Friedberger Allgemeine

Artur Alt pfeift aus Leidenscha­ft

Der 77-Jährige sagt, er habe das schönste Hobby – obwohl oft über Unparteiis­che geschimpft wird. Demnächst leitet er sein 8000. Spiel. Der Schiedsric­hter hat auf dem Platz viel erlebt. Warum er immer noch nicht aufhört

- VON GEORG SCHALK Foto: Georg Schalk

Fußball, das ist sein Leben. Auf wenige passt dieser Satz so gut wie auf Artur Alt. Was hat der 77-Jährige nicht alles erlebt: Triumphe, Debakel, Abstiege, Aufstiege, Entscheidu­ngsspiele, schöne Tore, böse Fouls. Meist hatte der Schiedsric­hter alles im Griff, fast immer beruhigte er mit seiner ausgleiche­nden Art erhitzte Gemüter. Am Samstag, 27. August, wird er um 18 Uhr sein 8000. Spiel anpfeifen: Dabei stehen sich die AH-Fußballer des SV Gessertsha­usen und der SpVgg Westheim/Hainhofen gegenüber.

Artur Alt ist ein Mensch der Zahlen. Sie sprudeln nur so aus ihm heraus. Zehn Jahre hat er in der Landesliga gepfiffen, 21 Jahre in der Bezirkslig­a, 55 Jahre im Männerbere­ich, 1280 Mal hat er am Training der Schiedsric­hter teilgenomm­en. 35 Jahre war er als Schiedsric­hterEintei­ler tätig, hat 120 000 Spiele angesetzt. 30 Jahre stand er der Schiedsric­hter-Vereinigun­g Augsburg als stellvertr­etender Obmann vor.

Ob er der Schiedsric­hter ist, der in der deutschen Geschichte die meisten Fußballspi­ele geleitet hat? „Ich kenne keinen anderen, der mehr hat“, meint Alt selbstbewu­sst. Sicher sagen kann er, wie viele er hat. Über jedes führt er Buch, 129 Seiten sind mit Schreibmas­chine vollgeschr­ieben. Unzählige Seiten Papier, stumme Zeugen eines bewegten Schiedsric­hter-Lebens.

Die Leidenscha­ft, mit der der gebürtige Augsburger seit 1960 seinem Hobby an der Pfeife nachgeht, verdeutlic­ht eine Geschichte: Ein A-Klassen-Spiel (heute Kreisliga) in Ecknach leitete Alt mit besonderem Schuhwerk. Ihm war eine Palette mit Baustoffen auf den Fuß gefallen, er wurde so dick, dass er in keinen Schuh mehr reingepass­t hat. „Da habe ich eben in Sandalen gepfiffen“, erzählt Alt mit einem Augenzwink­ern. „Ich bin ein zäher Hund.“

Ein andermal kehrte er mit seiner Frau Gerda aus dem Brasilien-Urlaub zurück. Neben dem Kartenspie­len (Schafkopf) reist er unheimlich gern. „Als ich um 10 Uhr zu Hause angekommen bin, fand ich einen Brief eines Schiedsric­hters vor, der mitteilte, an diesem Tag nicht pfeifen zu können.“Dann hat Alt seine Sporttasch­e gepackt und ist nach Horgau gefahren, um dort um 13 Uhr ein Reservespi­el zu leiten.

„Schuld“an dieser außergewöh­nlichen Karriere ist ein ehemaliger Fifa-Schiedsric­hter aus Augsburg: Karl Riegg. Bevor Artur Alt zum Industriek­aufmann umschulte, war er gelernter Bäckermeis­ter. Riegg war Stammkunde in der Bäckerei der Familie Alt und riet Alt zur weil der junge Alt, ehemaliger Mittelfeld­spieler des TSV Pfersee und in der Jugend des TSV Schwaben, früh Probleme mit Meniskus und seinen Knien hatte. So wurden aus Nachbarn Freunde und aus Freunden später Schiedsric­hter-Kollegen.

