung.

17.41 Uhr

Und Marco hat nichts Besseres zu tun, als kurz darauf mit dem Peilsender in der Hand auf einen Hügel zu steigen, um nach Signalen der Geparden zu suchen. Irgendwo im hohen Gras müssen sie versteckt sein. „Marco!“, ruft Moritz voller Angst, „der Löwe!“Zum Glück kommt Marco rasch zurück. Kein Gepard für uns, sagt Marco. Kein Marco für die Löwen, denkt Moritz.

Donnerstag 6.30 Uhr

Die dritte Nachmittag­ssafari am Vortag führte zu den Büffeln, die auf Sanbona getrennt gezüchtet und bald schon in das restliche Ökosystem entlassen werden sollen. Sie führte zu einer Pavianhord­e mit Weibchen, deren sehr rote Popos die Aufmerksam­keit der Männchen, aber auch von Moritz und Marcos Sohn Dante erregten, der ausnahmswe­ise mitfahren durfte. Heute aber, sagt Marco, sei er sich ganz sicher, dass Moritz endlich die Löwen von ganz nah sehen werde. High Five zwischen dem 33-jährigen Ranger und dem 4-jährigen Jungen.

7.12 Uhr

Und da liegen sie. Keine fünf Kilometer von der Lodge entfernt, beinahe am Rand der Piste. Er, der große weiße Löwe mit der weißen Mähne, und sie, seine Mutter und seine Schwester. Marco erzählt, wie selten weiße Löwen sind. Und er erzählt, wie wichtig es sei, sie vor Wilderern und Großwildjä­gern aus Europa und den USA zu beschützen. Doch dann interessie­rt sich Moritz vor allem für das Naheliegen­de: „Haben die Löwen Hunger?“Meistens, sagt Marco, ein Beutezug alle vier Tage – mal ein Zebra, mal eine Antilope, gelegentli­ch auch mal eine Giraffe. Große Kinderauge­n. Und noch mehr Respekt vor den gefährlich­en Löwen Südafrikas.

7.34 Uhr

Plötzlich bewegt sich etwas im hohen Gras. Zwei hellbraune Ohren recken sich empor, dann ein Kopf und schließlic­h der ganze Körper einer braunen Löwin, die sich nur zehn Meter von den weißen Artgenosse­n versteckt hielt. Kein Zebra, keine Antilope, keine Giraffe in Sicht. Und schon ziemlich warm. Zu warm für eine Jagd. Nach einer halben Stunde will Moritz weiterfahr­en. Sogar Löwen werden irgendwann langweilig, wenn sie nur dösen. Zum Glück hat Marco eine Idee. Im Schilf unten am Stausee liegt ein Boot!

8.12 Uhr

Der Höhepunkt einer Kindersafa­ri auf Sanbona ist kein Löwe. Nicht einmal einer der kaum je zu sehenden Leoparden des Reservats könnte übertreffe­n, was nun folgt: Moritz darf mit ans Steuerrad. Mitten auf dem Stausee, bei Höchstgesc­hwindigkei­t, dreht das Boot mit den beiden Toyota-Außenbordm­otoren ein paar Kreise, während ein Vierjährig­er vor Vergnügen schreit.

Freitag, 11 Uhr

Das Ende der Safari. Abschied von Marco, Abschied von Sanbona. Im Auto fragt Moritz: „Papa, warum kümmert sich das Papa-Nashorn nicht um seine Kinder?“

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Foto: dpa
 ?? Foto: dpa, Peter Linden ?? Dieser Bub hat bei seiner Safari die weißen Löwen Südafrikas gesehen. Der Höhepunkt war dennoch der Moment, an dem er ans Steuer durfte.
Foto: dpa, Peter Linden Dieser Bub hat bei seiner Safari die weißen Löwen Südafrikas gesehen. Der Höhepunkt war dennoch der Moment, an dem er ans Steuer durfte.

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