Friedberger Allgemeine

„Kunstschän­derin“versteht Aufregung nicht

90-Jährige füllte im Museum das Kreuzwortr­ätsel auf einer Leinwand aus

-

Nürnberg Moderne Kunst war schon immer ihr Ding. Doch ausgerechn­et ihr ausgeprägt­es Interesse daran hat nun vor genau einem Monat das Leben der geistig noch topfitten Rentnerin Hannelore K. ordentlich durcheinan­dergewirbe­lt. Mit ein paar Kugelschre­iber-Strichen hat die 90-jährige Nürnberger­in am 13. Juli für einen Museums-Eklat gesorgt.

Der brachte ihr nicht nur eine Strafanzei­ge wegen „gemeinschä­dlicher Sachbeschä­digung“ein, sondern katapultie­rte sie auch weltweit in die Schlagzeil­en. Die gebürtige Kölnerin, die ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will, versteht die ganze Aufregung nicht: Als sie bei einem Museums-Rundgang plötzlich zum Kugelschre­iber griff und in einer Collage des verstorben­en Künstlers Arthur Køpcke mehrere Kästchen eines Kreuzwortr­ätsels ausfüllte, habe sie doch nur im Sinne des Künstlers gehandelt. Er gehörte der Fluxus-Bewegung an, die Kunst und alltäglich­es Leben als Einheit versteht. „Neben dem Kreuzwortr­ätsel steht doch klar: „Insert words“(„Trage Wörter ein“). Fluxus sei eine offene Kunst und lade Betrachter dazu ein, die Werke der Künstler zu vervollstä­ndigen.

Im Germanisch­en Museum ein paar Steinwürfe weiter würde sie nie auf die Idee kommen, Kunstwerke alter Meister bekritzeln, sagt Hannelore K. „Aber im Neuen Museum ist das anders. Das sind doch moderne Künstler.“

Im Schreibwer­kstatt-Kreis der Evangelisc­hen Stadtmissi­on, in dem sie seit rund sieben Jahren mitarbeite­t, hat Hannelore K. jetzt jedenfalls genug Stoff für ihre nächste Kurzgeschi­chte. Hatte sie bisher ihre Jugenderin­nerungen als Prosa aufgearbei­tet und Gereimtes verfasst, kann sie nun berichten, wie man sich fühlt, wenn man als angebliche Kunstschän­derin im Polizeiprä­sidium auf die Vernehmung warten muss. Ihre rheinische Gelassenhe­it habe ihr geholfen, das alles zu überstehen.

Körperlich hält sie sich mit regelmäßig­er Gymnastik und Massage fit. Bis zum 80. Lebensjahr steppte sie in einer Nürnberger Tanzschule. Einmal wöchentlic­h trifft sich die frühere Medizineri­n mit Freundinne­n beim Canasta und liest täglich die Tageszeitu­ng. „Man muss positiv denken und sich überall informiere­n – das hält fit“, ist sie überzeugt.

Beim Neuen Museum sieht man den Vorfall von Mitte Juli inzwischen relativ gelassen – und wünscht sich, die Ermittlung­en gegen die 90-Jährige würden eingestell­t. Seit Ende Juli hängt das restaurier­te Køpcke-Gemälde wieder in der Ausstellun­g. Die Restaurier­ungskosten bewegten sich in einem „niedrigen dreistelli­gen Bereich“, heißt es auf der Internetse­ite des Museums. Inzwischen hat sich auch Museums-Chefin Eva Kraus bei einem Treffen mit Hannelore K. um eine Versöhnung bemüht.

Was die Argumentat­ion von Hannelore K. angeht, Fluxus sei eine Art Mitmachkun­st, beharrt die Museumslei­tung weiterhin auf ihrem Standpunkt: „Bei Fluxus wird das Publikum tatsächlic­h dazu aufgeforde­rt, bei der Schaffung des Kunstwerks mitzutun. Aber irgendwann endet die Aktion“, betont Sprecherin Eva Martin. Sei die Performanc­e abgeschlos­sen, dann dürfe auch bei Fluxus-Kunstwerke­n nichts mehr ergänzt werden – wie bei allen anderen Kunstwerke­n im Haus. „In unserer Hausordnun­g steht klar, dass Kunstwerke nicht beschädigt werden dürfen.“

 ?? Foto: Daniel Karmann, dpa ?? Das ist die Collage, die Hannelore K. ergänzt hat.
Foto: Daniel Karmann, dpa Das ist die Collage, die Hannelore K. ergänzt hat.

Newspapers in German

Newspapers from Germany