Im Dezember 1960 legte Alt seine Schiedsric­hterprüfun­g ab. Am 26. August 1961 – also vor 55 Jahren – leitete er sein erstes offizielle­s Spiel: TSV Schwaben Augsburg gegen den BC Augsburg, C-Jugend. Als Alt seine Schiedsric­hterkarrie­re begann, gab es noch keine Gelben und Roten Karten. Die kamen erst ab der WM in Mexiko 1970. Sein erstes Schiedsric­hter-Trikot bestand aus einem schwarzen Pullover. Die Stollensch­uhe waren Überbleibs­el seines Spielerdas­eins.

Es folgten Einsätze in ganz Bayern. „Es gibt fast keinen Sportplatz, den ich nicht kenne“, so der 77-Jährige, der lange Jahre Mitglied beim SV Ottmaring (Kreis AichachFri­edberg) war und inzwischen seit mehr als 25 Jahren beim TSV Steppach ist. Alt genießt es, an der friSchieds­richterei, schen Luft zu sein, herumzukom­men und Leuten zu begegnen. „Ich habe das schönste Hobby, das es gibt.“Für einen Vertreter einer oft beschimpft­en Zunft ungewöhnli­che Worte. Für jeden Einsatz gibt es eine kleine Aufwandsen­tschädigun­g. „Reich wird man nicht davon. Aber für mein Taschengel­d hat es gereicht.“

Viel sehen und wenig hören – so ging Artur Alt alle seine Spiele an. Die Rote Karte ließ er meist stecken, die Gelbe gab es nur dann, wenn es gar nicht mehr anders ging. Verwarnung­en wegen Reklamatio­nen – das kommt bei ihm selten vor.

Seine Frau Gerda sei ihm stets eine große Hilfe gewesen, betont er. „Sie hat für mein Hobby mehr Verständni­s, als ich ihr eigentlich zumuten durfte. Und sie hat ohne Murren immer meine Schiedsric­hterkleidu­ng gewaschen“, berichtet der verheirate­te zweifache Familienva­ter und inzwischen stolze Opa.

Fit hält er sich mit wöchentlic­hen Saunagänge­n und ausgiebige­n Fahrradtou­ren.

„Da habe ich eben in Sandalen gepfiffen. Ich bin ein zäher Hund.“ „Es gab schon immer Schiedsric­hter, die mehr gelaufen sind als ich.“

Artur Alt

Oft reist er mit dem Rad zu seinen Spielen an. So behält Alt auch im Alter seine Kondition, wenngleich er einräumt: „Es gab schon immer Schiedsric­hter, die mehr gelaufen sind als ich.“

Anlässlich seines 7000. Spiels im März 2010 erhielt Alt die KarlRiegg-Medaille. Es ist die höchste Auszeichnu­ng, die seine Heimatgrup­pe Augsburg zu vergeben hat, benannt nach einem ihrer größten Referees. Für Artur Alt hat sie wegen seiner Anfänge eine ganz besondere und persönlich­e Bedeutung.

Sein Tatendrang ist nach wie vor ungebroche­n. 9000 Spiele wird er jedoch nicht erreichen. „Das ist utopisch. Da müsste ich bis 90 pfeifen.“Ein Ziel hat er dennoch: Alt möchte noch ein paar Jährchen als Unparteiis­cher unterwegs sein, bis er die magische Zahl von „60 Jahre aktiver Schiedsric­hter“erreicht hat.

Die Freude an seinem Hobby ist geblieben. Einer der Höhepunkte: Vor neun Jahren überreicht­e ihm die E2 des TSV Diedorf ein selbst gemaltes Bild mit Fußballern, auf dem links oben stand: „Es hat Spaß gemacht, nach ihrer Pfeife zu tanzen!“

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Auch mit 77 Jahren greift Artur Alt zur Pfeife. Der Schiedsric­hter wird demnächst sein 8000. Spiel leiten. Als er anfing, gab es weder Gelbe noch Rote Karten.

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