Syrer spielen Polizisten, Volk und Pegida
Ein ehemaliger Flüchtling gibt Asylbewerbern Sozialkundeunterricht auf Arabisch. Die Migranten simulieren die deutsche Gesellschaft und diskutieren über das Erdogan-Spottlied. Was soll das bringen?
Heiß ist es im Raum 104 der Volkshochschule (Vhs). Die Fenstertüren stehen offen. Draußen, hinter dem Grün, rauscht der beständige Autostrom. Drinnen schwitzen 15 Flüchtlinge über dem Grundgesetz. Einen Integrationskurs und das B1-Zertifikat für eine bestandene Deutschprüfung haben sie bereits in der Tasche, ebenso ihre Anerkennung als Flüchtlinge. Für das Seminar „Demokratische Bildung (auf Arabisch)“der Friedrich-EbertStiftung hatten sie sich zusätzlich angemeldet. Sie hatten Glück: Laut Iris Haffner von der Vhs war der zweitägige Vollzeitkurs nach drei Tagen ausgebucht, es gab sogar eine Warteliste.
Kursleiter Chadi Bahouth ist Politologe und kommt aus Berlin. Heute moderiert und übersetzt er zusammen mit seinem Kollegen Ali Hotait den Besuch der Stadträtin Anna Rasehorn (SPD) im Kurs. Aduan Hanna fragt: „Warum gibt es unter den 60 Stadträten nur fünf mit Migrationshintergrund? Warum lässt man denn nicht mehr rein, wenn es doch so viele Einwanderer gibt in Augsburg?“Er hat großes Interesse an Politik. In Syrien war er Unternehmer, besaß eine Abfüllfabrik für Getränke mit 18 Mitarbei- tern. Dass er ein Macher ist, zeigt sich in den Plänen, die er hat. Aufmerksam verfolgt er die Ausführungen der Politikerin zu den Altenhilfeeinrichtungen der Stadt. Im Gespräch stellt sich heraus: Sobald er ausreichend Deutsch kann, will er ein Altersheim für etwa 50 Bewohner gründen und zusammen mit seiner Familie betreiben. Pflegeheime gebe es in Syrien auch und ob die Reporterin vielleicht ein leer stehendes Haus kenne in Augsburg.
Eine Irakerin klagt über ihre beengte Wohnsituation. Dass Augs- schon vor Ankunft der Flüchtlinge viele Wohnungen fehlten und die Wohnungsbaugesellschaft WBG laut Rasehorn in den nächsten fünf Jahren nur 600 neue bauen könne, erstaunt sie. Ein Syrer möchte schneller Deutsch lernen und fragt nach mehr Hörpraxis. Gut gelaunt empfiehlt Bahouth „Die Sendung mit der Maus“, mit der er als palästinensisches Flüchtlingskind in Deutschland während der 80er Jahren aufgewachsen ist. Die Teilnehmer notieren den Titel.
Am ersten Seminartag standen bereits das Grundgesetz und die politische Ordnung der Bundesrepublik auf dem Stundenplan. „Wir diskutieren, was die ,Würde des Menschen‘ wohl bedeutet. Aus Syrien kennen sie das Wort vom Papier, gelebte Praxis ist es nicht“, erzählt Bahouth. Das Böhmermann-Lied über Erdogan und die folgenden diplomatischen Verwicklungen als Fallbeispiel für Kunstfreiheit sorgten im Kurs für Erstaunen: „Dass so etwas in Deutschland erlaubt ist, hat sie überrascht. Sie fanden das Lied frech. Dass sie selbst hier auch Freiburg heiten haben, sogar demonstrieren dürften, erstaunt sie ebenfalls. Sie fühlen sich aber auch wertgeschätzt.“
Ein Planspiel simuliert die deutsche Gesellschaft. Die Flüchtlinge spielen Polizisten, Journalisten, Pegida, die schweigende Mehrheit und das deutsche Volk. Bahouth erklärt: „Das übt den Perspektivwechsel, schult Empathie und das Verständnis für die jeweils andere Sicht.“Dass Straftäter wie jener in Würzburg oder von der Kölner Silvesternacht ausgewiesen werden sollten, darin seien sich alle sofort einig gewesen.
Chadi Bahouth hat das Seminar zusammen mit der SPD-nahen Stiftung entwickelt. 540 Flüchtlinge hat der beredte, lebhafte Politologe zwischen Bremen und Bayern schon geschult. Augsburg ist seine vierte Station in Bayern.
Ein Tropfen auf dem heißen Stein, findet Bahouth. Er wurde selbst im Libanon als Kind palästinensischer Flüchtlinge geboren und hält die flächendeckende Schulung der Neuankömmlinge für unbedingt notwendig. „Wir müssen unsere politische Kultur möglichst emotional und auf Augenhöhe vermitteln. Mit Frontalunterricht und dem Vorlesen von Paragrafen ist das nicht zu machen.“