Tuchels Probleme
Der Dortmunder Trainer muss eine neue Mannschaft aufbauen. Die Supercup-Partie gegen den FC Bayern München am Sonntag kommt ihm eher ungelegen
Dortmund Eigentlich gilt der Supercup seit seiner Einführung 1987 als „übrig wie ein Kropf“, wie man in Bayern zu sagen pflegt. Allein die Tatsache, dass sich meist der FC Bayern München und dessen Dauerrivale Borussia Dortmund gegenüberstehen, verleiht diesem Termin im aufgeblähten Fußball-Event-Kalender eine gewisse Daseinsberechtigung. Am Sonntag spielen wieder mal die Bayern und der BVB.
Geht es nach Dortmunds Trainer Thomas Tuchel, hätte man allerdings auf die Austragung des Supercups 2016 wie schon in den Jahren 1997 bis 2009 getrost verzichten können. Eine Aussage, die viel über die derzeitige Situation in Dortmund verrät.
Ja, dieser Thomas Tuchel, der sonst immer so präzise formulierte Erklärungen für alles parat hat, wirkte in der Pressezone des Stadions in St. Gallen einigermaßen ratlos – wenngleich er den Eindruck zu vermitteln versuchte, „dass alles in Ordnung ist“.
Wenige Tage vor der Partie gegen den FC Bayern hatte seine Mann- beim 0:1 gegen Athletic Bilbao eine zu diesem nasskalten Augustabend passende Leistung gezeigt: Sie war trostlos. Vor allem in der zweiten Halbzeit, als Tuchel die neuen Hoffnungsträger Dembélé, Mor, Bartra und Merino aufs Feld schickte und die robusten Basken ihren schmalbrüstigen Gegnern nicht den Hauch einer Chance ließen.
„Wir haben uns für Talente und Neuentwicklung entschieden“, hatte Thomas Tuchel zu Beginn der Saisonvorbereitung erklärt. Spätestens jetzt, meinte Tuchel nach der Partie gegen Bilbao, müsse jedem klar sein, warum er damals von „einem riskanten Weg“gesprochen habe. „Wir sehen bei vielen Spielern einen Gewöhnungsprozess an die Trainingsintensität, an die Spielintensität, an die neuen Inhalte, an die Verhaltensweisen in der Mannschaft, an den Kultur- und an den Sprachwechsel“, zählte der BVBCoach all die Problemfelder auf, die er im Trainingslager in Bad Ragaz und in den beiden Testspielen gegen den englischen Premier-LeagueKlub Sunderland (1:1) und Bilbao identifiziert hat. „Ich habe heute den Eindruck gehabt, dass wir da an eine Grenze gestoßen sind“, stellte Tuchel fest.
Nach den Abgängen von Hummels (Bayern München), Mkhitaryan (Manchester United) und Gündogan (Manchester City) tut sich der BVB sichtlich schwer mit der erzwungenen Neuerfindung. Dass es die Verantwortlichen in Dortmund dabei geschafft haben, „in dieser Transferperiode fast alle europäischen Toptalente nach Dortmund zu holen“(Jürgen Klopp), hat nicht nur Tuchels Vorgänger als BVBTrainer schwer beeindruckt.
Dazu die spektakulären Transfers von André Schürrle und Mario Götze, die gegen Bilbao erstmals in der Startformation standen und bei ihren 45-Minuten-Einsätzen für die wenigen Lichtblicke sorgten. Vor allem Götze war im linken Mittelfeld präsent wie lange nicht mehr. Womöglich reißen ihn die Rückkehr und die Verantwortung beim Neuaufbau des Borussia-Teams tatsächlich aus der Lethargie der BayernJahre.
Auf Thomas Tuchel jedenfalls warten die schwerste Aufgabe seiner bisherigen Trainerlaufbahn und viel Arbeit. Er muss aus dieser Anschaft sammlung von Talenten, zu der auch noch Europameister Guerreiro zählt, ein stabiles System formen – wobei sich manch Beobachter schon die Frage stellt, ob dafür der Kader nicht mit ein paar Schönspielern zu viel angereichert worden ist.
„Risiko wird belohnt“, macht sich Tuchel selber Mut. Was das Spiel gegen die Bayern angeht, sei man allerdings gut beraten, „die Ansprüche nicht zu groß werden zu lassen“. Es gehe in der Partie vor allem darum, Teamgeschlossenheit, Verteidigungshaltung und Siegeswillen zu zeigen. Primärtugenden, die die Mannschaft in den Testspielen auf der Chinareise gegen Manchester United (4:1) und Manchester City (5:6 n. E.) bereits demonstriert habe. „Klar ist aber auch, dass die Ausschläge nach unten dringend hoch müssen“, betonte Tuchel in St. Gallen. Ein ordentlicher Auftritt gegen den FC Bayern München würde helfen, Selbstvertrauen zu tanken – und dem Supercup aus Dortmunder Sicht doch wieder Sinn geben.
Supercup, Borussia Dortmund – FC Bayern München, Sonntag, 20.30 Uhr, live im ZDF