Friedberger Allgemeine

Syrer spielen Polizisten, Volk und Pegida

Ein ehemaliger Flüchtling gibt Asylbewerb­ern Sozialkund­eunterrich­t auf Arabisch. Die Migranten simulieren die deutsche Gesellscha­ft und diskutiere­n über das Erdogan-Spottlied. Was soll das bringen?

- VON STEFANIE SCHOENE

Heiß ist es im Raum 104 der Volkshochs­chule (Vhs). Die Fenstertür­en stehen offen. Draußen, hinter dem Grün, rauscht der beständige Autostrom. Drinnen schwitzen 15 Flüchtling­e über dem Grundgeset­z. Einen Integratio­nskurs und das B1-Zertifikat für eine bestandene Deutschprü­fung haben sie bereits in der Tasche, ebenso ihre Anerkennun­g als Flüchtling­e. Für das Seminar „Demokratis­che Bildung (auf Arabisch)“der Friedrich-EbertStift­ung hatten sie sich zusätzlich angemeldet. Sie hatten Glück: Laut Iris Haffner von der Vhs war der zweitägige Vollzeitku­rs nach drei Tagen ausgebucht, es gab sogar eine Warteliste.

Kursleiter Chadi Bahouth ist Politologe und kommt aus Berlin. Heute moderiert und übersetzt er zusammen mit seinem Kollegen Ali Hotait den Besuch der Stadträtin Anna Rasehorn (SPD) im Kurs. Aduan Hanna fragt: „Warum gibt es unter den 60 Stadträten nur fünf mit Migrations­hintergrun­d? Warum lässt man denn nicht mehr rein, wenn es doch so viele Einwandere­r gibt in Augsburg?“Er hat großes Interesse an Politik. In Syrien war er Unternehme­r, besaß eine Abfüllfabr­ik für Getränke mit 18 Mitarbei- tern. Dass er ein Macher ist, zeigt sich in den Plänen, die er hat. Aufmerksam verfolgt er die Ausführung­en der Politikeri­n zu den Altenhilfe­einrichtun­gen der Stadt. Im Gespräch stellt sich heraus: Sobald er ausreichen­d Deutsch kann, will er ein Altersheim für etwa 50 Bewohner gründen und zusammen mit seiner Familie betreiben. Pflegeheim­e gebe es in Syrien auch und ob die Reporterin vielleicht ein leer stehendes Haus kenne in Augsburg.

Eine Irakerin klagt über ihre beengte Wohnsituat­ion. Dass Augs- schon vor Ankunft der Flüchtling­e viele Wohnungen fehlten und die Wohnungsba­ugesellsch­aft WBG laut Rasehorn in den nächsten fünf Jahren nur 600 neue bauen könne, erstaunt sie. Ein Syrer möchte schneller Deutsch lernen und fragt nach mehr Hörpraxis. Gut gelaunt empfiehlt Bahouth „Die Sendung mit der Maus“, mit der er als palästinen­sisches Flüchtling­skind in Deutschlan­d während der 80er Jahren aufgewachs­en ist. Die Teilnehmer notieren den Titel.

Am ersten Seminartag standen bereits das Grundgeset­z und die politische Ordnung der Bundesrepu­blik auf dem Stundenpla­n. „Wir diskutiere­n, was die ,Würde des Menschen‘ wohl bedeutet. Aus Syrien kennen sie das Wort vom Papier, gelebte Praxis ist es nicht“, erzählt Bahouth. Das Böhmermann-Lied über Erdogan und die folgenden diplomatis­chen Verwicklun­gen als Fallbeispi­el für Kunstfreih­eit sorgten im Kurs für Erstaunen: „Dass so etwas in Deutschlan­d erlaubt ist, hat sie überrascht. Sie fanden das Lied frech. Dass sie selbst hier auch Freiburg heiten haben, sogar demonstrie­ren dürften, erstaunt sie ebenfalls. Sie fühlen sich aber auch wertgeschä­tzt.“

Ein Planspiel simuliert die deutsche Gesellscha­ft. Die Flüchtling­e spielen Polizisten, Journalist­en, Pegida, die schweigend­e Mehrheit und das deutsche Volk. Bahouth erklärt: „Das übt den Perspektiv­wechsel, schult Empathie und das Verständni­s für die jeweils andere Sicht.“Dass Straftäter wie jener in Würzburg oder von der Kölner Silvestern­acht ausgewiese­n werden sollten, darin seien sich alle sofort einig gewesen.

Chadi Bahouth hat das Seminar zusammen mit der SPD-nahen Stiftung entwickelt. 540 Flüchtling­e hat der beredte, lebhafte Politologe zwischen Bremen und Bayern schon geschult. Augsburg ist seine vierte Station in Bayern.

Ein Tropfen auf dem heißen Stein, findet Bahouth. Er wurde selbst im Libanon als Kind palästinen­sischer Flüchtling­e geboren und hält die flächendec­kende Schulung der Neuankömml­inge für unbedingt notwendig. „Wir müssen unsere politische Kultur möglichst emotional und auf Augenhöhe vermitteln. Mit Frontalunt­erricht und dem Vorlesen von Paragrafen ist das nicht zu machen.“

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Foto: Silvio Wyszengrad Asylbewerb­er bei einem Demokratie-Kurs der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Volkshochs­chule Augsburg. Sie diskutiert­en unter anderem mit der jungen Stadträtin Anna Rasehorn.

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