Weiß dieser Mann eigentlich, was er sagt?
Im US-Wahlkampf fällt Donald Trump immer wieder durch Provokationen auf. Was ist kalkulierter Tabubruch – und wo hat er einfach keine Ahnung?
Wollen wir hoffen, dass Paul Ryan recht hat. „Es war ein Scherz“, sagt der ranghöchste Republikaner in den USA, „der danebenging.“Gemeint ist eine Bemerkung von Präsidentschaftskandidat Donald Trump, die andere für einen Aufruf zur Gewalt gegen seine Konkurrentin Hillary Clinton halten. Wenn es ein Scherz war, dann war es jedenfalls ein sehr gefährlicher.
Die Kette der, wohlmeinend formuliert, „missverständlichen“Äußerungen von Trump wird immer länger. Da war die Diffamierung der Mexikaner, da war die Forderung nach einem Einreiseverbot für Muslime, da war die Bemerkung über die „blutende“TVModeratorin, da war der Streit mit den Eltern eines toten US-Soldaten – alles Vorgänge, die auch in den Reihen der Republikanischen Partei Kopfschütteln bis Entsetzen hervorriefen. Unter den Kommentatoren gibt es zwei Schulen: Die einen meinen, Trump nutze absichtlich das Mittel der Provokation, um größtmögliche Publizität zu erreichen. Die anderen sind überzeugt, der politische Quereinsteiger habe sich schlicht nicht unter Kontrolle.
Wie verhält es sich nun: Weiß Trump, was er sagt? Bei vielen Statements muss man davon ausgehen, dass er absichtlich das Feld der ihm verhassten „political correctness“verlässt und mit dem Tabubruch spielt. So etwa, wenn er eine Mutter mit ihrem schreienden Baby aus dem Saal schickt. Er weiß, dass Babys hoch im Kurs stehen – aber er sagt es trotzdem.
So ist wohl auch die Äußerung über Hillary Clinton einzuordnen. Trump sprach über den zweiten Zusatz zur US-Verfassung aus dem Jahr 1791, der jedem Bürger das Recht gibt, eine Waffe zu tragen. Und er sprach über das Oberste Gericht, das dieses Recht einschränken könnte. Wenn, ja wenn Hillary Clinton neue Richter ernennen würde. Aber, so meinte er dann, die Waffenfreunde könnten ja etwas dagegen unternehmen ...
Gewalt gegen Hillary Clinton anzuwenden – das schwang als Option bei dieser Bemerkung mit. Er könnte dies dennoch als Scherz gemeint haben. Denn die Waffenfreunde könnten ja auch mit dem Stimmzettel gegen Hillary Clinton „vorgehen“. Explizit zur Gewalt aufgerufen hat er nicht, aber er hat den Tabubruch angedeutet – und damit viel Aufmerksamkeit erzielt.
Wahlkämpfe brauchen Konflikte, sonst gelingt keine Mobilisierung. Es gibt die Rolle des Provokateurs, die jetzt der exzentrische Immobilienmilliardär Trump spielt. Und es gibt die Rolle des Opfers, das mahnt und warnt. Die fällt nun dem Hillary-Lager zu.
Auch Deutschland kennt solche Rollenverteilungen. 1980 gab CSU-Chef Franz Josef Strauß als Kanzlerkandidat der Union den Provokateur, gegen den sich sogar eine „Stoppt Strauß“-Bewegung bildete. Sein Gegenkandidat, Bundeskanzler Helmut Schmidt, sagte: „Dieser Mann hat keine Kontrolle über sich. Und deshalb darf er erst recht keine Kontrolle über unseren Staat bekommen.“Ähnlich hört sich das an, was heute US-Präsident Barack Obama und sogar ehemalige Amtsträger der Republikaner über Trump sagen.
Hier soll übrigens nicht Strauß mit Trump gleichgesetzt werden. Aber es soll gezeigt werden, welche Mechanismen in Wahlkämpfen ablaufen. Und dass nicht alles für bare Münze zu nehmen ist.
Mehr Sorge bereitet, dass es Trump an elementarer politischer Bildung fehlt (was man über Strauß gewiss nicht sagen konnte). Er soll laut dem Sender MSNBC seine Berater in Bezug auf die IS-Terroristen mehrfach gefragt haben: „Wenn wir Atomwaffen haben, warum setzen wir sie nicht ein?“Die Antwort der Experten hat er hoffentlich verstanden. Spätestens hier muss Schluss sein mit Scherzen.
Auch Strauß galt einst als das große Feindbild